Therapie-Trip ins Ungewisse |
Jennifer Evans |
04.11.2024 13:30 Uhr |
Bewusstseinsveränderung statt Dauermedikation? Wie gut ein Trip sich als Therapie eignet, war kürzlich Thema einer Diskussionsrunde in Berlin. / © Adobe Stock/panumas (KI-generiert)
Liefern Psychedelika ihren Nutzern wirkliche Erkenntnisse oder erzeugen sie eher eine trügerische Illusion? Über die Potenziale und Risiken der bewusstseinsverändernden Substanzen in der Therapie von psychischen Erkrankungen tauschten sich kürzlich Experten unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen in der Berliner Urania aus.
Außer Esketamin, das als Nasenspray Spravato® bei Major Depression zugelassen ist, besitzen Psychedelika noch keine Zulassungen. In Studien wurden und werden psychedelische Substanzen wie Psilocybin, MDMA oder LSD bei Angsterkrankungen, Depressionen, Zwangs- oder posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) getestet. Die Ergebnisse waren teilweise so positiv, dass in den USA bereits ein Zulassungsantrag für MDMA bei PTBS gestellt wurde – allerdings zunächst ohne Erfolg. Wegen der bewusstseinsverändernden Wirkung der Substanz sei eine Verblindung der entscheidenden Studie nicht möglich gewesen, hatte die US-Arzneimittelbehörde bemängelt. Das ist ein Problem, denn gerade dieser Effekt scheint zentral für die Wirkung der Psychedelika bei psychischen Erkrankungen zu sein.
Doch wie erleben Betroffene nach der Einnahme eigentlich ihren Trip? Laut Dr. Andrea Jungaberle, Notfallmedizinerin und Chefärztin der OVID Clinic Berlin, sprechen Patientinnen und Patienten vor allem von intensiven Emotionen. Einige hätten das Gefühl, mit dem Boden zu verschmelzen, andere sähen die Welt in Schwarz-Weiß und wieder andere könnten um ein Vielfaches schneller denken, berichtet sie aus ihrer Praxis.
Welche Wirkung haben bewusstseinsverändernde Erfahrungen auf Patienten und was bedeutet das für ihre Therapie? »Solche Erlebnisse können Menschen viel geben«, betonte der Berliner Psychologe und Schriftsteller Dr. Jakob Hein. Denn Betroffenen sei es auf diese Weise möglich, ihre Ängste zu durchlaufen und diesen nicht auszuweichen. Zudem seien sie in dem Zustand in der Regel befreit von Selbstzensur.
Das bestätigte auch Jungaberle. Der Blick über das Erfahrbare hinaus eröffne neue Horizonte: neue Denkbahnen und Denkmuster, die sich dann in der Therapie wieder verankern ließen. Neu an dem Ansatz ist auch, dass statt langfristiger Arzneimittelgabe meist nur ein bis zwei Sitzungen nötig sind.
Belege für den Gebrauch von Psychedelika existierten in fast allen Kulturen der Welt, berichtete der Philosoph Privatdozent Dr. Sascha Benjamin Fink, Forschungsdirektor am Centre for Philosophy and AI Research an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Hinter diesem universellen »Interesse am Rausch« vermutet Fink den »Wunsch nach einer Auszeit«. Dieser Erholungsgedanke sei durchaus »kulturell eingebettet«, wie sich auch am Konsum von Alkohol oder anderen Drogen zeige. Die Effekte von psychedelisch wirksamen Pflanzen seien dagegen meist weniger bekannt, weshalb sie in einigen Gesellschaften Angst oder sogar Ablehnung erzeugten.
Grundsätzlich stimmte Jungaberle ihm zu, wies jedoch darauf hin, dass in vielen indigenen Kulturen nicht der Erkrankte selbst, sondern der Heiler oder Schamane die Pilze einnehme, um dem Patienten zu helfen. Es stelle sich daher die Frage, ob da überhaupt von einer Therapie nach unserem Verständnis die Rede sein könne.