Steckbrief Testosteron |
Brigitte M. Gensthaler |
29.11.2023 12:30 Uhr |
Was macht den Mann zum Mann? Vieles! Neben dem Y-Chromosom spielt Testosteron eine wichtige Rolle. / Foto: Adobe Stock/puhhha
Wofür ist Testosteron zugelassen?
Das Sexualhormon Testosteron ist zugelassen zur Hormonersatztherapie (HRT) bei männlichem Hypogonadismus, wenn der Testosteronmangel klinisch und labormedizinisch bestätigt ist. Der Mann muss eindeutige klinische Symptome zeigen, zum Beispiel Rückbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale, Veränderung der Körperzusammensetzung, Abnahme der Libido oder erektile Dysfunktion. Ein Mangel wird nachgewiesen durch zwei voneinander unabhängige Bestimmungen des Testosteronspiegels im Blut. Die unteren Grenzwerte liegen laut der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) zwischen 7 und 12 nmol/l, wenn das Blut morgens zwischen 8.00 und 10.00 Uhr in nüchternem Zustand abgenommen wurde. Ab Mittag fällt der Testosteronwert um etwa 20 Prozent ab. Zudem variiert er erheblich von Tag zu Tag. Ebenso können akute Erkrankungen und Medikamente wie Opioide und Glucocorticoide den Hormonspiegel senken. Adipöse Männer weisen bis zu 70 Prozent niedrigere Werte auf als normalgewichtige Männer.
Weitere Indikationen für eine Testosterongabe sind die Pubertätsinduktion bei Jungen mit Pubertas tarda und die Unterdrückung eines übermäßigen Längenwachstums bei Jungen (zugelassen ab sechs Jahren).
Wie wird Testosteron dosiert?
Das Hormon steht als ölige Injektionslösung (1 ml enthält 250 mg Testosteronundecanoat oder -enantat) zur Verfügung. Zur HRT werden 1000 mg Testosteronundecanoat im Abstand von 10 bis 14 Wochen intramuskulär injiziert. Injektionslösungen mit Testosteronenantat werden zur HRT alle zwei bis vier Wochen und bei Jungen individuell dosiert gespritzt.
Gele zur transdermalen Hormonsubstitution trägt der Mann einmal täglich auf die trockene gesunde Haut auf, zum Beispiel an Bauch, Oberarm oder den Innenseiten der Oberschenkel. Das Apothekenteam sollte die richtige Anwendung und Einwirkzeit erklären, denn es wird immer wieder über eine versehentliche Übertragung topisch angewandter Hormonpräparate auf Kontaktpersonen, vor allem Kinder und Haustiere, berichtet.
Wie wirkt das Sexualhormon?
Testosteron ist das wichtigste androgene Hormon und wird hauptsächlich in den Hoden und in geringem Umfang in der Nebennierenrinde gebildet. Testosteron und sein Hauptmetabolit Dihydrotestosteron sind verantwortlich für die Entwicklung der äußeren und inneren männlichen Sexualorgane, den Stimmbruch bei Jungen und die Aufrechterhaltung der sekundären Geschlechtsmerkmale und der Libido. Weiterhin greifen die Hormone in die Proteinsynthese, die Entwicklung der Skelettmuskulatur und die Verteilung des Körperfetts ein. Je nach Zielorgan zeigt Testosteron hauptsächlich ein androgenes (zum Beispiel in Prostata, Samenbläschen und Nebenhoden) oder proteinanaboles Wirkspektrum (Muskeln, Knochen, Hämatopoese, Nieren und Leber). In einigen Organen wirkt es nach peripherer Umwandlung zu Estradiol, das dann von den Estrogenrezeptoren des Zellkerns in der Zielzelle gebunden wird, zum Beispiel in den Hypophysen-, Fett-, Gehirn- und Knochenzellen sowie in den Leydig-Zellen der Hoden. Testosteron vermindert die Sekretion der Gonadotropine follikelstimulierendes Hormon (FSH) und luteinisierendes Hormon (LH) aus dem Hypophysenvorderlappen.
Off Label wird Testosteron auch bei Transmännern eingesetzt. / Foto: Adobe Stock/Jürgen Fälchle
Und in der Transgender-Medizin?
Aufgrund seiner physiologischen Effekte wird Testosteron auch zur Pharmakotherapie bei Transmännern eingesetzt (off Label). Dadurch wird sowohl die Freisetzung von Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) aus dem Hypothalamus als auch von LH und FSH aus der Hypophyse über einen negativen Rückkopplungsmechanismus gehemmt, sodass der Estrogenspiegel sinkt. Die Applikation erfolgt entweder als Depotinjektion oder dermal in individuell zu erarbeitenden Abständen und Mengen.
Welche Nebenwirkungen sind möglich?
Die häufigsten Nebenwirkungen der Injektion sind Akne und Schmerzen an der Injektionsstelle. Eine pulmonale Mikroembolie mit öligen Lösungen kann in seltenen Fällen zu Symptomen wie Husten, Dyspnoe, Unwohlsein, Hyperhidrosis, Brustschmerzen, Schwindel, Parästhesie oder Ohnmacht führen. Diese Reaktionen können während oder direkt nach der Injektion auftreten und sind reversibel. Bei Anwendung von Gelen sind psychische Störungen, zum Beispiel Stimmungsschwankungen, und Hautreaktionen an der Applikationsstelle, Erytheme, Akne und trockene Haut am häufigsten.
Zu achten ist auch auf Veränderungen des Blutbildes mit Anstieg von Hämatokrit, Erythrozyten und Hämoglobin, Gewichtszunahme, Hitzewallungen und Anstieg des prostataspezifischen Antigens (PSA). Der Patient muss wissen, dass eine Testosterontherapie der Spermatogenese (reversibel) beeinträchtigt oder unterbricht und die Hoden schrumpfen. In seltenen Fällen können schmerzhafte Dauererektionen (Priapismus) auftreten, gelegentlich auch Wasserretention und Ödeme. Symptome wie Reizbarkeit, Nervosität, Gewichtszunahme, übermäßig lange oder häufige Erektionen können auf eine zu intensive Androgenisierung hinweisen und erfordern eine Dosisreduktion.
Welche Kontraindikationen sind zu beachten?
Androgene können die Entwicklung eines subklinischen Prostatakrebses und einer benignen Prostatahyperplasie beschleunigen. Die Anwendung ist kontraindiziert bei Männern mit androgenabhängigem Karzinom der Prostata oder der männlichen Brustdrüse, früheren oder bestehenden Lebertumoren oder nephrotischem Syndrom sowie bei Frauen.
Auf welche Wechselwirkungen ist zu achten?
Testosteron und seine Derivate können die Wirkung von Cumarin-Derivaten steigern. Patienten, die orale Antikoagulanzien erhalten, brauchen daher eine engmaschige Überwachung, insbesondere zu Beginn und am Ende der Androgentherapie, und häufigere Kontrollen von Prothrombinzeit und INR-Wert.
Eine gute Überwachung des Blutzuckerspiegels und des HbA1c-Werts wird ebenfalls empfohlen, da die Androgenzufuhr die Insulinempfindlichkeit verbessern kann. Bei Menschen mit Diabetes ist eventuell eine Dosisreduktion der Antidiabetika erforderlich.
Die gleichzeitige Gabe von Testosteron mit ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) oder Corticosteroiden kann die Ödembildung fördern. Daher sind diese Wirkstoffe vor allem bei Patienten mit Herz- oder Lebererkrankungen sowie bei Ödemneigung vorsichtig anzuwenden.
Zudem können Androgene die Spiegel des Thyroxin-bindenden Globulins vermindern, die freien Schilddrüsenhormone sind jedoch unverändert.
Missbrauch mit gefährlichen Folgen
Vor allem aufgrund der anabolen Effekte wird Testosteron missbräuchlich eingesetzt – typischerweise in höheren Dosen als zugelassen und in Kombination mit anderen androgenen Steroiden. Der Missbrauch kann zu schweren Nebenwirkungen führen, darunter kardiovaskuläre (potenziell tödliche), hepatische und/oder psychiatrische Ereignisse. Ein plötzliches Absetzen oder eine starke Dosisreduktion kann zu Abhängigkeits- und Entzugssymptomen führen. In den Fachinformationen wird ausdrücklich vor dem Missbrauch von anabolen androgenen Steroiden gewarnt.
Strukturformel Testosteron / Foto: Wurglics