Später Ruhm für die Rebellin |
Angela Kalisch |
21.10.2024 07:00 Uhr |
Carol Rama, Idilli (Idyllen), 1977–1993, Bricolagen / © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2024, Foto: Norbert Miguletz
Mit zartem, blassem Strich sind die Figuren gezeichnet, fast zerbrechlich wirken sie ‒ und doch steckt in ihnen die explosive Kraft der Provokation. Frauen mit entblößten Geschlechtsteilen und herausgestreckten Zungen, gefesselte Körper und amputierte Gliedmaßen: Gleich mit ihrer ersten Werkserie nimmt sich Carol Rama (1918-2015) die Freiheit, gegen sämtliche Konventionen ihrer Zeit zu verstoßen.
Ein erster Versuch, ihre erotischen Aquarelle in den 1940er-Jahren auszustellen, scheitert. Noch vor der Eröffnung fallen sie der Zensur zum Opfer. Zu obszön für das konservativ-katholische Italien, das faschistische Italien zumal. Erst im Jahr 1979 kann die Öffentlichkeit erstmals die zwischen 1936 und 1945 entstandenen Werke sehen. Jene Zeichnungen, die die Künstlerin berühmt-berüchtigt machen sollten.
Die selbstbewusste Frau, die ihre Lust und Sexualität frei ausleben kann; im Kontrast dazu die gequälte, gefesselte Frau sind die Inhalte dieser frühen Bilder. Es sind auch, aber nicht nur, autobiografische Schicksalsschläge, die Rama in ihrer Kunst verarbeitete. Aufgewachsen in wohlbehüteten Verhältnissen in Turin, wo der Vater eine Fabrik für Autoteile und Fahrräder betrieb, zerbrach ihre heile Welt früh. Die Mutter kam in die Psychiatrie, der Vater nahm sich das Leben, nachdem die Weltwirtschaftskrise sein Unternehmen ruiniert hatte.
Nach der psychiatrischen Einrichtung »I due Pini« ist eine ganze Reihe von Bildern benannt, die Frauen im Zustand des Wahns oder ihrer Bewegung beraubt darstellen. Doch sie scheinen über die Situation der äußeren Zwänge sowie über Krankheit und Tod zu triumphieren.
In der langen Zeit ihres künstlerischen Schaffens erfindet sich Rama immer wieder neu. So zeigen minimalistisch reduzierte Ölgemälde Porträts und fast gesichtslose Antiporträts; in einer experimentellen Phase in den 1960er-Jahren entstehen auch abstrakte Arbeiten. Die Ausstellung greift diese Vielfalt auf, indem sie die unterschiedlichen Werkphasen wie in einem Labyrinth präsentiert. Hinter jeder Abzweigung eine neue Stilrichtung, oft ein kompletter Bruch.