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Tiefe Kluft zwischen Regierung und Opposition

17.03.2003  00:00 Uhr

Außerordentlicher Deutscher Apothekertag 2003

Tiefe Kluft zwischen Regierung und Opposition

Auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat werden sich Regierung und Opposition auf die Inhalte der Strukturreform im Gesundheitswesen einigen müssen. Die Statements der gesundheitspolitischen Sprecher der Fraktionen lassen vermuten, dass zumindest im Arzneimittelbereich noch erheblicher Reformbedarf besteht. Regierungs- und Oppositionsfraktionen liegen in fast allen Fragen zur Arzneimittelversorgung meilenweit auseinander.

Die Sprecherinnen von SPD und Grünen gaben in ihren Statements weitgehend Ministeriums-Linie wider. Gudrun Schaich-Walch (SPD) und Birgit Bender (Grüne) ließen keinen Zweifel daran, dass sie die Forderung nach einer Zulassung des Versandhandels mittragen. Eine Bedrohung für die niedergelassenen Apotheker sei dies aber nicht, wollte Schaich-Walch das Auditorium beruhigen. Im Wettbewerb mit Versandhändlern hätten die Apotheker beste Chancen, sich über die Qualität ihrer Leistungen durchzusetzen. Das Beispiel Niederlande zeige, dass die Freigabe des Versandhandels keineswegs das Ende der öffentlichen Apotheke bedeute. Dort habe der nationale Versandhandel nur eine marginalen Anteil an der Arzneimitteldistribution.

Mit Blick auf das noch ausstehende Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum deutschen Versandhandelsverbot sagte Schaich-Walch, es sei ein großer Fehler, jetzt keine geeigneten Rahmenbedingungen für den Versand zu schaffen. Ansonsten würden bei einer Freigabe ausschließlich ausländische Versender das Geschäft mit den deutschen Patienten machen.

Die SPD-Abgeordnete beteuerte, dass die Fraktion trotz der unterschiedlichen Positionen auch in Zukunft den Dialog mit den Apothekern suchen werde. Sie warb für eine offene Diskussion über die Gesundheitsreform, stellte aber wie Schmidt klar, dass es für alle Parteien schmerzliche Einschnitte geben werde. Die deutsche Wirtschaft sei in einer schwierigen Lage. Bundeskanzler Gerhard Schröder habe in seiner Rede vom vergangenen Freitag eine Senkung der Lohnnebenkosten angekündigt. Dies lasse sich ohne Einschnitte in das Gesundheitswesen nicht realisieren.

In der Sache ähnlich, allerdings im Ton wesentlich weniger verbindlich äußerte sich Grünen-Gesundheitspolitikerin Birgit Bender. In einem wettbewerblichen Gesundheitssystem hätten Versandhandels- und Mehrbesitzverbot keinen Platz: „Wir bauen bestimmt keine meterhohen Schutzzäune für Apotheker auf“, stellte sie fest.

Offensichtlich sieht Bender im Apotheker keinen Heilberufler. In ihren Ausführungen stellte sie das Arzneimittel als gewöhnliche Ware dar. Den Apotheker bezeichnete sie grundsätzlich als Unternehmer, der sich wie jeder andere Gewerbetreibende dem Wettbewerb stellen muss.

Erwartungsgemäß vertraten die Sprecher der Oppositionsparteien völlig andere Standpunkte. Im Hinblick auf die Konsensgespräche zwischen Regierung und Opposition eine große Hoffnung für die Apotheker. Denn gegen den Willen der Opposition ist keine umfassende Gesundheitsreform möglich.

Klipp und klar gegen Versand

Der CSU-Gesundheitspolitiker Horst Seehofer stellte dann auch sehr deutlich klar was seine Partei von einer Liberalisierung des Arzneimittelvertriebs hält: „Die CDU/CSU lehnt den Versandhandel mit Arzneimitteln klipp und klar ab.“ Nur die Apotheker könnten eine sichere wohnortnahe Versorgung mit Arzneimitteln garantieren. Auch von Fremd- und Mehrbesitz hält der Ex-Minister nichts: „Das führt nur zu einer Kommerzialisierung der Arzneimittelversorgung.“

Seehofer bedauerte, dass die Bundesregierung sich bei der Freigabe des Versandhandels zu sehr vom EuGH leiten lasse. Das Gesundheitswesen unterliege nach wie vor der nationalen Verantwortung. Dies sei im Prinzip auch der erklärte Wille der Bundesregierung. Wenn nun der EuGH das nationale Versandhandelsverbot tatsächlich kippe, dann müsste sich die Regierung dafür stark machen, dass die Gesetze geändert würden, auf deren Grundlage die Luxemburger Richter ihre Entscheidung gefällt haben. Denn sie verhinderten, dass Deutschland wie beabsichtigt sein Gesundheitswesen auf nationaler Ebene regele.

Der Regierung warf Seehofer bei der Gesundheitsreform grundsätzliche Fehler vor. Den Kostenanstieg der vergangen Jahre habe sie allein zu verantworten. Hätte Rot-Grün nicht die Budgets aufgehoben, die Selbstbeteiligungen gesenkt und den Beitrag von Arbeitslosen zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gesenkt, dann wäre die GKV heute nicht im Minus.

Die Reaktion auf den selbstverursachten Anstieg der Kosten sei der nächste Fehler gewesen. Statt die Entscheidungen rückgängig zu machen, habe man versucht, mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) die Ausgaben zu senken. Getroffen habe man damit allerdings diejenigen, die nachweislich keine Verantwortung für den Ausgabenschub hatten: Die Apotheker. Für steigende Arzneimittelausgaben sei neben der Bundesregierung vor allem die Industrie verantwortlich.

Bleibt das BSSichG in Kraft, hätte dies für Apotheker fatale Konsequenzen. Seehofer sieht den Berufsstand massiv gefährdet. Den Schaden hätten letztlich die Patienten, denn wenn es die freiberuflich geführte Apotheke nicht mehr gebe, müssten die Kranken auf „die beste Arzneimittelversorgung der Welt“ verzichten. Für Seehofer steht fest: „Das System darf nicht kaputtgespart werden.“

Nach Seehofers Überzeugung muss das BSSichG so schnell wie möglich weg. Den Schlüssel dazu sieht er in den SPD-Abgeordneten, die nur unter Vorbehalt dem Gesetz zugestimmt haben. FDP und Union werden im Frühjahr mehrere Gesetzentwürfe in den Bundestag einbringen, die sich gegen einzelne Teile des BSSichG richten, unter anderem auch gegen den Großhandelsrabatt. Die SPD-Abgeordneten müssten dann Farbe bekennen. In Gesprächen mit Apothekern ihres Wahlkreises hätten sie immer wieder betont, dass sie das BSSichG für falsch halten. Bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag müssten sie Farbe bekennen.

Bis zu einer Einigung mit der SPD über die Gesundheitsreform ist es also noch ein langer Weg. Seehofer sieht dabei seine Partei in einer komfortablen Situation. Es liege bei der Regierung, ein Reformkonzept auf den Tisch zu legen. Die Opposition werde sich dann Gesprächen nicht verschließen. Sicher sei aber, dass „Planwirtschaft und Dirigismus mit der Union nicht zu machen sind“. Seehofer forderte zudem die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel.

Diese Positionen teilt die FDP. Deren Gesundheitspolitischer Sprecher, Dr. Dieter Thomae, sieht keine Alternative zu einem von Heilberuflern getragenen Gesundheitswesen. „Die von Rot-Grün angestrebten Strukturen tragen wir nicht mit.“ Die Pläne der Regierung sind ideologisch motiviert nicht pragmatisch.“

Für mögliche Konsensgespräche mit SPD und Grünen versprach der FDP-Politiker den informellen Kontakt mit den Apothekern zu halten. „Wir werden uns bei der Gesundheitsreform eng mit den Leistungserbringern abstimmen.“ Die FDP sei für Vorschläge aus den reihen der Apothekerschaft jederzeit offen.

Fragen zum Versandhandel

Zur Podiumsdiskussion nach den Statements der Bundestagsfraktionen sammelte Moderator Bernd Seguin, Redakteur des NDRs, zunächst im Plenum Fragen ein, um sie gezielt an die Politiker weiter zu geben. Die gestellten Fragen drehten sich natürlich in erster Linie um den Versandhandel sowie um die wirtschaftlichen Einschnitte durch das Beitragssatzsicherungsgesetz nach dem 1. Januar 2003, aber auch Preisbildung und geplante Freigabe der Arzneimittelpreise im Selbstmedikationsbereich sowie die Qualitätssicherung spielten eine Rolle.

Schaich-Walch von der SPD betonte noch einmal, dass es an den Apothekern selbst liege, ob der Versandhandel in Deutschland Bedeutung bekommen wird oder nicht. Wenn es den Apothekern gelänge, mit mehr Versorgungsqualität die Patienten an die Apotheken zu binden, würden die Patienten mit den Füßen für die ortnahe Apotheke abstimmen. Die Frage aus dem Publikum, warum man dann überhaupt den Versandhandel zulassen will, blieb unbeantwortet. Schaich-Walch war andererseits überzeugt davon, dass höhere Patientenbeteiligungen insbesondere die sozial Schwachen zum Kauf von Arzneimitteln ins Ausland treiben würden.

Die Betroffenheit eines Apothekers, der über 50 Prozent Ertrageinbuße in diesem Jahr hinnehmen muss, veranlasste Seehofer noch einmal zu betonen, dass die CDU/CSU-Fraktion zusammen mit der FDP durch eine Gesetzesinitiative das BSSichG wieder aushebeln möchte. Das sei schon deshalb notwendig, weil das Parlament bei der Gesetzgebung falsch informiert worden sei.

Auf den Arzneimittelhandel in grenznahen Räume angesprochen, was unter anderem offensichtlich die Bundesministerin veranlasst habe, den Versandhandel zu unterstützen, warnte Seehofer ausdrücklich. Man sollte solche Sondersituationen nicht dazu heranziehen, Strukturänderungen im gesamten System zu begründen. Seehofer begründete seine Ablehnung des Versandhandeln und der Apothekenkette in der Diskussion noch einmal mit dem Argument, dass es nicht hinnehmbar sei, dass Ketten und Versand das Massengeschäft machen, die ortsnahe Apotheke aber nur noch für den Nachtdienst herhalten solle.

Bezüglich einer neuen Preisbildung zeigte er sich offen, lehnte aber jede Initiative ab, die in die Planwirtschaft führen würde. Er wolle keinen Krankenkassenstaat. Er verurteilte auch, mit Populismus und „Neidhammelei“ Politik zu machen. Man solle lieber richtig Politik machen, Und dazu gehöre auch, ehrlich zu den Bürgern zu sein, und ihnen zu sagen, wenn sie weiterhin Hochleistungsmedizin haben wollen, müssten sie sich mehr beteiligen.

Dr. Dieter Thomae von der FDP schlug in dieselbe Kerbe und unterstellte der rot-grünen Regierung, die Freiberuflichkeit zu zerstören. Das BSSichG sei ein Schritt in diese Richtung. Keine Apotheke können über längere Zeit, die Rohertragseinbußen schultern, deshalb sollte das Gesetz durch ein neues Gesetz der CDU/CSU und FDP möglichst schnell wieder abgeschafft werden.

Schaich-Walch räumte ein, dass die Belastungen offensichtlich höher ausgefallen seien, als ursprünglich beabsichtigt. Man werde mit dem Berufstand die Problematik an Hand konkreter Zahlen erörtern. Die 350 Millionen Euro Belastung der Apotheken werden man allerdings nicht zurück nehmen.

Zusammen mit Birgit Bender von Bündnis 90/Die Grünen, die sich offensichtlich in ihren Gedanken mehr noch den Gesundheitsökonomen und weniger vom Verbraucherschutz leiten ließ, lehnte auch sie den Krankenkassenstaat ab. Andererseits befürwortet sie Preisverhandlungen der Krankenkassen mit der Industrie.

In der Diskussion wurde unter anderem auch deutlich, dass offensichtlich über die Freigabe der Preise bei Selbstmedikationsarzneimitteln noch nicht endgültig entschieden ist.

 

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