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Realität gewordene Befürchtungen

17.03.2003  00:00 Uhr

Außerordentlicher Deutscher Apothekertag 2003

Realität gewordene Befürchtungen

„Exakte Zahlen sind eines der besten Argumente, die Apotheker zurzeit haben,“ erklärte der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), Hermann Stefan Keller. Keller moderierte den Programmpunkt „Auswirkungen des Beitragssatzsicherungsgesetzes auf die Apotheken.“ Als Referent präsentierte Dr. Frank Diener, Geschäftsführer für Wirtschaft und Soziales der ABDA, aktuelle Zahlen des ersten Quartals.

Dass die Arzneimittelausgaben der GKV seit Jahren steigen sei unbestritten und liefere der Politik immer wieder einen Aufhänger für weitere Eingriffe in den Arzneimittelbereich, sagte Diener. Doch an den 2002 angefallenen GKV-Arzneimittelmehrausgaben von 1,1 Milliarden Euro seien die Apotheken nur zu einem geringen Prozentsatz beteiligt. Rund 853 Millionen Euro des Wachstums fielen auf die Industrie, 155 Millionen gingen in Form von Steuereinnahmen an den Staat, 95 Millionen an den Großhandel. Lediglich 19 Millionen Euro der Arzneimittelmehrausgaben gingen an die Apotheken. „Eine Steigerung des Apothekenumsatzes entspricht eben nicht einer Steigerung des Apothekenertrags,“ stellte der ABDA-Geschäftsführer fest

Um die GKV-Ausgaben für Arzneimittel zu begrenzen, verabschiedete die Bundesregierung das Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG), das am 1. Januar 2003 in Kraft trat. Die darin enthaltene neue Rabattregelung sollte die Pharmaindustrie mit 400 Millionen Euro, den Großhandel mit 600 Millionen und die Apothekerschaft mit 400 Millionen Euro belasten.

So der Plan. Doch bereits im Herbst 2002 hatte die ABDA gewarnt, dass der Großhandel seinen Abschlag auf die Apotheken abwälzen werde, sagte Diener. Die ABDA hatte der Politik damals schon vorgerechnet, dass die Apotheken zusätzlich zu den durch den erhöhten Kassenrabatt anfallenden 400 Millionen Euro auch noch den Beitrag des Großhandels von 600 Millionen Euro übernehmen müssten. Dies bedeute einen Rückgang des Apothekenrohertrags um insgesamt eine Milliarde Euro. Der Rohertrag einer durchschnittlichen Apotheke würde somit in 2003 um etwa 46.500 Euro zurückgehen.

Seit vergangenem Herbst beteuert der Gesetzgeber immer wieder, dass die von Großhandel und Herstellern zu erbringenden Abschläge nicht auf die Apotheken abgewälzt werden könnten. Dieser offiziellen Haltung widerspricht allerdings eine interne Einschätzung des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung von Oktober 2002. In diesem Papier wird davon ausgegangen, dass „die Großhändler 0,6 Milliarden Euro an Rabattzahlungen, die bisher an die Apotheken gehen, nun an die GKV geben“. Zusammen mit den finanziellen Auswirkungen aus der Kappung der Apothekenzuschläge ergebe sich so eine Belastung von 45.300 pro Apotheke, heißt es in dem Papier weiter. „Das ist fast exakt dieselbe Zahl, die auch die ABDA der Politik vorgerechnet hatte“, erklärte Diener.

Dass die Prognosen der ABDA keine realitätsfernen Horrorszenarien sind, beweisen auch die vorläufigen Zahlen des ersten Quartals 2003: Den Hochrechnungen zufolge wird der Großhandel fast 85 Prozent seines Abschlages von 600 Millionen Euro auf die Apotheken abwälzen. Die neue Rabattregelung belastet deshalb die Apotheker übermäßig stark. Dabei schöpfte der Staat bereits vor Verabschiedung des BSSichG die durch Rabatte erzielten Einkaufsvorteile der Apotheker ab.

Den insgesamt 1,1 Milliarden Euro, die Apotheken als Einkaufsvorteile im Jahr 2002 erzielten, stehen 1,44 Milliarden Euro gegenüber, die sie als Abschlag an die GKV zahlten. „Es wurden also rund 340 Millionen Euro mehr an GKV-Abschlag abgeführt als an Einkaufsvorteilen eingenommen wurde“, führte Diener aus. Im kommenden Jahr werde sich diese Situation drastisch verschärfen. Diener rechnet damit, dass die Apotheken dann 1,24 Milliarden Euro mehr an GKV-Rabatte bezahlen müssen, als sie durch Einkaufsvorteile vom Großhandel erhalten. „Dies entspricht einer Überabschöpfung von 200 Prozent“, so der ABDA-Geschäftsführer.

Die zusätzliche Belastungen der Apotheken könnte in Kürze zu einem drastischen Personalabbau führen, wie eine Quartalsbefragung des DAV an über 6600 Apothekenleitern zeigte. Der Umfrage zufolge, planen rund 13 Prozent der Befragten, die Entlassung eines geringfügig beschäftigten Mitarbeiters. Etwa 30 Prozent gehen davon aus, dass sie einen Voll- oder Teilzeitbeschäftigten entlassen müssen. 22 Prozent der Apothekenleiter planen eine Vollzeitstelle zu reduzieren und 35 Prozent eine Teilzeitstelle weiter zu reduzieren. Dadurch würde der Großteil der Stellen vernichtet, die deutsche Apotheken in den letzten zehn Jahren geschaffen haben, so Diener.

Die Nachteile und die übermäßig starke Belastung, die das BSSichG für die Apotheken mit sich bringt, haben auch die Abgeordneten des deutschen Bundestages erkannt. 59 Abgeordnete aus der SPD-Fraktion stimmten dem Gesetz nur unter Vorbehalt zu: Sie forderten eine „Überprüfung nicht nur der geplanten und tatsächlichen von den Apotheken erbrachten Sparbeiträge, sondern auch der wirtschaftlichen Konsequenzen für die Apotheken“. Daher räumt Diener dem von der Unionsfraktion im Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des BSSichG, dass den Artikel 11 über den Großhandelszwangsrabatt aufhebt, gute Chancen ein. Denn: „Die übermäßigen Belastungen der Apotheken sind Fakt und sie sind den Abgeordneten bekannt.“ Nun sei der Gesetzgeber gefragt, das bestehende Gesetz zu ändern.

Auf Nachfrage von Dr. Gabriele Bojunga, Präsidentin der Landesapothekerkammer Hessen, informierte Keller das Auditorium, dass die ersten exakten Zahlen zu den Auswirkungen des BSSichG vermutlich Ende März vorlägen und dann auch den Parteien präsentiert würden. Dem Vorwurf aus dem Publikum, dass die Herstellerabschläge bei den Rechenzentren nur schleppend eingingen, entgegnete Diener, dass die Hersteller durch die Rabattregelung mit einer völlig neuen Situation konfrontiert seien: Sie müssten die Abrechnung sorgfältig prüfen, was zu Verzögerungen führen könnte, so Diener. Eine Sabotagestrategie könne die ABDA darin nicht erkennen. 80 bis 90 Prozent der Hersteller seien ihrer Verpflichtung bereits nachgekommen. Der restliche Betrag würde in Kürze eintreffen. Außerdem habe das Bundesministerium für Gesundheit zugesagt, dass zur Not auch der Gesetzgeber eingreifen würde. Die ABDA achte streng darauf, dass die Apothekenrechenzentren nicht zu stark belastet würden. Diener: „Das Problem darf nicht bei uns hängen bleiben.“

 

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