Ramadan als »pharmakokinetische Herausforderung« |
Carolin Lang |
08.05.2023 15:00 Uhr |
Da akut kranke Menschen meist nicht am Ramadan teilnehmen, spielt der Fastenmonat für die Arzneimitteltherapie im Krankenhaus keine große Rolle. Wohl aber bei der Entlassung und Einstellung auf eine neue Medikation. / Foto: Adobe Stock/Bangkok Click Studio and Space
Religiöse und diätetische Auswirkungen auf die Arzneimitteltherapie seien hierzulande ein relevantes Thema, machte Zieglmeier deutlich. So lebten in Deutschland etwa 5,6 Millionen Muslime, von denen der Großteil im Ramadan faste. »Wir sprechen hier von 6 Prozent unserer Bevölkerung«, hob er hervor.
Der Fastenmonat Ramadan – also der neunte Monat des islamischen Mondkalenders – sei eine »pharmakokinetische Herausforderung«, so Zieglmeier. Während des Ramadan verzichten Fastende zwischen Sonnenaufgang und -untergang in der Regel auf Essen und Trinken. »Hier wird nichts oral zugeführt – auch keine Arzneimittel«, stellte der Apotheker klar. Nach dem Sonnenuntergang beginnt das Fastenbrechen.
»Der Koran nimmt aus der Verpflichtung, am Ramadan teilzunehmen Kranke, Reisende und Schwangere aus – allerdings mit der Verpflichtung, das Fasten nachzuholen, sobald es möglich ist«, erklärte Zieglmeier. Chronisch kranke Menschen, die etwa an Diabetes oder Bluthochdruck leiden, betrachteten sich allerdings meist nicht als Ausnahme. »Weil sie der Zustand bis an ihr Lebensende begleitet, gibt es auch keine Möglichkeit, das Fasten nachzuholen«, erklärte er.
Problematiken mit der Arzneimitteltherapie ergäben sich also weniger beim stationären Patienten, sondern eher in der ambulanten Versorgung. Allerdings gelte es, den Fastenmonat bei der Einstellung von Patienten im Krankenhaus zu berücksichtigen. »Wenn wir einen Muslim, der am Ramadan teilnimmt, so einstellen, dass er zwei bis drei Mal täglich eine Tablette nehmen muss, wird das in diesen 29 bis 30 Tagen nicht gut funktionieren«, veranschaulichte er.
Grundsätzlich gelte: »Wir haben nicht zu urteilen! Unser Job ist es, unsere Patienten da abzuholen, wo sie stehen«, betonte der Apotheker.
Ein Lösungsansatz während des Ramadan seien »nicht fastenbrechende« Arzneiformen, erklärte Zieglmeier. Dazu gehörten transdermale therapeutische Systeme, Salben, Cremes, Augentropfen, Ohrentropfen, vaginale oder transmukosale Arzneiformen sowie Mundspülungen und Gurgellösungen, die nicht geschluckt werden.
Grundsätzliche seien zudem Arzneimittel mit einer einmal täglichen Einnahme zu bevorzugen. Doch auch dabei gebe es Fallstricke, wie das Beispiel Lercanidipin zeige: Der Calciumantagonist soll zur Blutdrucksenkung einmal täglich, vorzugsweise mindestens 15 Minuten vor dem Frühstück eingenommen werden. Wird Lercanidipin bis zu zwei Stunden nach einer fettreichen Mahlzeit eingenommen, erhöht sich die Bioverfügbarkeit gegenüber der Nüchterneinnahme erheblich.
Doch im Ramadan liege die meist üppige Mahlzeit vom späten Abend kurz vor Sonnenaufgang häufig noch schwer im Magen, erklärte Zieglmeier. Dadurch könne sich die Bioverfügbarkeit verdrei- bis vervierfachen. Hinzu komme, dass die Fastenden tagsüber nichts trinken, was die Gefahr für einen Kollaps zusätzlich steigere.
Auch die Behandlung von Menschen mit Diabetes bringt im Ramadan Herausforderungen mit sich. »In der Zeit des Ramadan haben wir eine Zunahme von Hypoglykämien um den Faktor 4,7 bei Typ-1-Diabetes und um den Faktor 7,5 bei Typ-2-Diabetes«, legte Zieglmeier dar. Gleichzeitig stiegen auch Klinikeinweisungen wegen hyperglykämischer Entgleisungen um den Faktor 5 – vor allem aufgrund des Absetzens von Antidiabetika.
Synkopen aufgrund von Exsikkosen träten ebenfalls vermehrt auf. Gefährdet seien vor allem Patienten, die zusätzlich Diuretika oder diuretisch wirksame Substanzen einnehmen. Komme noch ein Gliflozin hinzu, werde damit die Schwelle, ab der Glucose in den Urin ausgeschieden wird, zusätzlich gesenkt. »Und diese Glucose nimmt Wasser mit«, erklärte Zieglmeier. Der Ramadan sei daher der ungünstigste Zeitraum, um Gliflozine einzunehmen. »Man sollte wirklich Sorge tragen, dass das in dieser Zeit abgesetzt wird und dass eine andere Möglichkeit der Blutzuckerkontrolle gegeben ist«, riet der Apotheker abschließend.