Schlechte Therapietreue trotz hohen Leidensdrucks |
Daniela Hüttemann |
04.05.2021 17:00 Uhr |
Einer Forsa-Umfrage zufolge wollen 9 Prozent der Menschen einem Patienten mit einer Hauterkrankung nicht die Hand geben. Die Stigmatisierung erhöht den ohnehin großen Leidensdruck. / Foto: Adobe Stock/IIIRusya
Laut wissenschaftlichen Studien wenden bis zu 40 Prozent der Psoriasis-Patienten ihre Medikamente nicht so an, wie sie sollen, berichtete vergangene Woche die Versorgungsforscherin Dr. Rachel Sommer bei einer Pressekonferenz des Pharmaunternehmens Novartis. Dabei sei der Leidensdruck dieser Patienten, nicht zuletzt durch die Stigmatisierung von Menschen mit sichtbaren Hauterkrankungen, sehr hoch. »Doch trotz einer gegebenen Indikation und eines hohen Leidensdrucks werden auch wertvolle und teure Medikamente nicht immer ›treu‹ eingesetzt«, so Sommer.
Viele Patienten mit jahrelanger Leidensgeschichte einer Schuppenflechte fühlten sich schlecht betreut oder wüssten gar nicht, dass seit einigen Jahren ein Vielzahl neuer, hochwirksamer Medikamente zur Verfügung stehe. »Dank innovativer Therapieoptionen können viele Psoriasis-Patienten heute dauerhaft ein PASI 90- beziehungsweise PASI 100-Ansprechen erreichen«, berichtete Privatdozent Dr. Alexander Zink, Oberarzt am Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München. Das entspricht einer 90- oder gar 100-prozentigen Symptomreduktion bis hin zur Symptomfreiheit. Zudem könnten Betroffene häufig eine von der Erkrankung unbeeinträchtigte Lebensqualität erzielen.
Apotheker können Patienten mit bislang unzureichend behandelter Psoriasis empfehlen, ihren Dermatologen darauf anzusprechen. »Auf Arztseite spielt hier die Schaffung einer partizipativen Entscheidung, die Überzeugungskraft und natürlich auch die Aussicht auf Therapieerfolg eine Rolle«, erklärt Versorgungsforscherin Sommer auf Nachfrage der Pharmazeutischen Zeitung. »Wir sollten uns häufiger fragen: Was ist dem Patienten bei der Therapie wichtig?«
Auf Patientenseite seien wichtige Determinanten der Schweregrad der Erkrankung und damit der Leidensdruck, aber auch die Einsichtsfähigkeit und ganz individuelle Faktoren des Selbstmanagements. »Schließlich spielt der erlebte Therapieerfolg eine große Rolle – was in der Umkehrung heißt, dass bei noch nicht eingetretenem Therapieerfolg die Funktion des Arztes, Zuspruch und Ermutigung zu leisten, umso bedeutender ist.«
Vor Kurzem wurde die S3-Leitlinie zur Therapie der Psoriasis vulgaris aktualisiert. Bei leichter Schuppenflechte empfiehlt sie eine topische Therapie, die jedoch bei mittelschwerer bis schwerer Psoriasis allein oft nicht ausreicht. Zudem ist Psoriasis keine reine Hauterkrankung, sondern das Entzündungsgeschehen greift zum Beispiel auch die Gelenke an. Daher sollten rechtzeitig sogenannte krankheitsmodifizierende Therapeutika (DMARD) wie Methotrexat und Biologika wie Interleukin-Inhibitoren zum Einsatz kommen. Viele der neueren Präparate können als Erstlinien-Therapie verordnet werden. Grundsätzlich ist das Ziel komplette Erscheinungsfreiheit. Dies ist zwar nicht für alle Patienten realistisch, doch sollten sich die Symptome um mindestens 75 Prozent reduzieren.
Besonders stark sinke die Therapieadhärenz innerhalb der ersten zwei Jahre nach Therapiebeginn. Die Patienten sollten also immer wieder bei der Anwendung ihrer Medikamente unterstützt werden. »Auch Apothekerinnen und Apothekern kommt in der Arzneimittelversorgung der Menschen mit Psoriasis eine wichtige Rolle zu, wenn es um die Wahrung von Adhärenz geht«, erklärt Sommer gegenüber der PZ. »So ist die Reaktion des Apothekers auf die durchgeführte Verordnung etwas, was grundsätzlich Patienten in ihrer Grundhaltung und ihr Vertrauen gegenüber der Arzneimittelgabe bestärkt oder auch verunsichert.«
Neben dieser affirmativen Reaktion des Apothekers sei auch die Vermittlung von Anwendungswissen und Details zur Handhabung von Bedeutung, da die Adhärenz der Patienten größer sei, wenn sie sich in der Applikation und in der Handhabung der Medikamente sicher fühlen.
»Zudem können Apotheker auch als Taktgeber und als Recall-Instanz hilfreich sein«, meint Sommer. »So ist bei wiederholtem Aufsuchen derselben Apotheke auch die Verstetigung der Informationen über die Arzneimittelwirkungen und die wiederholte Erinnerung an die Handhabung für den Patienten hilfreich. Selbst das aus ärztlicher Sicht notwendige Monitoring der Systemtherapie bei Psoriasis kann durch Intervention des Apothekers unterstützt und in der Umsetzung gegebenenfalls kontrolliert werden.«
Anlass der Pressekonferenz war, dass Novartis seit Februar seinen Interleukin-17A-Inhibitor Secukinumab (Cosentyx®) in der Dosierung 300 mg als Pen auf den Markt gebracht hat – doppelt so hoch wie bisher. Waren bislang zwei Spritzen bei der monatlichen Applikation erforderlich, ist mit den neuen Pen nur noch eine nötig.
In der randomisierten, verblindeten MATURE-Studie wurde die Einmalinjektion mit dem 300-mg-Fertigpen mit der zweimaligen Anwendung der 150-mg-Fertigpens sowie Placebo verglichen. 75,6 Prozent hatten unter der Behandlung mit dem 300-mg-Fertigpen fast keine (PASI 90) und 43,8 Prozent keine Hautsymptome mehr (PASI 100). 75,6 Prozent erzielten ein IGA von 0/1. IGA steht für Investigator Global Assessment und erfasst, wie schwer eine Schuppenflechte auf der Skala von 0 bis 5 ist. Die Ergebnisse sind noch nicht in einem Peer-Reviewed-Journal erschienen.
»Die Studienergebnisse zeigen auch: 92,1 Prozent der Betroffenen waren mit der Anwendung des 300-mg-Pens zufrieden oder sehr zufrieden«, berichtete Dermatologe Zink. Das Sicherheitsprofil habe dem der doppelten Injektion entsprochen und sei günstig gewesen. »Die vereinfachte Handhabung des Biologikums könnte die Therapietreue positiv beeinflussen«, hofft Novartis.
»In Zukunft wird aber auch die Digitalisierung bei der Adhärenzerhöhung helfen«, glaubt Zink. Wenn Patienten im Internet nach einer bestimmten Erkrankung oder Symptomen suchen, könne demnächst künstliche Intelligenz in Form eines Chatbots bis zu 90 Prozent der Fragen beantworten. »Ärzte hätten dann mehr Zeit für die restlichen 10 Prozent«, so der Arzt.
In nicht allzu ferner Zukunft könnte die ständige Vermessung mit am Körper getragenen Sensoren zudem die Diagnose und das Monitoring stark vereinfachen und automatisieren. Vorstellbar seien Pflaster oder Mikronadeln, die zum Beispiel den Interleukin-17-Spiegel messen und mit Pumpsystemen verbunden sind, so wie es heute in der Insulin-Therapie bereits praktiziert wird. »Statt alle vier Wochen eine relativ hohe Dosis einen Antagonisten zu geben, könnten wir dann konstant Minidosen applizieren, um die Inflammation zu unterdrücken«, hofft Zink.