Verbessern Antidepressiva langfristig die Lebensqualität? |
Carolin Lang |
22.04.2022 16:00 Uhr |
Die Studie weist einige Limitationen auf. Neben fehlenden Angaben zum Schweregrad der Depressionen ist ferner nicht bekannt, ob die Patienten eine Psychotherapie erhalten haben. »Da mittlerweile sämtliche nationale und internationale Leitlinien die Psychotherapie als Methode der ersten Wahl empfehlen – bei schweren Formen und chronischen Verläufen in Kombination mit Antidepressiva – erscheint mir diese Nicht-Berücksichtigung sowohl aus wissenschaftlicher als auch konzeptioneller Sicht gravierend«, kommentiert Dr. Eva-Lotta Brakemeier, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Greifswald, die Studie. Die Nicht-Berücksichtigung der Psychotherapie sei somit ein entscheidender methodischer Grund, der es unmöglich mache, das fehlende bessere Abschneiden der Antidepressiva-Gruppe kausal auf die Einnahme der Medikation zurückzuführen.
Auch die fehlende Randomisierung lässt keinen Rückschluss auf einen Kausalzusammenhang zu. »Präsentiert wird eine Längsschnittuntersuchung einer Bevölkerungsstichprobe. Die Entscheidung, welche Teilnehmer ein Antidepressivum erhielten und welche nicht, ist damit nicht durch Zufall bedingt, sondern wird durch relevante Unterschiede in den beiden Gruppen bedingt sein – etwa Zugang zum Gesundheitswesen, Krankenversicherungsstatus, Schwere der Depression, Bildung, Einstellung zu Medikamenten und vieles anderes«, erklärt Professor Dr. Tom Bschor, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.
Dennoch habe die Studie einen hohen Wert, da sie im Unterschied zu den nur auf wenige Wochen angelegten randomisierten Studien einen Verlauf von zwei Jahren beobachtete und da sie ein realistisches Abbild der tatsächlichen Behandlungssituation gebe.
»Auch wenn es kein direktes Ergebnis ihrer Studie ist, weisen die Autoren am Ende ihrer Publikation zurecht darauf hin, dass Ärztinnen und Ärzte eine stärkere Zurückhaltung bei der medikamentösen Behandlung von Depressionen zeigen sollten«, so Psychiater Bschor, »nicht nur wegen des fehlenden Effekts auf die Lebensqualität, sondern da sich die Befunde mehren, dass die Verordnung von Antidepressiva langfristig zu einer Verschlechterung des Krankheitsverlaufes mit Chronifizierung und häufigeren Rückfällen der Depression und in der Folge der Notwendigkeit einer Dauerverschreibung von Antidepressiva führt.«
Die Studienautoren fordern, dass andere Behandlungsmöglichkeiten wie Psychotherapie, Hilfe zur Selbsthilfe, Aufklärung, Tagesstrukturierung und soziale Unterstützung vor der Verordnung von Antidepressiva eingesetzt werden sollten. Dem stimmt der deutsche Experte zu.