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Johanniskraut

Teuflisch gut und heilig bitter

Johanniskraut, Hypericum perforatum, volkstümlich auch bekannt als Fuga daemonum oder »Jageteufel«, gilt heutzutage als eine der am besten erforschten Heilpflanzen. Schon früh erkannte die Heilkunde das Potenzial dieser Pflanze – insbesondere galt es aber als Mittel gegen Dämonen und »Verzauberungen«.
Anne Roestel
03.12.2024  07:00 Uhr

Von Constantinus Africanus empfohlen

Der Melancholie-Traktat des Rufus von Ephesos beeinflusste nicht nur Galenos von Pergamon, sondern bildete um 900 auch die Grundlage für eine Abhandlung des arabischen Arztes Ishaq ibn Imran, die dann wiederum im 11. Jahrhundert von Constantinus Africanus unter dem Titel »De accidentibus melancolie et eius diffinitione« ins Lateinische übertragen wurde.

Als Therapie für die hypochondrische Melancholie mit den Symptomen Niedergeschlagenheit, Furcht, Todesangst und Misstrauen empfiehlt Constantinus Africanus Johanniskrautsamen und den ausgepressten Pflanzensaft. Hier treffen jetzt medizinische Theorie und praktische Arzneimitteltherapie zusammen.

Zu den Symptomen der wahnhaften Melancholie zählen bei Constantinus Africanus und seinen Fachkollegen Einbildungen (imaginationes) wie figurae nigrae (schwarze Gestalten) oder spectra (Erscheinungen). Dies spielt eine nicht unwichtige Rolle in Hinblick auf die spätere Karriere des Johanniskrauts als »Superpflanze« zum Vertreiben von Dämonen und als Schutz gegen Hexereien und Verzauberungen. Von der Imagination, der subjektiven Einbildung, die einem Kranken »spectra« vorgaukelt, ist es nämlich nur ein kurzer semantischer Sprung zur Einmischung »realer« Dämonen.

Darauf verweist im 16. Jahrhundert die humanistische Etymologie: Hypericon, von Altgriechisch hyper eicon, im Lateinischen super imaginem, bedeutet, »über die Erscheinungen und Gespenster eine Herrschaft oder Gewalt« zu haben. Und weil es die Gespenster bezwinge, so werde das Johanniskraut auch Fuga daemonum genannt. Dass sich das Motiv der Geister- beziehungsweise Teufelsaustreibung im Zusammenhang mit Johanniskraut bereits im Spätmittelalter einiger Beliebtheit erfreute, zeigt sich in Handschriften-Illustrationen wie derjenigen im anonym verfassten »Tractatus de herbis« (15. Jahrhundert).

Warum die Bezeichnung Fuga daemonum?

Der bislang früheste Nachweis für die Bezeichnung Fuga daemonum findet sich im 14. Jahrhundert in einem der Schlüsselwerke der spätmittelalterlichen Alchemie, dem Liber de consideratione quintae essentiae omnium rerum des Franziskaners Johannes von Rupeszissa (um 1311 bis 1365).

Der Name Fuga daemonum kommt hier nicht von ungefähr, sondern beruht vermutlich entweder auf einem Übertragungsfehler beim Kopieren, einer missverstandenen Korrektur oder auch einfach auf einem genialen Kniff. Im Canon medicinae des Avicenna trägt nämlich in der lateinischen Übertragung des Gerhard von Cremona das Johanniskraut den Beinamen »uva demonis syriace«: »Teufelstraube, wie es auf Syrisch heißt«.

Dieser Name wurde bei späteren Bearbeitungen als enzyklopädischer Ballast teils mitgeschleppt, teils aufgegeben. Bei Johannes von Rupeszissa taucht das Johanniskraut dann plötzlich als Fuga daemonum auf und zwar passend in einem Kapitel zum drohenden Dämonenbefall an Melancholie erkrankter Patienten. Da »uva« und »fuga« fast gleichlautend sind, liegt der Verdacht nahe, dass fuga eine Manipulation von uva darstellt.

Was spricht für Rupeszissa als Urheber dieser Manipulation? Im Gegensatz zu den professionellen medizinischen Fachschriftstellern des Mittelalters vermischt sich der Ansatz bei Rupeszissa stark mit der Theologie und insbesondere mit der von der Amtskirche nicht anerkannten Endzeitspiritualität des Joachim von Fiore. Rupeszissa schreibt in Einklang mit der medizinischen Tradition, dass jeder Körpersaft seine eigene Art von Einbildungen hervorbringe, ein Überschuss der Schwarzen Galle aber die allerschrecklichsten Gedanken. Die Schwarze Galle steige ins Gehirn, wo sie alles durcheinanderbringe, Einbildungen hervorrufe, grässliche Verwirrung stifte und Tag- und Nachtrhythmus durcheinanderwerfe. So erzeuge sie denjenigen Zustand, den die Dämonen lieben: die zwanghafte und hoffnungslose Traurigkeit (tristitia phantastica). Hier finde sie ein Einfallstor zu den Gedanken des Kranken und könne großes Unheil stiften.

Was die Traurigkeit vertreibt, den Menschen fröhlich stimmt und damit auch vor dem Dämon schützt, seien die von Rupeszissa entwickelten alchemischen Quintessenzen aus Gold und Perlen sowie der Samen des Johanniskrauts.

Dass Dämonen den menschlichen Geist infiltrieren können, war keine Erfindung des Rupeszissa, sondern kirchenrechtlich abgesichert. Im Decretum Gratiani (verfasst um 1140), das bis 1917 den Kern des Corpus Iuris Canonici bildete, ist festgelegt, dass Dämonen die inneren Gemütsverfassungen der Menschen wahrnehmen, durch Trugbilder Zugang zu ihren Gedanken finden und Menschen sogar mit Krankheiten anstecken können.

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