Steckbrief Folsäure |
Annette Rößler |
19.06.2024 07:00 Uhr |
Schon bevor der Schwangerschaftstest positiv ist, sollten Frauen mit der Folsäure-Prophylaxe beginnen, um das Risiko für einen Neuralrohrdefekt beim Baby zu minimieren. / Foto: Getty Images/David Espejo
Was ist Folsäure?
Folsäure ist die synthetische Form des Folats, eines wasserlöslichen B-Vitamins, das für den Metabolismus von Aminosäuren und die Synthese von Nukleinsäuren als C1-Gruppen-Überträger essenziell ist. Folat ist in Form seiner Polyglutamate unter anderem in grünem Blattgemüse, Hefe und Leber enthalten. Die synthetische Folsäure ist stabiler und besser bioverfügbar als natürliche Folate; die Bioverfügbarkeit liegt bei 76 bis 93 Prozent.
Im Körper wird Folsäure zur biologisch aktiven Form 5-Methyltetrahydrofolat (5-MTHF) reduziert. Wird das reduzierende Enzym infolge einer Punktmutation nicht in ausreichendem Maß gebildet, kann der Folatspiegel im Blut trotz ausreichender Zufuhr zu niedrig sein. Für solche Fälle steht mit Calcium-L-Methylfolat (Metafolin®) eine stabile Calciumverbindung von 5-MTHF zur Supplementation zur Verfügung.
Welcher Zusammenhang besteht zwischen Folsäure und Vitamin B12?
Wie Folsäure wird auch Vitamin B12 (Cyanocobalamin) für die Zellteilung benötigt. Ein Mangel an Vitamin B12, der unter anderem durch einen Mangel des für die Resorption notwendigen Intrinsic Factors, vegane Ernährung oder regelmäßigen Alkoholkonsum verursacht sein kann, führt zu einer Schleimhautschädigung, neurologischen Störungen und einer Anämie. Liegt eine solche sogenannte perniziöse Anämie vor, darf nicht allein Folsäure supplementiert werden, da dies den Vitamin-B12-Mangel noch verstärkt.
Was sind die Einsatzgebiete von Folsäure?
Folsäure wird gegeben, um einen Folatmangel auszugleichen, wenn das über die Ernährung nicht möglich ist. Bei einer unzureichenden Versorgung mit Folsäure in der Frühschwangerschaft ist die Gefahr eines unvollständigen Verschlusses des Neuralrohrs des Fetus erhöht. Frauen, die schwanger werden möchten, sollten deshalb bereits mindestens vier Wochen vor der Konzeption mit einer Folsäureprophylaxe beginnen und diese während des ersten Schwangerschaftsdrittels beibehalten.
Das Zytostatikum und Immunsuppressivum Methotrexat (MTX) blockiert den vorletzten enzymatischen Schritt der Umwandlung von Folsäure in Tetrahydrofolat. Um das Risiko für Nebenwirkungen zu senken, wird daher bei Anwendung von MTX in niedrigen Dosen zur Behandlung von chronisch-entzündlichen Erkrankungen Folsäure supplementiert – im zeitlichen Abstand von 24 bis 48 Stunden nach der MTX-Gabe.
Beim onkologischen Einsatz von Hochdosis-MTX kann das Protokoll auch die verzögerte Gabe von Folinsäure (Formyl-Tetrahydrofolat) vorsehen, um die MTX-Wirkung gezielt zu antagonisieren und so die Toxizität zu begrenzen. Folsäure selbst wird dabei nicht verwendet, da sie unter MTX in der hohen Dosierung nicht in die biologisch aktive Form überführt werden kann. Den gegenteiligen Effekt, nämlich eine Verstärkung der zytostatischen Wirkung, hat Folinsäure, wenn sie zusammen mit dem Antimetaboliten 5-Fluorouracil (5-FU) gegeben wird.
Wie wird Folsäure dosiert?
Folsäure kann als wasserlösliches Vitamin in hohen Dosen eingenommen werden, da überschüssiger Wirkstoff wieder ausgeschieden wird. Über den Tag verteilt mehrere kleine Dosen zu geben, ist aus demselben Grund aber selbstverständlich sinnvoller. Zum Ausgleich eines Folsäuremangels bei Erwachsenen können 2,5 bis 15 mg Folsäure pro Tag gegeben werden, verteilt auf eine bis drei Einzeldosen zu je 2,5 bis 5 mg. Bei Kinderwunsch und in der Frühschwangerschaft werden 400 µg bis 5 mg Folsäure täglich als Einzeldosis empfohlen. Unter Niedrigdosis-MTX-Anwendung erfolgt die Supplementation von 5 bis 10 mg Folsäure 24 bis 48 Stunden nach der MTX-Gabe. Für die Anwendung bei nachgewiesener Anämie stehen auch verschreibungspflichtige Kombinationspräparate mit Folsäure, Vitamin B12 (und Vitamin B6) oder auch mit Eisen zur Verfügung.
Welche Nebenwirkungen kann Folsäure haben?
Selten kommt es bei Anwendung von Folsäure in hohen Dosen zu gastrointestinalen Störungen, Schlafstörungen, Erregung oder Depression, sehr selten zu allergischen Reaktionen.
Welche Wechselwirkungen sind zu beachten?
Folsäure kann die Blutspiegel von Antikonvulsiva wie Phenytoin, Phenobarbital oder Primidon senken und dadurch die Krampfbereitschaft erhöhen. Gleichzeitig kann die Anwendung von Antikonvulsiva und unter Umständen auch eine langfristige Einnahme von hormonalen Kontrazeptiva den Folatspiegel senken, sodass eine Supplementation zur Verhinderung eines Folsäuremangels sinnvoll ist.
Welche Dosierungsempfehlung gilt in Schwangerschaft und Stillzeit?
Da die Sicherheit einer Anwendung von mehr als 5 mg Folsäure pro Tag in Schwangerschaft und Stillzeit nicht erwiesen ist, sind höhere Dosen in dieser Zeit kontraindiziert.
Sollte Mehl mit Folsäure angereichert werden?
Um die Versorgung der Bevölkerung mit Folsäure zu verbessern und so die Gefahr von Neuralrohrdefekten bei Kindern von Frauen zu senken, die ohne gezielte Folsäureprophylaxe schwanger werden, ist eine Verpflichtung zur Anreicherung von Mehl mit Folsäure in der Diskussion. Befürworter verweisen auf Länder wie die USA und Kanada, wo die Fälle von Neuralrohrdefekten nach der Einführung einer entsprechenden Regelung zurückgegangen sind. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sprach sich jedoch 2017 in einer Stellungnahme dagegen aus. Es sei unklar, ob sich die Ergebnisse aus anderen Ländern auf Deutschland übertragen ließen, hieß es zur Begründung. Auch würden von einer Folsäureanreicherung des Mehls nur Frauen vor beziehungsweise während der Schwangerschaft profitieren, für andere Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel ältere Menschen mit geringem Vitamin-B12-Spiegel, könne die Maßnahme jedoch auch Nachteile haben. Erst kürzlich bekräftigte das BfR in einer neuen Stellungnahme, dass sich an dieser Einschätzung nichts geändert habe.
Strukturformel Folsäure / Foto: Wurglics