| Annette Rößler |
| 23.08.2024 16:20 Uhr |
Unter dem Strich halten die WHO-Experten die Evidenz für ausreichend, dass Talk folgende Krebsarten verursacht: Mesotheliom (Weichteilgewebetumor, der häufig im Brustfell nach Asbestexposition auftritt) sowie Krebs der Lunge, des Kehlkopfs und der Eierstöcke. Außerdem gebe es begrenzte Evidenz für ein erhöhtes Rachen-, Magen- und Darmkrebsrisiko durch Talk.
Der Krebsinformationsdienst weist aber darauf hin, dass das persönliche Krebsrisiko für den Einzelnen trotz dieser Einstufung nicht zwangsläufig erhöht sein muss. Denn dieses hänge von vielen Faktoren ab. Mit Blick auf die Exposition von krebserregenden oder wahrscheinlich krebserregenden Substanzen komme es beispielsweise auch darauf an, wie ein Mensch mit dem Stoff in Kontakt kommt – ob er ihn also einatmet, schluckt oder berührt – und wie häufig beziehungsweise stark der Kontakt war oder ist.
Dies unterstreicht auch Dr. Rolf Daniels, Professor i. R. für Pharmazeutische Technologie an der Universität Tübingen, im Gespräch mit der PZ. »Meines Erachtens gilt es, sehr verantwortungsvoll mit dieser Information umzugehen und nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Der Nutzen eines Arzneimittels wird nach meiner Einschätzung das Risiko, das von Talkum ausgeht, immer um ein Vielfaches übersteigen«, sagt er mit Blick auf die Verwendung von Talk als Hilfsstoff in Fertigarzneimitteln.
Talk sei in mehreren Tausend Fertigarzneimitteln enthalten, überwiegend Filmtabletten, in denen es als sogenanntes Gegenklebemittel eingesetzt werde, um beim Überziehen ein Zusammenkleben der Kerne zu verhindern. Der Hilfsstoff sei in dieser Funktion nur in Ausnahmefällen eventuell durch Glycerolmonostearat oder (silikonisiertes) Silika zu ersetzen. »Entsprechende Versuche mit ungewissem Ausgang inklusive zugehöriger Stabilitätsstudien stehen nach meinem Dafürhalten aber in keinem Verhältnis zu einer möglichen Risikominderung«, stellt Daniels klar.
»Ich selbst würde mir wünschen, dass die Neubewertung von Talk keine Auswirkung auf die Verwendung in Arzneimitteln oder zumindest in Filmtabletten hat«, sagt der Technologe. »Zum einen geben die Daten, die der Einschätzung zugrunde liegen, überhaupt keine Information dazu her, wie sich Talk verhält, wenn er in einem Filmüberzug mit Polymeren verarbeitet ist. Zum anderen sind die Mengen äußerst gering und es wäre meines Erachtens eine Nutzen-Risiko-Bewertung des gesamten Arzneimittels – auch des Arzneistoffes – vorzunehmen, bevor dieser Hilfsstoff mit großem Aufwand vermieden wird.«
Es sei zu befürchten, dass bei zahlreichen Patienten die Adhärenz leide, wenn der Hilfsstoff Talk »verunglimpft« werde. Denn die Patienten könnten die Information, dass Talk jetzt als wahrscheinlich krebserregend gilt, nicht bewerten. Aus der Liste der sonstigen Bestandteile eines Arzneimittels gehe lediglich hervor, ob Talk enthalten ist, aber nicht in welcher Menge.
Das Ausmaß der Exposition spielt aber, wie auch der Krebsinformationsdienst betont, eine entscheidende Rolle für das tatsächliche persönliche Risiko. Das gilt für alle potenziell schädlichen Stoffe. »Man stelle sich nur einmal vor, was es für einen Aufschrei von Konsumenten und Erzeugern geben würde, wenn man erwägen würde, rotes Fleisch als ›wahrscheinlich krebserregend‹ zu kennzeichnen«, zieht Daniels einen Vergleich.