Sonderregelungen für Apotheken in Corona-Zeiten |
Daniela Hüttemann |
09.04.2020 14:48 Uhr |
Verordnete Packungsgröße oder Rabattarzneimittel nicht vorrätig? Eine Eilverordnung ermöglicht es den Apotheken, flexibler zu agieren. Allerdings sind die Freiheiten nur befristet gültig. / Foto: Getty Images/alvarez
Rechtsanwalt Ulrich Laut von der Landesapothekerkammer Hessen beantwortete Publikumsfragen zum Apothekenbetrieb in Corona-Zeiten. Vielleicht die wichtigste: Darf ich in dieser außergewöhnlichen Situation von apothekenrechtlichen Vorschriften abweichen? Dazu kam von Laut ein klares Nein. »Wir leben in einem Rechtsstaat und da sind keine Individualentscheidungen möglich.« Alle bekannten Vorschriften gelten, solange sie nicht vom Gesetzgeber (phasenweise) außer Kraft gesetzt werden.
Genau das ist aber in vielen Punkten derzeit der Fall, wie allein die vorübergehende Kontigentierung bestimmter Arzneimittel und die Erlaubnis zur Desinfektionsmittelherstellung zeigt. Noch ganz frisch ist der am 6. April veröffentlichter Entwurf für eine Eilverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit, der in Kürze in Kraft treten soll. Der Entwurf enthalte einen bunten Strauß an Änderungen, alle mit dem Ziel, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. »Das BMG scheint zu merken, welche Leistungen die Apotheken erbringen und dass diese auch vom Solidarsystem vergütet werden muss«, kommentierte Laut und spielte dabei auf den Botendienst an.
Dem Entwurf zufolge sollen die Apotheken einmalig 250 Euro pro Betrieb für die nötige Ausrüstung sowie 5 Euro pro Lieferung erhalten. Sobald die Regelung in Kraft tritt, müssen die Krankenkassen dies auch zahlen, betonte Laut im Hinblick auf das derzeit höchst unterschiedliche Gebaren der Kassen. Leider sei mit einer rückwirkenden Vergütung nicht zu rechnen. Trotzdem empfiehlt Laut allen Apotheken, ihre Lieferdienste zu dokumentieren, zum Beispiel über ein Fahrtenbuch. Er geht davon aus, dass ein »plausible Eigenauskunft« für die Abrechnung ausreichen wird.
Ähnliches gilt, wenn Apotheken in Zukunft bei der Abgabe von Medikamenten von der Verordnung abweichen müssen, indem sie beispielsweise eine andere Packungsgröße abgeben. »Die BMG-Botschaft ist deutlich: Apotheker und Ärzte haben Besseres zu tun, als Formulare auszufüllen«, sagte der Hauptgeschäftsführer der LAK Hessen. Auch die Ausgangsstoffprüfung oder die Weitergabe von Betäubungsmitteln zwischen verschiedenen Apotheken sollen vereinfacht werden. Laut hofft, dass die befristeten Maßnahmen nachhallen werden: »Die Apotheken sollten sich in der aktuellen Situation selbstbewusst angesichts ihrer Leistungen zeigen und entsprechende Vergütungen auch über die Corona-Krise hinaus einfordern.«
Zu Gast im Live Webcast war gestern auch die Virologin und Internistin Professor Dr. Sandra Ciesek von der Uniklinik Frankfurt am Main. Sie hatte im Februar die deutschen Wuhan-Rückkehrer mit untersucht und somit als eine der ersten in Deutschland Erfahrungen mit Covid-19 gesammelt. Unter anderem wurde klar, dass das neue Coronavirus stark im Nasen-Rachen-Raum repliziert und die Art und Weise des Abstrichs das Testergebnis beeinflussen kann. Auch entwickelte Cieseks Team eine sogenannte Pooling-Lösung, die die gleichzeitige PCR-Testung mehrerer Proben im Rahmen eines Screenings ermöglicht und somit Zeit und Ressouren spart.
Grundsätzlich habe sie als Virologin gelernt, Testergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren. Während die bislang gängigen PCR-Tests für den Nachweis von Virus-RNA sehr zuverlässig seien, warnte sie, dass die verschiedenen Schnelltests auf Antikörper und Antigene weniger spezifisch und sensitiv seien. Sie können zum Teil falsch positiv ausfallen, wenn sie auch auf andere Coronaviren, die zu den normalen Erkältungserregern gehören, ansprechen, oder falsch negativ, wenn sie zu früh eingesetzt werden und der Infizierte noch nicht genügend Antikörper gebildet hat. Von Heimtests oder Tests in der Apotheke rät sie daher zum jetzigen Zeitpunkt ab. Patienten mit Symptomen würden sowieso ärztlich getestet. Unklar sei auch noch, welche Antikörper tatsächlich wirkungsvoll vor einer erneuten Infektion schützen. Ein Test auf weniger wirksame Antikörper könne hier falsche Sicherheit signalisieren.
Alle Folgen des Webcasts lassen sich auf den Youtube-Kanälen von PZ und Pharma4u ansehen. Der nächste Live-Webcast wird am Donnerstag, 23. April um 20:00 Uhr stattfinden. Sie haben Fragen zu Covid-19 oder zum Virus aus Apothekensicht? Stellen Sie Ihre Fragen live per Webchat oder schicken Sie sie vorab an webcast(at)pharma4u.de.
Denkbar sei ein breit angelegtes Screening, um herauszufinden, wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der die Infektion auch unbemerkt schon durchgemacht hat. Hier müsse man sich jedoch vorher auf Standards einigen. In Hessen sieht sie den Zeitpunkt für eine massenhafte Testung ohne Verdacht auf eine Infektion noch nicht gekommen. Dazu seien die bekannten Fallzahlen noch zu gering.
Eine umfangreiche Testung gehört auch zu den empfohlenen Maßnahmen, um die strengen Auflagen schrittweise wieder zu lockern. PZ-Chefredakteur Professor Dr. Theo Dingermann erklärte, dass zunächst die Basisreproduktionszahl R0 unter 1 sinken müsse, die Verbreitung also zum Stillstand kommt oder sich zumindest deutlich verlangsamt. Auch sogenannte Superspreading-Events (SSE), bei denen ein Infizierter sehr viele andere ansteckt, müssten verhindert werden. Gerade dazu tragen die Kontaktsperre und Schließung von Hotspots wie Diskotheken, Restaurants und Fitnessclubs bei.
Dingermann zitierte aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die noch einmal auf die Bedeutung von Husten- und Niesetikette sowie Hygienevorschriften und Behördenanordnungen hinweist. Infizierte und ihre Kontakte müssten umgehend isoliert werden. Dabei soll auch die digitale Kontaktverfolgung helfen. »Hier müsste ein Signal an die Kontakte sofort erfolgen, wenn jemand Symptome zeigt und nicht erst, wenn ein positives Testergebnis vorliegt«, erklärt der Pharmazeutische Biologe, sonst sei die Infektion uns immer einen Schritt voraus.
Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Professor für Pharmazeutische Chemie an der Goethe-Uni Frankfurt, hält das in vitro breit antiviral wirksame Remdesivir nach wie vor für einen der größten Hoffnungsträger bei den experimentellen Therapien für Covid-19-Patienten. Hersteller Gilead arbeite mit Hochdruck daran, die Produktion des relativ komplexen Arzneistoffs zu beschleunigen und auszuweiten. »Die Synthese ist nicht einfach und erfordert großen Aufwand und große Kenntnis«, so Schubert-Zsilavecz. In Deutschland habe das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) drei Studien mit Remdesivir bewilligt. Es soll in diesem Rahmen sowie über ein neues Härtefallprogramm für individuelle Heilversuche verfügbar sein. Der Einsatz muss im Krankenhaus erfolgen, da die schlecht wasserlösliche Substanz nur als Infusion verabreicht werden kann, ob über fünf oder zehn Tage, wird derzeit erforscht.
Gilead hat eigenen Angaben zufolge derzeit rund 1,5 Millionen Dosen vorrätig beziehungsweise kurz vor der Fertigstellung. Das soll für die Behandlung von rund 140.000 Patienten reichen. Bis Jahresende will das US-Unternehmen genügend Substanz für eine Million Covid-19-Patienten produziert haben.