Rolling Stones rocken das Alter |
Chronische, niedriggradige Entzündungen seien ein weiterer Treiber für Altersprozesse. Diese Erkenntnisse begründen das Kunstwort »Inflammaging«. Als einen wesentlichen Urheber in diesen entzündlichen Prozessen stellte Dingermann die seneszenten Zellen vor, also jene Zellen, die ihre Teilungsfähigkeit verloren haben, ohne dass sie wirklich absterben und beispielsweise durch Autophagie eliminiert werden.
Seneszente Zellen bleiben weiter metabolisch aktiv, sezernieren weiterhin Botenstoffe, die am Immunsystem beteiligt sind, sie reagieren jedoch nicht mehr auf mitogene Stimuli. Sie sind quasi irreversibel im Zellzyklus arretiert. Das kann vorteilhaft sein, beispielsweise um eine irreparabel genetisch geschädigte Zelle zu eliminieren. In einem jungen Organismus werden die stillgelegten Zellen wieder ersetzt.
Im Alter wird dann die Akkumulation dieser seneszenten Zellen beziehungsweise ihre immer ineffizientere Eliminierung zum Problem. Die Zweischneidigkeit dieser seneszenten Zellen ergibt sich laut Dingermann aus ihrer noch vorhandenen sekretorischen Fähigkeit. »Der sogenannte Seneszenz-assoziierte sekretorische Phänotyp (SASP) dieser Zellen sezerniert weiterhin alarmierende Botenstoffe und erzeugt in einer Art Autokatalyse eine allgemein entzündliche Umgebung, die mit Alterserscheinungen wie Arteriosklerose, Lungenfibrose, Demenz oder Arthritis assoziiert ist. Es etabliert sich eine systemische Entzündung, weil sich so viele seneszente Zellen anhäufen. Das trägt entscheidend zur Entstehung von Krankheiten bei.«
Der Apotheker stellte die gesunde Langlebigkeit als eines der meist beforschten Themen im medizinischen und pharmazeutischen Bereich vor. Viele Start-ups hätten sich der Entwicklung von Medikamenten verschrieben, die Alterungsprozesse der Zellbiologie adressieren. Tierstudien zum Thema gibt es viele, klinisch nachweisbare Effekte beim Menschen sind derzeit noch Mangelware. »Hier valide zu intervenieren, ist Ziel der seriösen Alternsforschung. Mit pharmazeutischer Intervention kommt man dann auch weg von Nahrungsergänzungsmitteln hin zu Medikamenten.«
Gibt es derzeit bereits Arzneistoffe, um die Lebensspanne zu verlängern? Dingermann stellte ein von der FDA-geprüftes Verfahren vor, nach dem zugelassene Medikamente im Sinne eines Repurposings auf ihr gerontowissenschaftliches Potenzial hin untersucht werden. Für ihr Ranking verwenden die Experten ein Zwölf-Punkte-System, das zu gleichen Teilen Punkte für Grundlagenforschung und klinische Studien vergibt. Hinsichtlich der Gesundheit muss für den Arzneistoff nachgewiesen werden, dass er auf mindestens eine altersbedingte Krankheit oder einen pathologischen Prozess abzielt, für den er nicht zugelassen ist. Bezüglich der Mortalität muss für das Medikament nachgewiesen werden, dass es die Gesamtmortalität oder den Tod durch eine Krankheit, für die es nicht zugelassen ist, senkt.
In diesem Ranking schneiden derzeit SGLT-2-Inhibitoren, Metformin und Bisphosphonate mit Abstand am besten ab. »Ganz bald schon werden in dieser Alternsinterventionsliste die GLP-1-Rezeptoragonisten weiter oben gelistet werden«, prognostizierte Dingermann. Im Mittelfeld rangieren derzeit sogenannte Senolytika wie Dasatinib plus Quercetin, die den Tod von seneszenten Zellen selektiv induzieren können.
Ihre 62-jährige extrem erfolgreiche Bandgeschichte, immer noch faszinierende Bühnenshows wie die im vergangenen Sommer – und das in einem Alter von mehr als 80 Jahren: Das nahmen die Frankfurter Pharmazieprofessoren Dr. Theo Dingermann und Dr. Dieter Steinhilber zum Anlass, über »Die Rolling Stones als Rollenmodell für die modernen jungen Alten« zu referieren. Wie immer bei dieser Vortragsreihe verknüpften sie die vorgestellten (patho)physiologischen Prozesse mit der Biografie bekannter Musiker.
»Mit gut 80 Jahren sind sie endlich so alt, wie sie seit Längerem bereits aussehen«, meinte Steinhilber, der den Lebenslauf der Stones nachzeichnete. In der Tat haben jahrzehntelanges »Sex, Party and Rock’n’Roll« Spuren hinterlassen. Der unstete Lebenswandel war bereits Thema in einer ihrer ersten Stücke 1962, das einen Bezug zu dem englischen Sprichwort »A rolling stone gathers no moss« herstellt, was genau dies beschreibt. »Im Grunde gab es nie ernsthafte Versuche, in ein bürgerliches Leben einzusteigen.«
Vor allem die Drogenexzesse von Keith Richards nagten auch sichtbar am Zahn der Zeit – erst 1979 schaffte er den Absprung von Heroin, wobei er Kokain, Beruhigungsmittel und Alkohol zum Teil noch weiter konsumierte. Dennoch bescheinigte Steinhilber ihm eine »vermeintlich unverwüstbare Konstitution«. Mittlerweile lebe er wie die anderen Bandkollegen sehr gesund, sogar das Rauchen habe er aufgegeben. Charlie Watts verstarb dagegen 2021 an Kehlkopfkrebs.
Seit Jahren bieten sie die umsatzträchtigsten Musiktourneen. Im Rahmen der kürzlich stattgefundenen »Hackney Diamonds«-Tour in den USA nahm die Band mit 18 Konzerten die spektakuläre Summe von 235 Millionen Dollar ein. »Den damit verbundenen Stress scheinen die mittlerweile über 80-jährigen Musiker gut zu verkraften. Musik machen hält offensichtlich geistig fit«, sagte Steinhilber.