Sollte die Pharmaindustrie auf Gesundheitsdaten zugreifen? |
Jennifer Evans |
23.11.2022 10:30 Uhr |
Bei der diesjährigen Berliner Runde des BAH waren sich die Politiker einig, dass künftig auch Pharmakonzerne von Gesundheitsdaten profitieren sollten. Moderatorin Petra Schwarz (r.) sprach mit Stefan Höcherl von der Gematik (v. l.), Erwin Rüddel (CDU), Maximilian Funke-Kaiser (FDP) und Ruppert Stüwe (SPD). / Foto: BAH/Svea Pietschmann
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) arbeitet bereits intensiv an einem Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz (GDNG). Die PZ hatte bereits darüber berichtet. Die Frage, wie weit das Ministerium damit genau ist, wollte keiner der Diskussionsteilnehmer bei der Berliner Runde am gestrigen Dienstag so recht beantworten. Von Maximilian Funke-Kaiser (FDP), Mitglied im Gesundheitsausschuss und digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, hieß es lediglich: »frühzeitig im nächsten Jahr«. Im GDNG wird es zunächst darum gehen müssen, eine solide nationale Infrastruktur zu schaffen, die deutschen Daten zu harmonisieren, auffindbar zu machen und Mechanismen für den Zugriff zu gestalten. Erst dann kann eine Vernetzung auch EU-weit funktionieren.
Zum Hintergrund: Die Europäische Union will die Versorgung, die Forschung und die Interoperabilität der nationalen Gesundheitssysteme ihrer Mitgliedstaaten verbessern, indem sie den sogenannten European Health Data Space (EHDS) einrichtet. Jeder EU-Bürger soll künftig über die Landesgrenzen hinweg Gesundheitsdienstleistungen erhalten können – also auch seine Rezepte im EU-Ausland einlösen können. Dazu muss zunächst jeder Mitgliedsstaat selbst regeln, wie er im eigenen Land vorgeht, damit die Daten strukturiert und interoperabel auch für den grenzüberschreitenden Austausch parat stehen.
Zwischen den Regierungsparteien und der Opposition herrsche – was die Strukturfragen angeht – viel Übereinstimmung, sagte Erwin Rüddel (CDU), Mitglied des Gesundheitsausschusses und Experte für Digital Health der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Mit Blick auf die Vorteile der Datennutzung hat Deutschland seiner Ansicht nach kein Technik- oder Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Insbesondere kritisierte er, dass die Selbstverwaltung »die Schritte nicht mitgeht.« Rüddel hofft nun, dass der Bundesgesundheitsminister mutig genug ist, endlich einmal durchzugreifen und sich von der Selbstverwaltung nicht mehr so »einbremsen lässt wie bisher«. Auch die ABDA hatte zu den EU-Plänen zum EHDS zuletzt Position bezogen. Ihr zentraler Kritikpunkt war, dass die geplanten Offenlegungspflichten sich womöglich nicht mit der Schweigepflicht der Heilberufler vereinbaren lassen.
Funke-Kaiser begründete die Notwenigkeit für ein GDNG damit, dass hierzulande allein die Freiwilligkeit zur Datenspende nicht mehr ausreiche. Immerhin habe Deutschland in der Coronavirus-Pandemie stark von ausländischen Daten profitiert, nun müsse man ebenfalls welche liefern. Der Gedanke des EHDS basiere schließlich unter anderem auf dem Prinzip von Geben und Nehmen und es handele sich daher um ein weltweites Gerechtigkeitsthema. Grundsätzlich unterscheidet die EU zwischen einer Primärnutzung der Daten, etwa für E-Patientenakten, Medizinprodukte oder Hochrisikosysteme, sowie einer Sekundärnutzung, bei der die Informationen in anonymisierter beziehungsweise pseudonymisierter Weise in einem vertrauenswürdigen und vernetzten Umfeld für Forschung, Innovation und Politikgestaltung eingesehen werden können.
Geht es nach Funke-Kaiser, sollte die Pharmaindustrie »auf jeden Fall« auf Daten aus dem Bereich der Sekundärnutzung zugreifen dürfen. Er geht davon aus, dass die Vorschriften für einen solchen Zugang »einen großen Teil des Gesetzes« ausmachen werden. Auch Ruppert Stüwe (SPD), Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, findet, die Pharmaindustrie müsse künftig von den Daten profitieren. Allerdings nur »mit klaren Regeln«, die sich seiner Ansicht nach für private und öffentliche Unternehmen unterscheiden sollten. Zu diskutieren ist in seinen Augen ebenfalls, welche Daten die Konzerne im Gegenzug liefern könnten und spielt dabei auf Analysedaten an, die einigen Konzernen heute bereits im großen Maßstab vorliegen.
Mit Blick auf das geplante GDNG hofft Rüddel nun auf die Unterstützung der Datenschützer, die seiner Auffassung nach in Zukunft mit einer Stimme sprechen sollten. Nur so könne die Politik eine deutliche Haltung einnehmen und klare Standrads vertreten. Zur Erinnerung: Als Basis für den EHDS soll unter anderem die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) dienen. Damit ist auch eine einheitliche Interpretation dieser in Europa notwendig, wozu in einigen Ländern ein stärkerer Kulturwandel in puncto Datennutzung passieren muss als in anderen.
Auch der BAH erachtet es als einen der großen Vorteile des geplanten GDNG, dass die Politik künftig bessere Entscheidungen auf Grundlage der Gesundheitsdaten treffen kann. Das Interesse der Arzneimittelhersteller besteht vor allem darin, mit den Informationen neue therapeutische Lösungen für Krankheiten entwickeln zu können. Speziell die Daten aus der elektronischen Patientenakte (EPA) sowie die Abrechnungsdaten aus dem GKV-Bereich hält der Interessenverband für besonders wertvoll. Ein Forschungsdatenzentrum, das diese Informationen bündelt, ist bereits im Aufbau.
Allerdings muss die Politik ebenfalls an sich selbst arbeiten, indem sie ein klares Zielbild für die EPA definiert und den Patienten den Mehrwert besser kommuniziert. Stüwe sagte zum Schluss der Diskussion selbstkritisch: »Wir müssen einfacher und zielgerichteter werden.« Funke-Kaiser hatte in erster Linie das große Ganze im Blick: »Letztlich geht es geht darum, Leben zu retten«, sagte er.