Total erschöpft nach Infektion |
Christina Hohmann-Jeddi |
27.03.2023 18:00 Uhr |
Auf das Krankheitsbild ME/CFS ging Professorin Dr. Uta Behrends von der Technischen Universität München genauer ein. Gekennzeichnet ist es durch eine ausgeprägte chronische Erschöpfung, die zu Funktionseinschränkungen im Alltag führt. Das eigentliche Leitsymptom sei aber die postexertionelle Malaise (PEM), eine Verschlechterung des Befindens durch geringe Anstrengungen bis hin zu Zusammenbrüchen über Stunden bis Tage. Bei moderat Betroffenen könnten dies das Brötchenholen oder zwei Stunden Schule sein, bei Schwerstkranken etwa die Haarwäsche.
Durch die PEM lasse sich ME/CFS scharf von anderen Krankheitsbildern, zum Beispiel Depression, abgrenzen. »Patienten mit Depression profitieren meist von Bewegung und Kontakten, während sie sich bei ME/CFS eben negativ auswirken«, verdeutlichte Behrends. Zum Leitsymptom PEM kommen häufig auch (Kopf-)Schmerzen, Schlafstörungen und neurokognitive Symptome wie ausgeprägte Reizüberempfindlichkeit und Brain Fog hinzu. Auch Hitze- und Kälteintoleranz sowie Kreislaufbeschwerden und Darmsymptome können auftreten.
Die Erkrankung kann verschiedene Schweregrade haben. Leicht Betroffene sind im Alltag noch in Teilen funktionsfähig, schwer Betroffene dagegen bettlägerig. »60 Prozent der Betroffenen sind erwerbsunfähig«, berichtete Behrends. Die Lebensqualität sei aufgrund der Symptomlast niedriger als bei anderen chronischen Erkrankungen und die Lebenserwartung scheine reduziert zu sein, vor allem aufgrund von Suiziden.
Zur Prävalenz gebe es kaum verlässliche Daten für Deutschland, sagte die Immunologen, die das MRI Chronische Fatigue Centrum (MCFC) für junge Menschen in München leitet. Eine Studie aus Dresden zeigt, dass die Inzidenzrate 2020 bei Coronagenesenen im Vergleich zu bisher Nichtinfizierten verdreifacht war und bei etwa 0,6 Prozent lag. Weltweit werde eine Verdoppelung der Inzidenz befürchtet, so die Medizinerin.
Eine kausale Therapie existiere nicht, doch mit symptomorientierter Versorgung könne man schon viel erreichen. Hier führte Behrends eine mögliche Supplementation von Mineralstoffen oder Spurenelementen bei nachgewiesenen Defiziten, die Gabe von Analgetika bei Vorliegen von Schmerzen und die Gabe von Antihistaminika oder von Kreislaufmedikamenten auf. Hinzu kämen kreislaufstabilisierende Maßnahmen, Reizschutz und vor allem das Selbstmanagement, auch Pacing genannt. Darunter verstehe man, dass Patienten lernen, die eigenen Kräfte so zu dosieren, dass es nicht zu einer Verschlechterung kommt. Wichtig sei es, ein Netzwerk von Kompetenzzentren und Ambulanzen für Long Covid und ME/CFS aufzubauen, wie es die Bundesregierung sich auch vorgenommen habe.
Laut Scheibenbogen gelte es jetzt vor allem, Therapeutika für Patienten mit Long Covid, aber auch mit ME/CFS zu entwickeln. Eine Reihe von Wirkstoffen werde derzeit gegen Long Covid geprüft, darunter auch bereits zugelassene Substanzen. Für ME/CFS habe es bisher so gut wie keine Untersuchungen gegeben. Die Medizinerin hofft, dass die Forschung jetzt von der Aufmerksamkeit für Long Covid profitieren werde.
Gegen Autoantikörper könne man mit verschiedenen B-Zell-depletierenden Wirkstoffen vorgehen. Eine größere randomisierte Studie zur Wirkung der Immunadsorption, bei der Autoantikörper im Blut von Patienten mit Long-Covid-bedingter ME/CFS herausgewaschen werden, starte in Kürze an der Charité. Außerhalb von Studien sei dieses Verfahren derzeit aber noch nicht zu empfehlen. Die Immunadsorption sei kein heilendes Verfahren, betonte die Referentin, – die Autoantikörper kämen nach einer Weile wieder.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.