Träger einer Neandertaler-Genvariante können schwerer an Covid-19 erkranken |
Theo Dingermann |
28.12.2020 12:00 Uhr |
Der Rezeptor des MERS-Virus (hier die Proteinstruktur in gelb) kann an das menschliche Enzym Dipeptidylpeptidase-4 (hier blau) binden. Das lässt vermuten, dass dies SARS-CoV-2 auch gelingt. / Foto: Adobe Stock/Kateryna_Kon
Im vergangenen Sommer deuteten die Ergebnisse einer groß angelegten internationalen Studie darauf hin, dass ein Gencluster auf Chromosom 3, das noch vom Neandertaler stammt, mit einem höheren Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf verbunden sein könnte. Aber nicht alles ist schlecht und besorgniserregend. Denn die Wissenschaftler zeigten auch, dass es neben der schädlichen Variante auch eine schützende genetische Variante für schweres Covid-19. Dieses Gencluster liegt auf Chromosom 12.
Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat nun mit seinen Kollegen weitergesucht und geschaut, ob noch andere Gencluster aus dem Neandertaler-Genom den Krankheitsverlauf beeinflussen könnten. Diese Arbeit ist nun als Preprint auf bioRxiv erschienen. Hier zeigen die Wissenschaftler, dass 2 bis 8 Prozent der Menschen in Eurasien eine Variante der Promotorregion des Gens für die Dipeptidylpeptidase-4 (DPP4) tragen, die sie von den Neandertalern geerbt haben. Bei DPP4 handelt es sich um ein proteolytisches Enzym, das unter anderem das Darm-Peptidhormon GLP-1 inaktiviert, was seit fast 15 Jahren auch therapeutisch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes genutzt wird. Pharmazeuten kennen die DPP4-Inhibitoren, auch Gliptine genannt.
Von DPP4 weiß man aber auch, dass dieses Enzym dem Coronavirus MERS-CoV als Rezeptor dient. Das lässt aufhorchen, denn MERS-CoV und SARS-CoV-2 sind bekanntlich eng verwandt. Bislang wurde nicht angenommen, dass auch SARS-CoV-2 über das membrangebundene DPP4-Enzym in eine Zelle eindringen kann. Und dennoch scheint durch die Neandertaler-DPP4-Variante das Risiko, an Covid-19 kritisch zu erkranken, tatsächlich erhöht zu sein.
Die aktuellen Analysen zu der DPP4-Genvarianten bei Covid-19-Patienten deuten darauf hin, dass tatsächlich DPP4 dem SARS-CoV-2-Virus neben seinem üblichen Infektionsweg über den ACE2-Rezeptor auf Zelloberflächen auch einen Zugang zu unseren Zellen verschafft.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.