Schlüpfrige mRNA-Translation |
Theo Dingermann |
07.12.2023 15:00 Uhr |
Durch das Ablesen von mRNA-Molekülen am Ribosom werden Proteine gebildet. Bei modifizierter mRNA, wie sie in Coronaimpfstoffen enthalten ist, können selten Ablesefehler auftreten. / Foto: Getty Images/Science Photo Library/Juan Gaertner
Nur wenn in mRNA-Impfstoffen der natürliche RNA-Baustein Uridin durch das viel seltener vorkommende Nukleotid N1-Methylpseudouridin (1-methylΨ) ersetzt wird, kann der Impfstoff in einer ausreichend hohen Konzentration verabreicht werden, um eine schützende Immunantwort zu induzieren. Unmodifiziert ist RNA so reaktogen, dass sie in wirksamen Dosen nicht vertragen wird. Die Entdeckung dieses Prinzips durch die Professoren Dr. Katalin Karikó und Dr. Drew Weissman war so grundlegend, dass die beiden Wissenschaftler in diesem Jahr mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie geehrt wurden.
Dass allerdings die Einführung der Uridin-Modifikation zu unerwarteten Effekten führen kann, zeigen jetzt britische Forschende um Dr. Thomas E. Mulroney von der MRC Toxicology Unit der Universität Cambridge in einer Arbeit, die im Fachjournal »Nature« publiziert wurde.
Es ist bekannt, dass Veränderungen in der mRNA-Chemie durch Austausch der typischen Nukleobasen zu Fehlern beim Ablesen der mRNA am Ribosom und der Übersetzung in Protein (Translation) führen können. Allerdings wurde das für die in den mRNA-Impfstoffen verwendete Base 1-methylΨ bisher noch nicht beobachtet. Zwar wird die mit 1-methylΨ modifizierte mRNA an den Ribosomen langsamer ausgelesen als unmodifizierte mRNA, aber zu einer Missdeutung der Codons kommt es nicht.
Stattdessen identifizieren die Forschenden ein anderes Problem. Durch das verlangsamte Ablesen kann es an bestimmten Stellen zu einer Codon-Verschiebung, einem sogenannten Frameshift, kommen. An diesen Stellen wird die mRNA gewissermaßen »schlüpfrig«, sodass das klassische Dreierraster in der codierenden mRNA nicht eingehalten wird.
Durch den resultierenden ribosomalen +1 Frameshift entstehen sehr selten, aber mit empfindlichen Methoden nachweisbar, veränderte Proteine und Peptide, die auch eine Immunantwort auslösen können, wie die britischen Forschenden zeigen. Das gilt auch für die mRNA in Comirnaty®, dem Covid-19-Impfstoff von Biontech/Pfizer. Allerdings sind nicht alle Codons, die einen 1-methylΨ-Baustein enthalten, an einem +1 Frameshift beteiligt. Und das ist die gute Nachricht, die diese Arbeit bereithält.
Daher weisen die Forschenden auch darauf hin, dass sich künftige mRNA-Impfstoffe hinsichtlich dieses Problems optimieren lassen, indem man die schlüpfrigen Codons synonym austauscht, das heißt durch andere Codons ersetzt, die die Proteinsequenz nicht verändern.
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