Reaktionen auf Lauterbachs Spar-Eckpunkte |
Melanie Höhn |
29.06.2022 12:30 Uhr |
Apotheken sind schon jetzt stark belastet, sagt ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. / Foto: ABDA/Erik Hinz
Um das GKV-Finanzloch zu stopfen, möchte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auch an den Apotheken sparen – er spricht von »Effizienzreserven«, die er nicht näher benennt. Zudem soll die Pharmaindustrie eine »Solidarabgabe« leisten.
Die Präsidentin der ABDA, Gabriele Regina Overwiening, kritisierte diese Pläne. »Die Apothekerinnen und Apotheker sind entsetzt darüber, dass ausgerechnet sie herangezogen werden sollen, um die Finanzlöcher in der gesetzlichen Krankenversicherung zu stopfen«, sagte sie. Apotheken seien schon jetzt hoch effizient, »da gibt es keine Effizienzreserven mehr«, so die ABDA-Präsidentin. Der Anteil der Apotheken an den Ausgaben der GKV sei in den vergangenen Jahren immer weiter auf inzwischen 1,9 Prozent gesunken. Dafür würden 18.000 Apotheken mit 160.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die flächendeckende Arzneimittelversorgung im ganzen Land stemmen.
Weiterhin betonte Overwiening, dass die Apotheken schon jetzt stark belastet seien: Sie müssten »die hohe Inflation und die deutlich gestiegenen Tariflöhne ihrer Angestellten schultern, während gleichzeitig ihre Vergütung für verschreibungspflichtige Arzneimittel seit Jahren zu Unrecht eingefroren ist«. Zudem erklärte sie: »An den Apotheken nun noch zusätzlich sparen zu wollen ist dramatisch, es ist falsch und es ist unfair. Schließlich haben die Apotheken in den vergangenen zwei Jahren als Heilberuf vor Ort in besonderem Maße gezeigt, wie flexibel und resilient sie die Mammutaufgaben zur Pandemie-Bekämpfung patientennah und erfolgreich gemeistert haben.« Für den kommenden Herbst und Winter müssten sich die Apotheken im Kampf gegen die nächste Pandemie-Welle wieder rüsten. Vor diesem Hintergrund sei es besonders befremdlich, wenn der Minister Kürzungen ankündige und zeitgleich auf die Unterstützung der Apotheken in der Pandemie-Bekämpfung setze.
Auch die Ärzteschaft und sowie Verbände der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) kritisieren die Sparpläne des BMG. Die vorgelegten Eckpunkte würden der GKV insgesamt »allenfalls eine finanzielle Atempause« verschaffen, sagte Doris Pfeiffer, Verbandschefin beim GKV-Spitzenverband. Das Aufbrauchen von Rücklagen sei »keine solide und nachhaltige Finanzierung«. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) spricht davon, dass das »Vertrauen der Ärzteschaft in die Politik ein weiteres Mal erschüttert sei«. Der Vorstand der KBV sei »irritiert und alarmiert« über die Eckpunkte des Spargesetzes. Außerdem ist die KBV sauer darüber, dass die mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) eingeführten höheren Vergütungen für Neupatienten ersatzlos gestrichen werden sollen. Dem Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (Spifa) gehe das vor allem zu Lasten der Patienten, »die nun Dank Herrn Lauterbach wieder länger auf einen Termin warten müssen. Das sind faktisch Leistungskürzungen«, sagte der Vorstandsvorsitzende des Verbands Dirk Heinrich. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, schlug die Einführung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel vor, um die Kassen deutlich zu entlasten. Dies sehe Lauterbachs Entwurf aber nicht vor. Zur Erinnerung: Ein erster, vager Entwurf zu dem Gesetz aus dem Frühjahr hatte diese Regelung enthalten. Die Apotheker hätte dies in Verbindung mit einem erhöhten Kassenabschlag finanziell schwer getroffen.
Auch Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, hält die Eckpunkte für unausgewogen: Sie seien nur ein »kurzfristiges Stückwerk für das kommende Jahr«, sagte sie. Für sinnvoll erachtet sie die Maßnahmen auf der Ausgabenseite – insbesondere im Arzneimittelbereich. »Aber unter dem Strich läuft das Maßnahmenpaket auf eine enorme Zusatzlast für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler hinaus«, so Reimann. Generell sind die Pläne für höhere Zusatzbeiträge der Gesetzlichen Krankenkassen auf breite Kritik gestoßen. Dabei steht die Befürchtung im Vordergrund, dass ohne Reformen in den kommenden Jahren weitere Erhöhungen drohen. »Im Grunde brauchen wir Ausgaben senkende Strukturreformen in allen Zweigen der Sozialversicherungen«, sagte Markus Jerger, Vorsitzender des Bundesverbandes Der Mittelstand (BVMW). »Eine weitere Erhöhung der Krankenkassenbeiträge kann sich Deutschland nicht mehr leisten.« Schon jetzt habe man die größte Abgaben- und Steuerlast in Europa.
Der Vorstandschef der Krankenkasse DAK-Gesundheit, Andreas Storm, sagte der »Bild«-Zeitung: »Der Minister hat eine strukturelle Unterfinanzierung der (gesetzlichen Krankenversicherung) GKV selbst angesprochen, will die Hälfte des Defizits aber mit Einmal-Maßnahmen lösen.« Dadurch drohe den Versicherten 2024 die nächste Erhöhung. In die gleiche Kerbe schlug der CSU-Gesundheitsexperte Stephan Pilsinger in der »Augsburger Allgemeinen«: »Die teils konfusen Einzelmaßnahmen werden nicht dazu führen, den absehbaren Beitrags-Tsunami aufzuhalten«, meinte er.
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen brachte eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze ins Spiel. »Wir müssen mehr Solidarität im System schaffen«, sagte Dahmen der Deutschen Presse-Agentur. In diesem Jahr liegt die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung bei einem Verdienst von 58 050 Euro (4837,50 Euro pro Monat). Bis zur Beitragsbemessungsgrenze ist das Einkommen eines Beschäftigten beitragspflichtig, alles darüber ist beitragsfrei. »Der Staat muss die Einnahmeseiten der gesetzlichen Krankenversicherung verbessern, damit am Ende nicht die Beitragszahlenden die Löcher stopfen.« Schon gestern hatte Maria Klein-Schmeink, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, gegen die Pläne protesiert.
Heftige Kritik an den Eckpunkten kam zudem von den Arbeitgebern. Anja Piel, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund, nannte den Vorschlag einer Beitragserhöhung durch höhere kassenindividuelle Zusatzbeiträge »brandgefährlich«. Das verschärfe den Preiswettbewerb zwischen den Kassen um gesunde Patientinnen und Patienten und gefährde so das solidarische GKV-System.