Stress durch Hitze |
Vor allem älteren Menschen machen Hitzewellen mit extremen Temperaturen und unzureichender nächtlicher Abkühlung sehr zu schaffen. / Foto: Getty Images/Victoriano Izquierdo
Der Klimawandel ist in Europa bereits spürbar. Die steigende Anzahl hitzebedingter Todesfälle in den Sommermonaten ist dafür ein deutliches Zeichen. So fielen etwa im Jahr 2022 fast 63.000 Europäer der Hitze zum Opfer. Deutschland hatte mit 8173 Toten die drittmeisten Hitze-Sterbefälle zu beklagen, nach Italien (18.010 Tote) und Spanien (11.324 Tote), berichtete ein spanisches Forschungsteam im Fachmagazin »Nature Medicine«.
Betrachte man Daten ab dem Jahr 2015, zeige sich, dass jedes zusätzliche Grad Erwärmung mit etwa 20.000 zusätzlichen hitzebedingten Todesfällen einhergeht. Wenn dieser Trend bis 2050 anhalte, prognostizieren die Wissenschaftler eine Verdopplung von Hitzetoten auf etwa 120.000.
»Hitzewellen, wenn also die Wochenmitteltemperatur über 23 °C liegt, setzen vor allem älteren Personen zu. Sie sterben nicht an einem Hitzschlag oder Sonnenstich, sondern bei ihnen treten hitzebedingte Probleme wie Herz-Kreislauf-Störungen, Nierenversagen und Schlaganfälle gehäuft auf«, sagte Professor Dr. Markus Lerch, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums München, bei einer Online-Talkrunde der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Mit Blick auf den Klimawandel problematisch seien vor allem die verminderte Fähigkeit älterer Menschen zur Regulierung der Körpertemperatur, ihre größere Anzahl an Begleiterkrankungen und die Notwendigkeit für die Einnahme von Arzneimitteln, die zu Dehydrierung führen können.
Viele Arzneistoffe können bei hohen Temperaturen stärker oder schwächer wirken und unerwünschte Effekte hervorrufen. Die Deutsche Allianz Klimawandel & Gesundheit (KLUG) hat eine Liste der Medikamente zusammengestellt, die besonders beachtet werden sollten. Die wichtigsten Wirkstoffe und mögliche Auswirkungen bei großer Hitze fasst die Tabelle auf Seite 10 zusammen. Diese Übersicht basiert auf der Heidelberger Hitze-Tabelle, die von der Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie des Universitätsklinikums Heidelberg erstellt wurde.
Die Patienten zu identifizieren und ihre Medikamenteneinnahme während der Hitzephasen zu überwachen, liege zwar in der Verantwortung der behandelnden Ärzte – besonders der Hausärzte. Dennoch seien auch andere Gesundheitsberufe bei Hitzeperioden aufgefordert, die sonst übliche Medikamentenration kritisch zu hinterfragen, informierte Lerch.
So ist etwa bei kardiovaskulär wirkenden Arzneistoffen wie Betablockern, ACE-Hemmern, Sartanen, Diuretika, Calciumantagonisten, Clonidin oder Moxonidin Vorsicht geboten. Bei Hitze kann der blutdrucksenkende Effekt von Antihypertensiva verstärkt sein und dadurch Bewusstseinsverlust, Durchblutungsstörungen der Organe oder sogar Herzinfarkte hervorrufen. Vor allem Antianginosa wie Nitrate oder Molsidomin als Therapieoption für Patienten mit Angina pectoris sind ob ihrer gefäßerweiternden Wirkung kritisch zu hinterfragen. Da auch Hitze die Blutgefäße weitet, kann der systolische Blutdruck ohne Weiteres rasch unter 110 mmHg sinken. Dann ist gemeinsam mit dem behandelnden Arzt eine Dosisreduktion zu erwägen. Betablocker verhinderten im Gegensatz dazu, dass die peripheren Gefäße weitgestellt werden, was zu einer gestörten Hitzeableitung und einer erhöhten Schweißsekretionsschwelle führt.
Zudem sind besonders Arzneimittel mit anticholinerger Wirkung bei Hitze ein Risiko, da sie die zentrale Temperaturregulierung hemmen. Dadurch wird der wichtige Ausgleichsmechanismus des Schwitzens unterdrückt, was Blutdruckabfälle, aber auch Blutdruckkrisen auslösen kann. Zu den anticholinerg wirksamen Arzneistoffen gehören unter anderem:
Auswirkungen bei Hitze | Wirkstoffgruppen und Beispiele |
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Blutdrucksenkung | Betablocker, ACE-Hemmer, AT1-Antagonisten, Trizyklika, gefäßerweiternde Medikamente wie Calciumkanalblocker oder Nitrate |
verringertes Durstgefühl | ACE-Hemmer, AT1-Antagonisten |
Dehydratation, Elektrolytstörung | Diuretika, Laxanzien |
Hemmung der zentralen Thermoregulation | selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Antipsychotika, zentrale Sympathomimetika wie Methylphenidat, Opioide oral und als TTS |
verminderte Körperwahrnehmung aufgrund von Sedierung | Benzodiazepine, Z-Substanzen, sedierende H1-Antagonisten, sedierende Antidepressiva |
verstärkte Wirkung durch rascheres Anfluten des Wirkstoffs | organische Nitrate, Testosteron, Nikotin, Opioide als TTS |
vermindertes Schwitzen |
H1-Antagonisten, besonders der 1. Generation: Diphenhydramin, Doxylamin zentrale Alpha-2-Agonisten: Clonidin, Moxonidin Antiepileptika: Topiramat, Zonisamid, Carbamazepin Antipsychotika: Olanzapin, Quetiapin, Butyrophenone wie Melperon, Pipamperon oder Haloperidol Anticholinergika: Procyclidin |