Steckbrief Valproinsäure |
Brigitte M. Gensthaler |
23.12.2024 18:00 Uhr |
Valproinsäure wird bei verschiedenen epileptischen Anfallsformen und auch zur Unterbrechung eines Status epilepticus eingesetzt. / © Adobe Stock/DC Studio
Was sind die Einsatzgebiete von Valproinsäure?
Valproinsäure ist zugelassen zur Therapie von generalisierten Anfällen in Form von Absencen, myoklonischen und tonisch-klonischen Anfällen. Des Weiteren ist das Antikonvulsivum indiziert bei fokalen und sekundär generalisierten Anfällen und als Kombinationsbehandlung bei anderen Anfallsformen. Intravenös wird es bei verschiedenen Formen eines Status epilepticus gespritzt.
Viele Antikonvulsiva werden nicht nur bei Epilepsie eingesetzt. Retardierte Valproinsäure wird auch bei manischen Episoden einer bipolaren Störung eingesetzt, wenn Lithium kontraindiziert ist oder die Patienten dieses nicht vertragen. Haben die Patienten darauf angesprochen, kann eine weiterführende Behandlung erwogen werden.
In der FORTA-Liste wird Valproinsäure bei bipolarer Störung und Epilepsie in die Gruppe C eingestuft, hat also eine ungünstige Nutzen-Risiko-Relation für ältere Patienten.
Wie wirkt Valproinsäure?
Valproinsäure ist eine synthetisch hergestellte Carbonsäure (Dipropylessigsäure) und hat keine strukturelle Ähnlichkeit mit anderen Antikonvulsiva. Die Wirkung wird über unterschiedliche pharmakologische Mechanismen vermittelt, die zum breiten Wirkspektrum beitragen. Dazu gehören die Verstärkung der GABA-ergen Neurotransmission durch Erhöhung der GABA-Konzentration, die Hemmung spannungsabhängiger Natrium- und Calciumkanäle und die Inhibition von Histondeacetylasen (HDAC).
Wie wird Valproinsäure dosiert?
Die Dosierung wird individuell bestimmt, wobei Anfallsfreiheit bei minimaler Dosierung anzustreben ist. Empfohlen wird ein stufenweises Auftitrieren bis zur optimal wirksamen Dosis.
In der Monotherapie beginnt man in der Regel mit 5 bis 10 mg Valproinsäure/kg Körpergewicht (KG) und erhöht alle vier bis sieben Tage um etwa 5 mg/kg KG. Die volle Wirkung tritt manchmal erst nach vier bis sechs Wochen ein, sodass nicht zu schnell hochdosiert werden soll. In der Langzeitbehandlung beträgt die mittlere Tagesdosis für Erwachsene 20, für Jugendliche 25 und für Kinder 30 mg/kg KG.
Bei Niereninsuffizienz muss die Dosis eventuell verringert und bei Patienten, die eine Hämodialyse erhalten, erhöht werden. Valproat ist dialysierbar.
Die magensaftresistenten und retardierten Arzneiformen sollten möglichst eine Stunde vor den Mahlzeiten (morgens nüchtern) unzerkaut mit reichlich Flüssigkeit (kein kohlensäurehaltiges Mineralwasser) geschluckt werden. Die Lösung wird dagegen möglichst zu den Mahlzeiten eingenommen.
Welche Gegenanzeigen sind zu beachten?
Valproat kann die Plazentaschranke passieren und wirkt teratogen. Nimmt die Frau während der Schwangerschaft das Antikonvulsivum ein, hat das Kind ein erhöhtes Risiko für schwere angeborene Fehlbildungen und neurologische Entwicklungsstörungen. Daher ist Valproat in der Schwangerschaft kontraindiziert, es sei denn, es gibt keine geeigneten Alternativen. Es ist auch bei Frauen im gebärfähigen Alter kontraindiziert, außer es gibt keine Alternativen und die Frau hält ein strenges Schwangerschaftsverhütungsprogramm ein. Die Therapie muss von einem Epilepsie-Spezialisten eingeleitet und überwacht werden. Stillen ist laut embryotox.de, der Website des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie der Berliner Charité, unter Monotherapie und guter Beobachtung des Kindes akzeptabel. Hierbei müsse unbedingt das teratogene Risiko einer nächsten, unter Valproat-Therapie auftretenden Schwangerschaft bedacht werden.
Seit einiger Zeit ist bekannt, dass das Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen leicht erhöht ist, wenn Männer in den drei Monaten vor der Empfängnis Valproinsäure eingenommen haben. Daher hat der Pharmakovigilanzausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur im Januar 2024 beschlossen, dass nur noch spezialisierte Ärzte Männern den Arzneistoff verordnen sollen.
Außer Schwangerschaft und gebärfähiges Alter bei Frauen gibt es eine Reihe weiterer Kontraindikationen. Dazu gehören Lebererkrankungen in der eigenen oder der Familienanamnese, schwerwiegende Leber- und Pankreasfunktionsstörungen, Leberfunktionsstörungen mit tödlichem Ausgang bei Geschwistern unter Valproinsäure-Therapie, eine hepatische Porphyrie, Störungen des Harnstoffzyklus oder der Blutgerinnung sowie bestimmte mitochondriale Erkrankungen.
Welche Nebenwirkungen kann Valproinsäure haben?
Sehr häufig ist eine isolierte und mäßig ausgeprägte Hyperammonämie ohne Veränderung der Leberfunktion, die keinen Therapieabbruch erfordert. Es gibt aber auch Fälle mit neurologischen Symptomen.
Häufig sind Thrombozytopenie und Leukopenie, Gewichtszu- oder -abnahme, psychiatrische Probleme (vor allem bei Kindern) wie Aggression, Agitiertheit und Aufmerksamkeitsstörungen, nervliche Effekte (vor allem zu Therapiebeginn) wie Schläfrigkeit, Tremor oder Parästhesien, dosisabhängige Magen-Darm-Probleme wie Diarrhö und Erbrechen, Zahnfleischerkrankungen (Gingivahyperplasie) und Stomatitis, Anstieg der Leberenzyme und Harninkontinenz.
Bei einer Langzeit-Kombitherapie, vor allem mit Phenytoin, kann es zu Anzeichen einer Enzephalopathie kommen, zum Beispiel vermehrte Krampfanfälle, Antriebslosigkeit, Stupor, Muskelschwäche und schwere Veränderungen im EEG.
Welche Wechselwirkungen kann Valproinsäure eingehen?
Ein Absinken der Valproinsäure-Serumspiegel und damit eine verminderte Wirkung können ausgelöst werden durch enzyminduzierende Antiepileptika wie Phenobarbital, Primidon, Phenytoin und Carbamazepin sowie Mefloquin, Carbapeneme, Rifampicin und Protease-Inhibitoren wie Lopinavir oder Ritonavir. Der umgekehrte Effekt, also erhöhte Valproinsäure-Spiegel, wird beobachtet unter Erythromycin, Felbamat oder Acetylsalicylsäure.
Auch Valproinsäure selbst beeinflusst andere Arzneimittel. Klinisch besonders wichtig ist die Erhöhung der Phenobarbital-Konzentration, was zu einer starken Sedierung, besonders bei Kindern, führen kann. Ebenso kann die Menge von freiem Phenytoin steigen, ohne dass der Serumspiegel von Gesamt-Phenytoin steigt, was das Risiko für eine Hirnschädigung erhöht. Valproinsäure hemmt den Metabolismus von Lamotrigin und verdoppelt nahezu dessen Halbwertszeit.
Valproinsäure kann die zentraldämpfende Wirkung von Benzodiazepinen, Barbituraten, Antipsychotika, MAO-Hemmern und Antidepressiva verstärken. Bei gleichzeitiger Einnahme von Antikoagulanzien kann die Blutungsneigung ansteigen; daher werden regelmäßige Kontrollen der Blutgerinnung empfohlen.
Was sollte man noch beachten?
Zu Therapiebeginn, bei Einnahme höherer Dosen und/oder in Kombination mit anderen zentralnervös wirksamen Arzneimitteln können Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit und/oder Verwirrtheit das Reaktionsvermögen stark beeinträchtigen, sodass der Patient – ungeachtet der epileptischen Erkrankung und Anfallskontrolle – nicht mehr Auto fahren oder Maschinen bedienen kann. Dies gilt verstärkt bei gleichzeitigem Alkoholgenuss.
Strukturformel Valproinsäure / © Wurglics