Studie zur Wirksamkeit der Maßnahmen |
Christina Hohmann-Jeddi |
19.05.2020 10:08 Uhr |
Seit März stand das öffentliche Leben weitgehend still. Was die Maßnahmen, zu denen auch Schulschließungen zählen, gebracht haben, analysierten Göttinger Forscher. / Foto: Adobe Stock/miriristic
Aufgrund der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 ist seit Anfang März das öffentliche Leben in Deutschland stark eingeschränkt. Nachdem die Zahl der Covid-19 Neuerkrankungen deutlich gesunken ist, wird nun die Diskussion über die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen sowie über weitere Lockerungen lauter. War ein Lockdown notwendig oder überzogen? Ein Team um Jonas Dehning vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) sowie der Universität Göttingen analysierte daher die deutschen Infektionszahlen, die bis zum 21. April an das Robert-Koch-Institut (RKI) übermittelt wurden, im Hinblick auf die bisher ergriffenen Interventionen.
Drei Bündel an Maßnahmen beschloss die Bundesregierung im März: Um den 9. März herum wurden Großveranstaltungen abgesagt, ab dem 16. März schlossen Schulen, Kitas und ein Teil der Geschäfte. Am 23. März trat dann wiederum eine weitreichende Kontaktbeschränkung und eine Schließung aller nicht essenziellen Geschäfte in Kraft. Alle drei Interventionen führten zu einer klaren Reduktion der Verbreitungsrate, heißt es in der Publikation in »Science«. Den Forschern zufolge waren alle drei Stufen der Interventionen notwendig, um das exponenzielle Wachstum der Infektionszahlen zu stoppen.
Die ersten zwei Interventionen reduzierten die Wachstumsrate von 30 Prozent auf 12 Prozent und schließlich auf 2 Prozent. Beide bedeuteten, dass noch exponenzielles Wachstum vorlag, schreiben die Forscher. Erst mit der dritten Intervention, dem Lockdown, konnte das Wachstum auf -3 Prozent gesenkt werden. »Unsere Analyse zeigt deutlich die Wirkung der unterschiedlichen Maßnahmen, die letztendlich gemeinsam eine starke Trendwende gebracht haben«, sagt Viola Priesemann, Forschungsgruppenleiterin am MPIDS, in einer Pressemitteilung.
Die Effekte der Maßnahmen waren jeweils etwa zwei Wochen nach Inkrafttreten erkennbar. Diese Verzögerung kommt dadurch zustande, dass nach einer Infektion erste Symptome nach vier bis fünf Tagen auftreten, dann muss die Erkrankung erst durch einen Test bestätigt und das Ergebnis an das Gesundheitsamt der Region gemeldet werden, das schließlich die Infektion an das Robert-Koch-Institut meldet. Der Meldeprozess dauere insgesamt etwa elf Tage, drei weitere Tage seien nötig, um eine Trendwende der Zahlen zu erkennen. Dies gelte auch für die nun erfolgten Lockerungen der Maßnahmen – ihre Effekte seien auch erst nach zwei Wochen erkennbar. »Die ersten Effekte der Lockerungen vom 20. April sehen wir erst seit Kurzem in den Fallzahlen. Und bis wir die Lockerungen vom 11. Mai bewerten können, müssen wir ebenfalls zwei bis drei Wochen warten«, sagt Michael Wilczek, Mitautor der Studie.
Wie geht es mit der Epidemie in Deutschland weiter? Die Göttinger Forscher zeigen mit drei verschiedenen Modellszenarien, wie sich die Anzahl Neuerkrankungen weiter entwickeln könnte. Falls sich mit den Lockerungen vom 11. Mai die Ansteckungsrate verdoppele, sei mit dem Start einer zweiten Welle zu rechnen, heißt es in der Mitteilung. Nehme stattdessen die Ansteckungsrate etwa denselben Wert wie die Genesungsrate an, bleibe die Anzahl täglicher Neuinfektionen etwa konstant. Es bestehe aber immer die Gefahr einer neuen Welle. Es sei aber auch möglich, dass die Anzahl der Neuinfektionen weiter zurückgeht, sagt Priesemann. »Wenn alle Personen weiterhin sehr vorsichtig sind, und die Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter effektiv greift, und gleichzeitig alle neuen Infektionsherde früh aufgespürt und eingedämmt werden, dann können die Fallzahlen weiterhin sinken. Wie genau sich die Zahlen in Zukunft entwickeln, hängt also entscheidend von unserem Verhalten, dem Einhalten von Abstandsempfehlungen und den Hygienemaßnahmen ab,« so die Physikerin.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.