Sehnervenschäden aufhalten |
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Clara Wildenrath |
10.04.2022 08:00 Uhr |
Das Risiko für ein Glaukom steigt mit dem Alter an. Oft, aber nicht immer ist ein erhöhter Augeninnendruck beteiligt. / Foto: Adobe Stock/auremar
Eine Stufe unmittelbar vor den Füßen, ein Kind, das vom Gehweg auf die Straße läuft – das können Menschen mit einer Glaukomerkrankung oft nicht mehr sehen. Ein typisches Zeichen für den Grünen Star sind blinde Flecken im Gesichtsfeld, die zu Beginn meist vor allem im Randbereich auftreten. Sie entstehen durch eine irreversible Schädigung des Sehnervs. Knapp eine Million Menschen in Deutschland sind davon betroffen. Die Dunkelziffer ist vermutlich mindestens noch einmal so hoch. Denn die Einschränkungen des Gesichtsfelds fallen meist erst auf, wenn sie weit vorangeschritten sind.
Die »Achillesferse« des Sehnervs ist die Papille im Augenhintergrund. Hier treffen die Nervenfasern der Retinazellen zusammen und verlassen das Augeninnere über eine Siebplatte (Lamina cribrosa). Die Blutgefäße, die den Sehnervenkopf und die Retina versorgen, treten durch dieses Nadelöhr ins Augeninnere ein. Dabei müssen sie einen abrupten Anstieg des Gewebedrucks von etwa 5 mmHg auf 15 bis 22 mmHg überwinden. All dies trägt dazu bei, dass der Sehnervenkopf im Bereich der Papille sehr anfällig für mechanische und biochemische Störungen ist, zum Beispiel durch einen erhöhten Augeninnendruck oder Blutdruckschwankungen.
Der intraokuläre Druck (IOD) resultiert aus der Balance zwischen der Sekretion von Kammerwasser durch den Ziliarkörper und dessen Abfluss (Drainage). Der größte Teil verlässt das Auge über den Kammerwinkel, den Iris und Hornhaut in der vorderen Augenkammer bilden. Hier sickert das Kammerwasser durch das Trabekelmaschenwerk in den ringförmigen Schlemmschen Kanal und wird von dort in das Venengeflecht der Aderhaut (Choroidea) abgegeben. Ein geringerer Anteil gelangt über die Iris und den Ziliarkörper in die Aderhautgefäße (uveoskleraler Abfluss).
Bei mehr als 90 Prozent aller Glaukomerkrankungen in Mitteleuropa handelt es sich um ein Offenwinkelglaukom. Bei dieser Form bleibt der Kammerwinkel makroskopisch offen, aber der Abflusswiderstand des Kammerwassers steigt aufgrund einer langsamen Degeneration des Trabekelwerks. Ursächlich beteiligt scheint oxidativer Stress durch freie Radikale im Kammerwasser zu sein.
Das Risiko steigt mit zunehmendem Alter. Bei 40- bis 80-Jährigen liegt die Prävalenz des Offenwinkelglaukoms bei 2,5 Prozent. Im Alter von über 80 Jahren leidet bereits mindestens jede/r Zehnte daran. Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen. Besonders weit verbreitet ist das Offenwinkelglaukom bei Menschen mit afrikanischer Abstammung.
Lange Zeit wurde das Glaukom in erster Linie über einen erhöhten IOD von mehr als 21 mmHg definiert. Heute gilt die okuläre Hypertension zwar nach wie vor als wichtigster Risikofaktor – in der neueren Krankheitsdefinition spielt sie aber keine Rolle mehr. Denn es hat sich gezeigt, dass der IOD bei einem knappen Drittel der Patienten mit einem primären Offenwinkelglaukom nicht erhöht ist (Normaldruckglaukom). Umgekehrt entwickeln etwa 80 Prozent aller Menschen mit okulärer Hypertension keinen Glaukomschaden.
Man geht heute davon aus, dass vor allem eine instabile Blutversorgung der Retinazellen und des Sehnervenkopfs im Zusammenspiel mit einem individuell zu hohen Augeninnendruck zur Pathogenese der glaukomatösen Neuropathien beiträgt.
Beim Normaldruckglaukom ist möglicherweise auch ein erniedrigter Liquordruck im Subarachnoidalraum des Sehnervs beteiligt, der den Druckgradienten im Bereich der Papille vergrößert. Die gestörte Mikrozirkulation führt nicht nur zu einem Sauerstoff- und Nährstoffdefizit in den Nervenzellen, sondern kann diese auch oxidativ durch freie Sauerstoffradikale schädigen. Neuere Studien deuten darauf hin, dass auch Autoimmunreaktionen gegen körpereigene Hitzeschockproteine in der Retina für die Neurodegeneration verantwortlich sein könnten.
Bei etwa einem Drittel der Patienten mit einem Offenwinkelglaukom findet sich eine zugrunde liegende Erkrankung oder eine andere Ursache für die okuläre Neuropathie. Man spricht dann von einem Sekundärglaukom.
Rund ein Viertel aller Offenwinkelglaukome in Mitteleuropa geht auf das Pseudoexfoliations-Syndrom zurück. Beim PEX-Syndrom handelt es sich um eine systemische, vermutlich genetisch bedingte Erkrankung, bei der der Abbau elastischer Mikrofibrillen beeinträchtigt ist. Infolgedessen kommt es zu typischen Proteinablagerungen auf der Iris, der Linse und im Kammerwinkel. Diese können das Trabekelwerk verstopfen und den Ablauf des Kammerwassers behindern. Charakteristisch ist ein rascher Anstieg des IOD. Die Prävalenz wird in Deutschland auf 10 bis 15 Prozent bei Über-60-Jährigen geschätzt; in skandinavischen Ländern liegt sie höher. Oft ist das PEX-Syndrom mit arterieller Hypertonie und einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Aortenaneurysma assoziiert.
Erheblich seltener tritt das Pigmentdispersions-Glaukom auf. Es macht etwa 2 Prozent aller Glaukomerkrankungen aus. Auch hier sind Ablagerungen im Trabekelwerk für den erhöhten IOD und die daraus entstehenden Schäden am Sehnerv verantwortlich. Es handelt sich um Melaninpigmente aus der Iris, die möglicherweise durch Reibung oder aufgrund einer Überproduktion freigesetzt werden. Betroffen sind in erster Linie kurzsichtige Männer zwischen 30 und 40 Jahren. Oft äußert sich die Erkrankung durch verschwommenes Sehen oder Regenbogenphänomene beim Blick in helles Licht. Die Symptome treten gehäuft nach körperlicher Anstrengung auf.
Foto: Adobe Stock/Rie Juto
Ursache für ein kindliches oder juveniles Offenwinkelglaukom ist meist ein autosomal-rezessiv vererbter Gendefekt, der zu einer Entwicklungsstörung des Trabekelwerks führt. Mit einer Inzidenz von 1:10.000 bis 1:100.000 Geburten kommt die Erkrankung sehr selten vor. Wird sie nicht rechtzeitig erkannt, kann der erhöhte Augeninnendruck zu erheblichen Einschränkungen der Sehfähigkeit bis hin zur Erblindung führen.
Oft fallen die Kinder bereits bei der Geburt durch »schöne große Augen« auf. Weitere mögliche Symptome sind vermehrter Tränenfluss, Lichtscheu und Lidkrämpfe. Meist sind beide Augen betroffen, oft aber in unterschiedlichem Ausmaß. Sind die angeborenen Schäden weniger ausgeprägt, manifestiert sich das Glaukom unter Umständen erst im späteren Kindes- oder Jugendalter. Durch eine frühe operative Therapie lassen sich gravierende Folgeschäden in der Regel vermeiden.
Das sogenannte Steroidglaukom entsteht typischerweise zwei bis sechs Wochen nach Beginn einer lokal am Auge applizierten oder systemischen Steroidtherapie. Etwa 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung sind sogenannte Steroidresponder; bei 5 Prozent kommt es dadurch zu einem IOD-Anstieg um 15 mmHg oder mehr. Besonders betroffen sind Menschen, die bereits an einem primären Offenwinkelglaukom leiden. Das höchste drucksteigernde Potenzial hat Dexamethason. Nach Absetzen des Medikaments geht der IOD in der Regel zurück. Inhalative Steroide haben nur in hohen Dosen Auswirkung auf den intraokulären Druck, intranasal angewandte nach bisheriger Datenlage gar nicht.
Anders als beim Offenwinkelglaukom ist der Abfluss des Kammerwassers beim Winkelblockglaukom (Engwinkelglaukom) durch einen anatomisch engen, teilweise auch verschlossenen Kammerwinkel behindert. Ursache ist meistens eine Vorwölbung der Iris in Richtung Hornhaut. Wenn der Raum zwischen Iris und Linse zu schmal ist, kann das Kammerwasser nicht ausreichend in die Vorderkammer fließen und drückt die Iris weiter nach vorne in den Kammerwinkel.
Mit einer Prävalenz von 0,4 Prozent kommt diese Form in Europa wesentlich seltener vor. Dennoch ist sie für etwa die Hälfte der glaukombedingten Erblindungen verantwortlich. Frauen sind etwas häufiger als Männer betroffen. Das Risiko kann bei entsprechender Prädisposition offenbar auch durch Medikamente aus der Gruppe der Parasympatholytika und Sympathomimetika steigen, zum Beispiel durch trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer oder Muskelrelaxanzien.
Auch beim Engwinkelglaukom gibt es sekundäre Formen. Manchmal kommt es zum Beispiel bei Diabetespatienten aufgrund von lokalen Durchblutungsstörungen zu Gefäßneubildungen in der Iris (Neovaskularisations-Glaukom). Auch Verletzungen, Operationen oder Tumoren am Auge können zu einer Vorwölbung der Iris führen, die den Kammerwinkel blockieren.
Foto: Shutterstock/Prostock-studio
Wie das Offenwinkelglaukom verursacht auch das Winkelblockglaukom in der Frühphase meist keine Symptome. Bei etwa einem Drittel der Patienten kommt es jedoch zu einem akuten Glaukomanfall (Winkelblock). Die Betroffenen klagen über starke Augen- und Kopfschmerzen, Sehstörungen wie ein verschwommenes Bild und Schleier oder Ringe um Lichtquellen. Oft sind sie von vegetativen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen oder Bradykardie begleitet. Das Auge ist meist stark gerötet und tränt, der Bulbus extrem hart.
Ursache ist eine plötzliche starke Erhöhung des Augeninnendrucks durch aufgestautes Kammerwasser. Dabei handelt es sich immer um einen Notfall! Kommt ein Kunde mit verdächtigen Symptomen in die Apotheke, muss ihn das Team sofort zum Augenarzt schicken. Wenn der akute Winkelblock nicht schnell behandelt wird, drohen irreversible Folgeschäden bis hin zur Erblindung. Zum Einsatz kommen in der Regel topische und systemische Medikamente zur Senkung des Augeninnendrucks, bei schwereren Formen auch eine Öffnung der Iris durch Laser (Iridotomie).
Für alle Glaukomformen gilt: Je früher die Erkrankung diagnostiziert und behandelt wird, desto höher ist die Chance, dass der fortschreitende Verlust des Sehvermögens aufgehalten werden kann. Die meisten Glaukome bleiben jedoch über lange Zeit symptomlos, weil das Gehirn die Lücken im Gesichtsfeld zunächst mithilfe der Bilder des anderen Auges kompensieren kann. Wenn die Betroffenen die typischen bogenförmigen Ausfälle wahrnehmen, sind im Schnitt bereits 40 Prozent des Sehnervs irreversibel zerstört.
In Studien zeigte sich, dass bei der Diagnose 10 bis 20 Prozent der Patienten nicht mehr fahrtauglich sind. Jedes Jahr erblinden etwa 1000 Menschen in Deutschland durch ein Glaukom. Mindestens doppelt so hoch ist das Erkrankungsrisiko bei Personen mit einer positiven Familienanamnese ersten Grades, starker Kurzsichtigkeit (über 4 Dioptrien) oder einer längeren Steroidtherapie. Ein leicht erhöhtes Risiko scheinen auch Diabetespatienten, insbesondere mit einer diabetischen Retinopathie, zu haben.
Die Diagnose eines Glaukoms beruht in erster Linie auf einer Untersuchung des Augenhintergrunds (Funduskopie) mit dem Augenspiegel oder einem Spaltlampenmikroskop. Der Sehnervenkopf zeigt dabei eine charakteristische verstärkte Aushöhlung (Exkavation), unter Umständen auch weitere Veränderungen wie Papillenrandblutungen oder Gewebeverluste am neuroretinalen Randsaum. Bei Bedarf kommen weitere bildgebende Verfahren hinzu.
In jedem Fall misst der Augenarzt zusätzlich den Augeninnendruck (Tonometrie). Eine okuläre Hypertension ohne Schädigung des Sehnervs ist noch keine Glaukomerkrankung, spricht aber für ein erhöhtes Risiko und kann eine drucksenkende Therapie rechtfertigen. Eine Gesichtsfeldprüfung gibt Aufschluss über funktionelle Sehverluste.
Um die Früherkennung des Glaukoms zu verbessern und Gesichtsfeldverluste zu vermeiden, raten die augenärztlichen Berufsverbände ab dem Alter von 40 Jahren alle fünf, ab 60 alle zwei bis drei Jahre zu Screening-Untersuchungen. Diese zählen zu den sogenannten IGeL-Leistungen und werden in der Regel von den gesetzlichen Krankenkassen nicht erstattet.
Nach Einschätzung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) fehlen aussagekräftige Studien, die den Nutzen einer solchen allgemeinen Früherkennung für die Allgemeinbevölkerung sicher belegen. Aus dem gleichen Grund bewertet auch der IGeL-Monitor die Untersuchung bei gesunden Menschen als »tendenziell negativ«. Zur Früherkennungsuntersuchung gehören meist eine Funduskopie und Tonometrie. Insbesondere bei jüngeren Menschen ergibt sich dabei häufig ein falsch-positiver Befund.
Anders als der Graue Star ist der Grüne Star bislang nicht heilbar. Die einzige nachweislich wirksame Therapie besteht in der Senkung des IOD, um das Fortschreiten der Sehnervenschädigung zu verlangsamen oder aufzuhalten. Dies gilt auch für Normaldruckglaukome. Die Senkung eines erhöhten IOD – noch vor der Glaukomdiagnose – ließ das Fünf-Jahres-Erkrankungsrisiko in Studien von 9,5 auf 4,4 Prozent sinken.
Ausschlaggebend für den Zieldruck sind der gemessene Druck, das Alter des Patienten, der Schweregrad der Erkrankung bei der Diagnose und die Progressionsrate. Um Letztere zu bestimmen, empfiehlt die Leitlinie der European Glaucoma Society (2015) in den ersten zwei Jahren nach Diagnosestellung jeweils drei Gesichtsfelduntersuchungen jährlich.
Die Retinatomographie erlaubt die dreidimensionale Darstellung des Sehnervenkopfs. Sie ist besonders wertvoll in der Verlaufskontrolle von Glaukomerkrankungen. / Foto: BVA
Zur Drucksenkung beim primären Offenwinkelglaukom stehen verschiedene Medikamentenklassen zur Verfügung, die meist topisch angewandt und auch kombiniert werden. Zur Erstbehandlung verschreibt der Arzt oft Augentropfen mit einem Prostaglandin-Analogon wie Bimatoprost, Latanoprost, Tafluprost und Travoprost, die einmal täglich abends appliziert werden. Prostaglandin-Analoga verbessern die Drainage des Kammerwassers über das Trabekelwerk und den uveoskleralen Abfluss und reduzieren den Intraokulardruck am stärksten. Zu den möglichen Nebenwirkungen zählen gerötete Augen, vermehrtes Wimpernwachstum und verstärkte Pigmentierung der Iris. Asthma, schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Leber- und Nierenerkrankungen schränken die Anwendung ein.
Als Alternative bieten sich lokal applizierte Betablocker an, zum Beispiel Timolol und Levobunolol. Sie senken die Produktion des Kammerwassers. In der Regel muss der Patient zweimal täglich tropfen. Häufigste Nebenwirkung sind trockene Augen. Bei Patienten mit Diabetes mellitus kann die Therapie Hypoglykämien verstärken und entsprechende Symptome maskieren. Kontraindiziert ist sie unter anderem bei Asthma, COPD, Herzrhythmusstörungen und schwerer allergischer Rhinitis.
Platz drei in der Rangfolge der effektivsten IOD-Senker nehmen die α2-adrenergen Agonisten, zum Beispiel Brimonidin, Clonidin und Apraclonidin, ein. Sie senken die Kammerwassersekretion und fördern gleichzeitig den uveoskleralen Abfluss. Ihr Nachteil: Sie müssen zwei- bis dreimal täglich angewendet werden und führen oft zu Augenreizungen. Langfristig lösen sie bei etwa einem Drittel der Patienten Unverträglichkeitsreaktionen aus. Bei einer gleichzeitigen Therapie mit Monoaminoxidase-Inhibitoren, Sympathomimetika oder trizyklischen Antidepressiva sind sie kontraindiziert. Besondere Vorsicht ist bei Patienten mit Bradykardie, Hypotonie, Gefäßsklerose oder eingeschränkter Leber- und Nierenfunktion geboten.
In Kombination mit einer antihypertensiven Therapie besteht die Gefahr von nächtlichen Blutdruckabfällen, die die Progression des Glaukoms fördern können.
Topische Carboanhydrasehemmer (Dorzolamid, Brinzolamid) verringern ebenfalls die Kammerwasserproduktion. Patienten klagen nach der Anwendung oft über brennende und tränende Augen; systemische Nebenwirkungen treten jedoch kaum auf. Im Vergleich mit den anderen topischen Medikamentenklassen senken Carboanhydrasehemmer den IOD am geringsten (in Studien im Schnitt um etwa 2,5 mmHg).
Miotika werden in der Erstlinientherapie kaum noch eingesetzt, weil sie oft inakzeptable Nebenwirkungen wie Akkomodationsstörungen und beeinträchtigtes Dämmerungssehen verursachen.
Foto: Adobe Stock/Satjawat
Für alle Augentropfen zur Augeninnendrucksenkung gilt: Um die systemische Wirkung zu reduzieren, sollten die Patienten nach der Anwendung die Augen für zwei bis drei Minuten schließen und mit dem Zeigefinger den Tränenkanal im inneren Augenwinkel sanft zudrücken.
Konservierungsmittelfreie Präparate ohne Benzalkoniumchlorid können die lokale Verträglichkeit verbessern. Bei Nebenwirkungen wie trockenen Augen kann ein in ausreichendem zeitlichen Abstand gegebenes Tränenersatzmittel helfen, zum Beispiel mit Hyaluronsäure.
Generell ist die Adhärenz bei der Glaukomtherapie oft schlecht, weil die Patienten kaum Beschwerden haben und durch die Tropfen keine Besserung, sondern unerwünschte Nebenwirkungen erfahren. Das Apothekenteam kann die Therapietreue fördern, wenn es bei der Abgabe immer wieder darauf hinweist, dass das regelmäßige Tropfen wichtig ist, um eine Verschlechterung der Sehfähigkeit und langfristig eine Erblindung zu vermeiden.
Bei Bedarf kann der Arzt auch einen systemischen Carboanhydrasehemmer (Acetazolamid) verschreiben. Er bewirkt eine stärkere Senkung des Intraokulardrucks um bis zu 40 Prozent. Mögliche Nebenwirkungen sind vor allem Parästhesien, Hörprobleme, Übelkeit und Geschmacksveränderungen.
Reicht eine Monotherapie nicht aus, raten die Leitlinien zur Kombination verschiedener Substanzklassen. Sofern möglich sollten Fixkombinationen bevorzugt werden, da sie die Adhärenz verbessern und das Auswaschen der zuerst angewendeten Augentropfen vermeiden.
Wenn sich der Zieldruck mit Medikamenten nicht erreichen lässt, kommt eine operative Therapie in Betracht. Häufig werden laserbasierte Verfahren eingesetzt. Eine Laser-Trabekuloplastik verbessert den Kammerwasserabfluss über den Schlemm-Kanal. Bei 80 bis 85 Prozent der Patienten bewirkt sie eine Drucksenkung um 20 bis 25 Prozent. Das Komplikationsrisiko ist gering. Allerdings lässt der Effekt mit der Zeit nach; bei Bedarf kann der Eingriff mehrmals wiederholt werden.
Ziel jeglicher Glaukomtherapie ist es, eine Erblindung zu vermeiden. / Foto: Adobe Stock/Robert Kneschke
Die Zyklophotokoagulation verringert die Kammerwasserproduktion und senkt den IOD bei etwa der Hälfte der behandelten Augen um mindestens 20 Prozent.
Die Glaukomchirurgie bietet viele unterschiedliche Verfahren und Techniken. In einem minimal invasiven Eingriff lässt sich beispielsweise ein Stent im Schlemm-Kanal implantieren, um den Abfluss über das Trabekelmaschenwerk zu verbessern. Häufig erfolgt beim Offenwinkelglaukom eine Trabekulektomie, die einen zusätzlichen Abflussweg für das Kammerwasser aus der Augenvorderkammer unter die Bindehaut schafft. Zu den nicht penetrierenden Techniken gehört die tiefe Sklerotomie, die die Abflusswege ohne Eröffnung des Auges erweitert.
Weniger Entwicklung gibt es bei der medikamentösen Therapie. Ende 2019 erhielt der Rho-Kinase-Inhibitor Netarsudil die EU-Zulassung. Er steigert den Kammerwasserabfluss durch das Trabekelmaschenwerk, drosselt die Kammerwasserproduktion und senkt den episkleralen Venendruck. Dieser Wirkmechanismus scheint besonders beim Normaldruckglaukom vorteilhaft zu sein. Als Monotherapie war Netarsudil in Studien etwas schwächer wirksam als Latanoprost. Seit 2020 ist auch ein topisches Kombipräparat mit diesem Prostaglandin-Analogon zugelassen. Beide Arzneimittel sind in Deutschland bisher nicht erhältlich.
In den USA sind seit 2017 Augentropfen mit dem Wirkstoff Latanoprosten-bunod zugelassen. Er wird im Auge zu Latanoprost und Butandiol-Mononitrat metabolisiert. Das daraus freigesetzte Stickstoffmonoxid (NO) steigert die Muskelrelaxation und fördert dadurch den Abfluss des Kammerwassers über das Trabekelmaschenwerk.
In der Entwicklung befinden sich mehrere neue Wirkstoffabgabesysteme, die die Adhärenz der Patienten verbessern sollen. So können beispielsweise in situ gelierende Tropfen, sogenannte Sol-Gel-Systeme, die Kontaktzeit mit der Augenoberfläche verlängern und die Wirkstoffaufnahme verbessern. Mittels Nanopartikeln lässt sich ebenfalls die Verweilzeit des Wirkstoffs erhöhen. In präklinischen und klinischen Studien befinden sich außerdem mehrere wirkstoffhaltige Inserte und Implantate, die beispielsweise in die vordere Augenkammer oder in die Tränenwege eingebracht werden. Auch Kontaktlinsen als Wirkstoffreservoire werden untersucht.
In den letzten Jahren rückte die Neuroprotektion zunehmend in den Fokus. In Tierstudien brachte beispielsweise Citicolin (Cytidin-5′-diphosphocholin) ermutigende Ergebnisse. Bei Ratten gingen Nervenschäden im Auge nach einer dreiwöchigen Behandlung um 74 Prozent zurück. Der Sehverlust verminderte sich trotz der weiter bestehenden okulären Hypertension.
Citicolin ist eine körpereigene Substanz, die an der Synthese der Phospholipide in Zellmembranen beteiligt und als Nahrungsergänzungsmittel im Handel ist. Einzelne Fallstudien weisen auch beim Menschen auf eine mögliche neuroprotektive Wirkung beim Offenwinkelglaukom hin, aussagekräftige wissenschaftliche Studien fehlen aber komplett.
Eine ähnliche Wirkung könnten GLP-1-Rezeptoragonisten haben, die Typ-2-Diabetespatienten zur Blutzuckersenkung erhalten. Wie kürzlich die Analyse von britischen Versicherungsdaten zeigte, erkrankten Patienten unter dieser Therapie nur gut halb so oft an einem Glaukom wie bei anderen Blutzuckersenkern. Den protektiven Effekt führen die Forscher auf eine antientzündliche Wirkung in den Nervenzellen der Retina zurück. Zu den GLP-1-Rezeptoragonisten gehören beispielsweise die Wirkstoffe Dulaglutid, Exenatid, Semaglutid und Liraglutid.
Für einen Quantensprung in der Glaukombehandlung könnten gentherapeutische Ansätze sorgen. Epigenetische Veränderungen der zellulären DNA spielen eine wichtige Rolle im Alterungsprozess – auch im Auge. Vor allem Methylierungen entscheiden darüber, welche Gene abgelesen werden und welche nicht. US-amerikanischen Forschern gelang es 2020, bei Mäusen Methylierungen in der DNA der Retinazellen gezielt zu entfernen und so die altersbedingten Veränderungen des Epigenoms rückgängig zu machen. Dadurch regenerierte sich das beschädigte Netzhautgewebe und die Sehleistung der Tiere verbesserte sich deutlich.
Auch bei menschlichen Retinazellen in Zellkultur konnten die Forscher den Alterungsprozess auf diese Weise zurückdrehen. Erstmals war es damit möglich, bestehende Schäden am Sehnerv zu heilen und verlorene Sehkraft wiederherzustellen. Bis diese Form der Gentherapie auch bei Menschen mit Glaukom getestet werden kann, dürften aber noch einige Jahre vergehen.
Clara Wildenrath ist Diplom-Biologin, Wissenschaftsjournalistin und Buchautorin. Sie berichtet sowohl für Fachkreise als auch für Laien über Grundlagen und Neuerungen in der Medizin. Zu ihren Schwerpunktthemen gehören unter anderem die Gynäkologie, Immunologie und Biochemie.