Tatort Weltall – eine Prüfung für Ermittler |
Jennifer Evans |
21.08.2025 12:00 Uhr |
Gerechtigkeit unter Sternen: Weltraumdetektive haben es schwer, Verbrechen aufzuklären. Im All greifen viele forensische Methoden nicht. / © Getty Images/Dragos Condrea
Ein begrenzter Raum, eine begrenzte Anzahl an Verdächtigen, kein Kontakt zur Außenwelt – das sind perfekte Zutaten für einen Krimi. Einen Mord auf der ISS zu klären, würde Ermittler vor große Herausforderungen stellen. Doch hier kommt die Astroforensik ins Spiel, eine wissenschaftliche Disziplin, die noch in den Kinderschuhen steckt, aber laut einem Bericht im »BBC Science Focus Magazine« immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Am Beispiel hypothetischer Verbrechen auf der ISS erläutern Experten, was ein Weltraumkriminalist alles zu bedenken hätte. Angesichts der bevorstehenden zivilen Raumfahrt fordern sie, gezielt in die Astroforensik zu investieren, die ersten Teams forschen bereits.
Zurück zur Detektivarbeit im All. Wegen der geringen Schwerkraft eignen sich etablierte forensische Methoden hier nicht zur Verbrechensaufklärung. Angefangen bei der Analyse von Blutspritzern, bei der normalerweise mithilfe von Strömungsdynamik, Physik und Mathematik die Flugbahn der roten Tropfen berechnet wird, um zu verstehen, wie diese auf eine Oberfläche treffen. Zum Einfluss von Umweltfaktoren auf die forensische Blutspurenanalyse promovierte Zack Kowalske. Er ist forensischer Ermittler in der Crime Scene Investigations (CSI) Unit der Polizei von Roswell in Georgia (USA).
Sein Experiment, bei Mikrogravitation den Aufprallwinkel von Blut zu berechnen, scheiterte, weil die Schwerkraft einer der entscheidenden Faktoren für die Analyse ist. Ohne sie greift die Oberflächenspannung und kann verhindern, dass Blut verspritzt. Rote Flecke zweifelhafter Herkunft würden Weltraumermittler also vor ein Rätsel stellen. Damit nicht genug: Während Bluttropfen aufgrund der Schwerkraft der Erde eine gekrümmte Flugbahn haben, bewegen sie sich im All in einer geraden Linie, bevor sie auf eine Oberfläche treffen. Ein weiteres Problem: Das Blut des Opfers sammele sich nicht nur an einer Stelle und der Täter hinterließe auch keine verräterischen Tropfspuren, heißt es.
Am Ende bleiben mehr Fragen als Antworten: Wäre die Flugbahn des Bluts durch die Luftströmungen beeinflusst, die für die Sauerstoffzirkulation in der Raumstation sorgen? Wie trocknet Blut in Mikrogravitation? Oder würden die Hightech-Materialien an Bord wie etwa hydrophobe Flächen den Aufprall verändern?
Die gute Nachricht: Zumindest eine abgefeuerte Waffe hinterließe ähnlich wie auf der Erde eine Wolke aus Gasen und Rückständen. Diese kondensierten dann zu Flüssigkeitströpfchen und festen Partikeln, die sich allmählich am Tatort, am Mörder und am Opfer ablagern, so Dr. Chris Shepherd, forensischer Ballistikexperte an der Universität von Kent in Großbritannien. In einer Raumstation wäre es sogar deutlich schwieriger, solche Spuren zu beseitigen, betont er, weil sich Astronauten mit Schwamm und Seife waschen würden, anstatt zu duschen. Auch in den Filtern des Belüftungssystems wären wahrscheinlich Hinweise zu finden, meint er.
Wie lange Schussrückstände in verschiedenen Umgebungen erhalten bleiben, ist nach Shepards Angaben selbst auf der Erde nicht völlig geklärt. Im Weltall hält er es für noch kniffliger. Es ist demnach aber wahrscheinlich, dass zumindest die gleichen ballistischen Fingerabdrücke auf Kugel und Lauf der Waffe entstehen und diese einzigartigen Markierungen gute Indikatoren lieferten. Er vermutet, dass eine Kugel in den dicken Wänden der ISS stecken bleibt oder aber abprallt, um dann in der Kabine herumzuschweben.
Wenn es dagegen ums Aufspüren der DNA eines Täters geht, könnte die abgeschlossene Umgebung für die Forensik von Vorteil sein. Beweise wie Haare oder Fasern blieben an Bord, entweder am Tatort oder in Luft- oder Wasserfiltern, so Dr. Valerie Ryder, Leiterin der Toxikologie am Johnson Space Center der NASA. Allerdings mahnt sie zur Eile, weil DNA-Spuren im All wegen der höheren Sonneneinstrahlung voraussichtlich schneller zerfallen. Sicher ist das aber nicht. Eine Studie, auf die sich Ryder beruft, zeigte, dass DNA – angebracht an der Außenseite einer Forschungsrakete – sowohl den Start und Allflug als auch später den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre überstanden hatte – trotz der hohen Temperaturen.
Kein Zweifel hat sie, dass gängige Methoden zur Sicherung von Fingerabdrücken an ihre Grenzen kämen. Forensiker verwenden dafür meist Pulver auf Kohlenstoff- oder Metallbasis, das an der Feuchtigkeit der Fingerabdrücke haftet. Oder es kommen Dämpfe aus einem erhitzten Klebstoff zum Einsatz, die sich mit den Fingerabdrücken verbinden. In beiden Fällen würden jedoch der Staub oder die Gase in der Luft schweben und auf der ISS verbleiben, so Ryder. Doch Astroforensik-Teams arbeiteten bereits an Lösungen mit Laserscannern oder ultraviolettem Licht, heißt es in dem Bericht.
Ebenso kompliziert gestaltet sich eine Autopsie, wenn Körperflüssigkeiten durch die Gegend schweben. Ohnehin wäre der Todeszeitpunkt schwer zu ermitteln, wie der Kriminologe und Strafrechtsanwalt von der Northumbria Universität, Dr. Mehzeb Chowdhury, hervorhebt. Auf der Erde gilt das Muster, wie sich das Blut nach dem letzten Herzschlag eines Menschen ansammelt, als ein Indiz. Doch geringe oder keine Schwerkraft könnte eine gleichmäßigere Verteilung zur Folge haben, mutmaßt er.
Erschwerend kommt hinzu, dass es auf der ISS weniger Mikroben oder verwesende wirbellose Tiere gebe, um anhand des Verwesungsgrads der Leiche den Todeszeitpunkt zu ermitteln. Er plädiert dafür, Robotik und künstliche Intelligenz einzusetzen, um anhand von Bild- und Videoaufnahmen später einen Tatort in virtueller Realität zu rekonstruieren.
Alle Hoffnung ist aber auch im Weltraum nicht verloren. Immerhin wäre die Ausstattung des Raumstationslabors ausreichend geeignet, um mit Rasterelektronenmikroskopen Schmauchspuren zu analysieren, mit Massenspektrometern giftige Substanzen zu identifizieren oder mit Sequenzierungsgeräten die DNA eines Verdächtigen zu bestimmen. Zum Glück ist noch kein großes Verbrechen auf der ISS passiert – bis jetzt.