| Theo Dingermann |
| 13.08.2024 16:00 Uhr |
Bei Stress wird die Schleimproduktion im Zwölffingerdarm gehemmt, was die Zusammensetzung der Darmmikroben verändert. / Foto: Adobe Stock/Alex
Nicht erst durch die Erfolgsstory der Inkretinmimetika ist die Darm-Hirnachse ein Begriff. Jetzt zeigen Forschende um Professor Dr. Hao Chang von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York, dass die Amygdala, eine an Emotionsverarbeitung und Gedächtnisbildung beteiligte Struktur der Großhirnrinde, über den Vagusnerv die Aktivität der Brunner-Drüsen im Zwölffingerdarm reguliert. Ihre Ergebnisse publizierte das Team in dem Wissenschaftjournal »Cell«.
Die Brunner-Drüsen (Glandulae duodenales) sind muköse Drüsen, die in spezielle Einstülpungen (Krypten) des Duodenums (Zwölffingerdarm) münden. Sie produzieren Muzin, einen fast ausschließlich aus Glykoproteinen bestehenden Schleim. Dieser bietet nicht nur Schutz für Schleimhäute vor chemischen, physikalischen oder mechanischen Reizen, er fördert auch die Vermehrung nützlicher Darmbakterien, insbesondere der Laktobazillen.
Unter Stress wird die Aktivität der zentralen Amygdala gehemmt, wodurch, wie die Forschenden herausfanden, die Stimulation der Brunner-Drüsen durch den Vagusnerv unterbrochen wird, was zu einer verminderten Schleimhautsekretion und einem anschließenden Rückgang der Laktobazillen-Populationen führt. Dies wiederum wirkt sich negativ auf die Darm- und Systemimmunität aus.
Diese komplexen Zusammenhänge belegen die Forschenden durch mehrere experimentelle Ansätze, darunter In-vivo-Elektrophysiologie, chemogenetische Manipulation und Pseudorabies-Virus-Tracing.
Besonders hilfreich ist die Verwendung von Pseudorabies-Viren (PRV), die sich in Neuronen vermehren und über die Synapsen auf mehrere Nervenzellen verbreiten können. Replikationskompetente Viren haben jedoch erhebliche Einschränkungen, da sie unter anderem für die infizierten Neuronen hochtoxisch sind.
Daher verwenden die Forschenden einen replikationsinkompetenten Pseudorabies-Virusstamm, den sie in die Duodenalsubmukosa von gentechnisch veränderten Mäusen, die mit einem sequenzspezifischen Rekombinationssystem ausgestattet waren, platzierten. Gelangen die Viren in die Brunner-Drüsen, werden sie durch das Rekombinationssystem aktiviert und wandern retrograd durch die Nervenzellen ins Gehirn der Tiere. Dort konnten die Forschenden eine deutliche Markierung von PRV aus den Brunner-Drüsen im dorsalen vagalen Komplex (DVC) nachweisen, der mit der autonomen Kontrolle verbunden ist. Interessanterweise beobachteten sie auch eine dichte Markierung im Bereich der zentralen Amygdala.
Wenn die Brunner-Drüsen stimuliert werden (zum Beispiel durch das Verdauungshormon Cholecystokinin), steigern sie die Schleimproduktion erheblich, was zu einem deutlichen Wachstum von Laktobazillen führt. Andererseits hemmt chronischer Stress diesen Prozess, wodurch sich die Lactobacillus-Populationen verringern und die Anfälligkeit für Magen-Darm-Infektionen erhöht.
In weiteren Untersuchungen zeigten die Forschenden, dass chronischer Stress die gleichen Effekte auf das Darmmikrobiom hat wie eine neuronale Verödung der Brunner-Drüsen. In beiden Fällen führte dies zu reduzierten Lactobacillus-Zahlen und zu einer erhöhten Durchlässigkeit der Darmwand. Umgekehrt scheint die Stimulation der zentralen Amygdala oder des Vagusnervs diese Auswirkungen umzukehren und eine gesunde Darmmikrobiota und eine gesunde Immunfunktion wiederherzustellen.
Zudem belegt die Publikation die tiefgreifende Verbindung zwischen Gehirnzuständen, dem Darmmikrobiom und der Immunität. Somit stellen die Brunner-Drüsen nicht nur eine Homöostase der Darmmikrobiota sicher, sondern sind auch für die Immunabwehr von entscheidender Bedeutung, da Störungen der Drüsenfunktion zu einer erhöhten Durchlässigkeit des Darms und zu Veränderungen der systemischen Immunität führen.
Den Ergebnisse des Forscherteams zufolge könnten die Modulation des Vagusnervs oder der Amygdala-Aktivität oder die direkte Verabreichung von Probiotika oder Muzinen die stressbedingte Darmdysbiose und die damit verbundenen Immundefekte abmildern und als Therapieansatz dienen.
Zusammenfassend liefert der Artikel umfassende Belege dafür, dass stressempfindliche neuronale Schaltkreise die Zusammensetzung der Darmmikrobiota über ihre Kontrolle der Drüsensekretion im Zwölffingerdarm erheblich beeinflussen und so psychischen Stress mit körperlicher Gesundheit und potenziellen therapeutischen Interventionen in Verbindung bringen.