SARS-CoV-2 bildet Reservoire in Herz und Hoden |
Theo Dingermann |
16.02.2023 07:00 Uhr |
Das Pandemievirus befällt auch andere Organe als die Lunge und kann diese schädigen. / Foto: NIH
Bei einer SARS-CoV-2-Infektion können symptomatische Beeinträchtigungen mehrerer Organsysteme entweder durch eine systemische Entzündung oder eine Unterversorgung des Organismus mit Sauerstoff als Folge entstehen. Allerdings ist es auch möglich, dass SARS-CoV-2 direkt in verschiedene Kompartimente des Körpers eindringt und dort eine schädigende Infektion etabliert, wie man dies für viele andere Viren kennt. So kann das humane Immundefizienz-Virus (HIV) vor allem Reservoire im Zentralnervensystem bilden. Flaviviren persistieren in Nieren und Hoden und Filoviren können ebenfalls in den Hoden und anderen Organen überdauern.
Der Frage nach der Persistenz des Coronavirus in verschiedenen Organen widmeten sich Forschende um Dr. Erica Normandin vom Broad Institute of Harvard and MIT und dem Department of Systems Biology der Harvard Medical School in Boston, die ihre Ergebnisse jetzt im Fachjournal »Nature Communications« publizierten. Mithilfe eigens für ihre Studie entwickelter Methoden zur hochauflösenden SARS-CoV-2-Sequenzierung und -Genomanalyse von Gewebeproben, die formalinfixiert und in Paraffin eingebettet waren, analysierten die Forschenden 120 Proben von sechs Personen, die an Covid-19 gestorben waren.
Die Forschenden zeigen, dass virale RNA in verschiedenen extrapulmonalen Geweben aller Probanden in unterschiedlichem Ausmaß nachweisbar ist. Die meisten der 180 in dieser Studie charakterisierten Virusvarianten erwiesen sich als einzigartig für die einzelnen Gewebeproben.
Obwohl die betroffenen Gewebe unterschiedlich stark befallen waren, wiesen alle Probanden eine relativ hohe Viruslast in mehreren extrapulmonalen Geweben auf. Allerdings war die Viruslast bei Probanden mit einem längeren Krankheitsverlauf im Allgemeinen niedriger.
Bei Probanden mit längerem Krankheitsverlauf konnten allerdings mehr hochfrequente (>10 Prozent) seltene Varianten nachgewiesen werden. Bei einem Probanden wurden zehn dieser Varianten ausschließlich in extrapulmonalen Geweben gefunden. Eine der gewebespezifischen Hochfrequenzvarianten wies eine nicht synonyme Mutation an der Furin-Spaltstelle des Spike-Proteins auf.
Die Forschenden fanden mehr Anzeichen für eine Kompartimentierung bei Probanden, bei denen der Zeitraum zwischen dem Auftreten der Symptome und dem Tod größer gewesen war. Bei einer Person ließen sich keine gewebespezifischen hochfrequenten Varianten in einem der fünf untersuchten extrapulmonalen Gewebe nachweisen. Bei dieser Person hatte zwischen Symptombeginn und Tod nur ein Tag gelegen; der kurze Krankheitsverlauf bot wahrscheinlich nicht genügend Zeit, um eine Kompartimentierung zu etablieren.
Im Gegensatz dazu ließen sich bei einer anderen Person, bei der neun Tage zwischen dem Auftreten der Symptome und dem Tod lagen, zehn gewebespezifische Hochfrequenzvarianten in extrapulmonalen Geweben nachweisen, was stark auf eine Kompartimentierung hindeutet. Die kompartimentierte Infektion im Herzen dieses Patienten stand im Einklang mit der sehr hohen Viruslast und den starken histopathologischen Hinweisen auf eine Infektion der Kardiomyozyten. Dies untermauert die Hypothese, dass eine direkte Infektion zu den bei einigen Covid-19-Patienten beobachteten organspezifischen Folgen führen kann.
Die Hoden, die bei dem Patienten ebenfalls Anzeichen für eine kompartimentierte Infektion aufwiesen, sind ein bekanntes immunprivilegiertes Organ. Dies bedeutet, dass dieses Gewebe durch Teile des Immunsystems nicht angegriffen oder zerstört werden kann. Hoden werden nachweislich auch von verschiedenen anderen Krankheitserregern infiziert, was auch Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit und eine potenzielle sexuelle Übertragung des Virus haben kann.
Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen zweifelsfrei den Befall unterschiedlicher extrapulmonaler Organe bei den untersuchten Patienten. Bedenklich ist vor allem der Befall immunprivilegierter Organe, da dieser zu einer anhaltenden gewebespezifischen Pathologie und/oder einer eventuellen Reaktivierung führen kann.
Darüber hinaus bietet eine persistierende Infektion, insbesondere bei einem immunsupprimierten Patienten, ein Umfeld für eine anhaltende virale Evolution, die zur Entstehung von Varianten innerhalb des infizierten Wirts führen kann und bereits länger schon als potenzielle Quelle für neue, bedenkliche Varianten vermutet wird.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.