Talk ist »wahrscheinlich krebserregend« |
| Annette Rößler |
| 23.08.2024 16:20 Uhr |
Viele Kosmetikprodukte enthalten Talk oder auch Talkum. Dieser Stoff wurde jetzt von einem WHO-Expertengremium als »wahrscheinlich krebserregend« eingestuft. / Foto: Adobe Stock/Nikolay N. Antonov
Talk oder auch Talkum ist pulverisiertes, hydratisiertes Magnesiumsilikat und hat die chemische Formel Mg3Si4O10(OH)2. Er wird in vielen Ländern als Rohstoff abgebaut, kann mittlerweile aber auch synthetisch hergestellt werden. Im pharmazeutischen Wörterbuch »Hunnius« wird Talk als »sehr feines, weiches, sich fettig anfühlendes, schweres Pulver« beschrieben, das unter anderem bei der Tablettenherstellung als Schmiermittel eingesetzt wird. Bei der Verwendung als Pudergrundlage macht man sich die Eigenschaft von Talk zunutze, dass es die Haut gleitend macht, ohne zu fetten. Pasten und Lotionen können Talk als Bestandteil der Feststoffphase enthalten.
Außer im pharmazeutisch-technologischen Bereich findet Talk als Hilfsstoff breite Anwendung bei der Herstellung von Plastik, Keramik, Farben und Papier, in der Gummi- und Baustoffindustrie sowie in Lebensmitteln und Kosmetika. Eine Spezialanwendung von medizinischem Talk stellt die Pleurodese dar. Dabei wird durch gezieltes Herbeiführen einer lokalen Entzündung das Lungenfell mit dem Rippenfell verklebt. Infrage kommt die Pleurodese etwa für Krebspatienten mit größeren Ergüssen im Brustkorb.
Bei den olympischen Spielen in Paris kam Talk ebenfalls zum Einsatz: Turner verwenden mit Talk vermischtes Magnesia, um vor Übungen an Geräten ihre Hände zu präparieren. / Foto: Imago Images/Schreyer
Talk kann asbestförmig sein. Das bedeutet, dass die einzelnen Kristalle eine bestimmte nadelförmige Struktur aufweisen. Asbestförmiger Talk ist aber kein Asbest im engeren Sinn. Unabhängig davon war Talk in der Vergangenheit häufig mit »echtem« Asbest kontaminiert und die von der Kosmetik- beziehungsweise Pharmaindustrie verwendeten Nachweismethoden seien oft unzureichend darin gewesen, diese Kontamination anzuzeigen. Das stellt die IARC in einer neuen Veröffentlichung zur Karzinogenität von Talk im Fachjournal »The Lancet Oncology« fest.
Asbesthaltiger Talk wurde von der IARC bereits 2009 als »krebserregend« (IARC-Gruppe 1) eingestuft. In der aktuellen Bewertung sollte es ausschließlich um asbestfreien Talk gehen, allerdings stellte eine mögliche Verunreinigung mit Asbest, die nicht sicher ausgeschlossen werden konnte, laut einer Pressemitteilung der IARC ein Problem vieler Studien dar.
Schließlich stufte das Expertengremium Talk nun als »wahrscheinlich krebserregend« und damit in die Gruppe 2A ein. Das bedeutet, dass es für ein Krebsrisiko zwar nur begrenzte Beweise beim Menschen, aber ausreichende Beweise aus Tierversuchen gibt. Damit steht Talk jetzt auf einer Stufe mit rotem Fleisch, wie der Krebsinformationsdienst vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) veranschaulicht.
In der Pharmazeutischen Technologie wird Talk als sogenanntes Gegenklebemittel bei der Herstellung von Filmtabletten verwendet. / Foto: Adobe Stock/Bogdan
Als begrenzten Beweis für eine von Talk ausgehende Krebsgefahr wertete die IARC, dass Frauen, die talkhaltige Intimpuder angewendet hatten, in Beobachtungsstudien häufiger an Eierstockkrebs erkrankten als Frauen, die das nicht getan hatten. Allerdings gab es dabei das schon erwähnte Problem der möglichen Asbestkontamination; zudem hatten die Teilnehmerinnen mit und ohne Krebs unterschiedliche Angaben dazu gemacht, wie sie das Puder verwendet hatten. Auch eine erhöhte Rate von Eierstockkrebs bei Frauen mit beruflicher Talkexposition in der Zellstoff- und Papierindustrie zählte laut IARC lediglich als begrenzter Beweis, da nicht sicher ausgeschlossen werden konnte, dass die Frauen nicht auch gleichzeitig Asbest ausgesetzt waren.
Ausreichende Beweise aus Tierversuchen sind laut IARC, dass bei Tieren, die mit Talk behandelt wurden, gehäuft ungewöhnliche und seltene Tumoren auftraten. Diese Studien seien ebenso qualitativ hochwertig gewesen wie Versuche mit Zellkulturen, in denen gezeigt wurde, dass Talk prinzipiell wesentliche Merkmale eines Karzinogens aufweist: Es verursacht chronische Entzündungen und verändert die Proliferation, den Tod oder die Nährstoffversorgung von Zellen. Die IARC weist darauf hin, dass eine Asbestkontamination des getesteten Talks in diesen Studien höchst unwahrscheinlich gewesen sei.
Unter dem Strich halten die WHO-Experten die Evidenz für ausreichend, dass Talk folgende Krebsarten verursacht: Mesotheliom (Weichteilgewebetumor, der häufig im Brustfell nach Asbestexposition auftritt) sowie Krebs der Lunge, des Kehlkopfs und der Eierstöcke. Außerdem gebe es begrenzte Evidenz für ein erhöhtes Rachen-, Magen- und Darmkrebsrisiko durch Talk.
Der Krebsinformationsdienst weist aber darauf hin, dass das persönliche Krebsrisiko für den Einzelnen trotz dieser Einstufung nicht zwangsläufig erhöht sein muss. Denn dieses hänge von vielen Faktoren ab. Mit Blick auf die Exposition von krebserregenden oder wahrscheinlich krebserregenden Substanzen komme es beispielsweise auch darauf an, wie ein Mensch mit dem Stoff in Kontakt kommt – ob er ihn also einatmet, schluckt oder berührt – und wie häufig beziehungsweise stark der Kontakt war oder ist.
Dies unterstreicht auch Dr. Rolf Daniels, Professor i. R. für Pharmazeutische Technologie an der Universität Tübingen, im Gespräch mit der PZ. »Meines Erachtens gilt es, sehr verantwortungsvoll mit dieser Information umzugehen und nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Der Nutzen eines Arzneimittels wird nach meiner Einschätzung das Risiko, das von Talkum ausgeht, immer um ein Vielfaches übersteigen«, sagt er mit Blick auf die Verwendung von Talk als Hilfsstoff in Fertigarzneimitteln.
Talk sei in mehreren Tausend Fertigarzneimitteln enthalten, überwiegend Filmtabletten, in denen es als sogenanntes Gegenklebemittel eingesetzt werde, um beim Überziehen ein Zusammenkleben der Kerne zu verhindern. Der Hilfsstoff sei in dieser Funktion nur in Ausnahmefällen eventuell durch Glycerolmonostearat oder (silikonisiertes) Silika zu ersetzen. »Entsprechende Versuche mit ungewissem Ausgang inklusive zugehöriger Stabilitätsstudien stehen nach meinem Dafürhalten aber in keinem Verhältnis zu einer möglichen Risikominderung«, stellt Daniels klar.
»Ich selbst würde mir wünschen, dass die Neubewertung von Talk keine Auswirkung auf die Verwendung in Arzneimitteln oder zumindest in Filmtabletten hat«, sagt der Technologe. »Zum einen geben die Daten, die der Einschätzung zugrunde liegen, überhaupt keine Information dazu her, wie sich Talk verhält, wenn er in einem Filmüberzug mit Polymeren verarbeitet ist. Zum anderen sind die Mengen äußerst gering und es wäre meines Erachtens eine Nutzen-Risiko-Bewertung des gesamten Arzneimittels – auch des Arzneistoffes – vorzunehmen, bevor dieser Hilfsstoff mit großem Aufwand vermieden wird.«
Es sei zu befürchten, dass bei zahlreichen Patienten die Adhärenz leide, wenn der Hilfsstoff Talk »verunglimpft« werde. Denn die Patienten könnten die Information, dass Talk jetzt als wahrscheinlich krebserregend gilt, nicht bewerten. Aus der Liste der sonstigen Bestandteile eines Arzneimittels gehe lediglich hervor, ob Talk enthalten ist, aber nicht in welcher Menge.
Das Ausmaß der Exposition spielt aber, wie auch der Krebsinformationsdienst betont, eine entscheidende Rolle für das tatsächliche persönliche Risiko. Das gilt für alle potenziell schädlichen Stoffe. »Man stelle sich nur einmal vor, was es für einen Aufschrei von Konsumenten und Erzeugern geben würde, wenn man erwägen würde, rotes Fleisch als ›wahrscheinlich krebserregend‹ zu kennzeichnen«, zieht Daniels einen Vergleich.