Senioren und Eltern halten sich zu wenig an Impfempfehlungen |
»Ein grundsätzliches Dilemma von Impfungen ist, dass sie Krankheiten verhindern, die dadurch viele heute nicht mehr kennen«, sagte der STIKO-Vorsitzende Professor Dr. Reinhard Berner der Deutschen Presse-Agentur. Ein Beispiel sei Diphtherie, einst »Würgeengel der Kinder« genannt. 1892 seien daran in Deutschland noch mehr als 50.000 meist junge Menschen gestorben.
Dank der 1913 eingeführten Impfung, die heute zu den Standardimpfungen bei Säuglingen gehört, ging die Zahl massiv zurück. Dieses Jahr wurden dem RKI bislang 47 Erkrankungen (Stand 12. Dezember) gemeldet. Wie Berner erklärt, führte das weitgehende Verschwinden allerdings auch dazu, dass viele Menschen gar nicht mehr wissen, wie schmerzhaft und gefährlich diese und andere Krankheiten sind.
Zu den möglichen Komplikationen der Bakterieninfektion Diphtherie zum Beispiel gehören Nervenlähmungen sowie potenziell tödliche Lungen- oder Herzmuskelentzündungen. Polioviren können schwere, bleibende Lähmungen der Gliedmaßen oder eine tödliche Atemlähmung verursachen. Masernviren können zu Lungen- und Hirnentzündungen führen. Gefürchtete Spätfolge ist die Subakute Sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), eine fast immer tödlich verlaufende Entzündung des Gehirns.
Die Standardimpfungen für Babys würden im Mittel gut wahrgenommen, häufig aber zu spät, erklärte Berner, der selbst Kinderarzt ist. Das sei problematisch, da manche Erkrankungen – zum Beispiel eine Hirnhaut- oder Kehldeckelentzündung, die durch bakterielle Infektionen ausgelöst werden – gerade im ersten Lebensjahr besonders bedrohlich seien. »Wenn wir die besonders Gefährdeten effektiv schützen wollen, müssen wir ganz früh impfen.«
Ein weiteres Problem sei, dass bestimmte Zielgruppen nicht erreicht würden, sagte Berner. Dazu zählten etwa Menschen aus bildungsfernen Haushalten oder ohne Deutschkenntnisse. Schwer zu erreichen sind nach Angaben des Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Dr. Markus Beier, außerdem Menschen, die keine feste hausärztliche Anbindung haben.
Und dann war da noch die Corona-Pandemie, die bei einigen Menschen eine generelle Skepsis gegenüber Impfungen hat heranwachsen lassen, wie der STIKO-Vorsitzende Berner sagte. »Die Pandemie hat uns, was den Impfgedanken grundsätzlich angeht, wieder weit zurückgeworfen.«
Es sei Ärzten, Wissenschaftlern und auch der STIKO nicht ausreichend gelungen, zu vermitteln, dass die Corona-Impfung sehr wohl vor einem schweren Verlauf, aber nicht generell vor einer Infektion schützt. Viele Menschen hätten sich gefragt, warum sie Corona bekommen, obwohl sie zweifach geimpft und geboostert sind - und die Wirksamkeit der Impfung angezweifelt.
Covid-19 sei immer noch keine normale Erkrankung, warnte der Berliner Virologe Professor Dr. Christian Drosten kürzlich. »Viele Patienten fühlen sich sehr krank, wenn sie infiziert sind.« Leider gebe es im Internet viele Desinformationen über die Impfung. »In der Öffentlichkeit kursiert inzwischen mancherorts die Vorstellung, die Impfung sei geradezu gefährlich, oder ähnlich gefährlich wie das Virus. Das ist eine krasse Fehlinformation«, so Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité Berlin.
Die Impfung verursache natürlich Nebenwirkungen, aber diese seien in der überwältigenden Mehrheit der Fälle gut auszuhalten und vorübergehend. »Wäre die Impfung so gefährlich wie die Infektion, dann wäre sie nicht zugelassen und empfohlen«, betonte Drosten.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.