Politiker diskutieren über Impfungen und Fachkräftemangel |
Cornelia Dölger |
19.02.2022 17:52 Uhr |
Die Beratung gehört längst zum Apothekenalltag. Beim Zukunftskongress Öffentliche Apotheke des AVNR ging es unter anderem um neue pharmazeutische Dienstleistungen, die sich auch um Beratung drehen. / Foto: Alois Mueller.info@amfotos.com
Stürmisch war es in diesen Tagen, vor allem im nördlicheren Teil Deutschlands, also auch im Gebiet des AVNR. Dass die Verbindung beim 14. AVNR-Zukunftskongress Öffentliche Apotheke, der coronabedingt erneut digital abgehalten wurde, ab und zu wackelte, lag allerdings wohl nicht am Orkantief »Zeynep«. Vielmehr sei dies internationalen technischen Problemen des Servers geschuldet, hieß es. Um Gegen- und Rückenwind ging es aber trotzdem, und zwar beim Thema Impfen in Apotheken.
Seit gut zwei Wochen sind Apotheken in Deutschland Teil der Impfkampagne, sie impfen gegen Covid-19 und dürfen Impfstoffe für den Eigenbedarf bestellen. Wie AVNR-Chef Thomas Preis bei der Eröffnung des Zukunftskongresses betonte, sei der Impfstart »vollkommen gut gelungen«. Die Apotheken impften »Seite an Seite mit den Impfzentren und den Ärzten«, inzwischen seien bundesweit 1000 Offizinen an den Covid-19-Schutzimpfungen beteiligt. Bis Ende dieser Woche seien 15.000 Impfungen in Apotheken verabreicht worden, viele davon Erstimpfungen.
Und dennoch, so warf Moderator Ralph Erdenberger ein, gebe es eben auch Gegenwind, nämlich von der Ärzteseite. Darauf reagiere man sachlich, entgegnete Preis. Schließlich sei es politischer Wille, dass die Apotheken sich an der Kampagne beteiligten. Im Übrigen schließe man in Deutschland damit zum Standard in Europa auf, wo Impfen in Apotheken längst etabliert sei.
Rückenwind in doppelter Hinsicht gab es daraufhin aus der Politik, und zwar von Sabine Dittmar (SPD), parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium und obendrein ausgebildete Ärztin. Dittmar hob in einer Videobotschaft die elementare Rolle der Apotheker bei der Arzneimittelversorgung und kompetenten Beratung der Menschen in Deutschland hervor. Insbesondere während er Pandemie habe sich diese gezeigt, als die Offizinen, mit zahlreichen Zusatzaufgaben betraut, »durchgängig dienstbereit« waren. Mit ihrem Einstieg in die Impfkampagne sei eine weitere niedrigschwellige Anlaufstelle für die Bürger geschaffen worden. Dittmar dankte den Apotheken für ihren Einsatz und ihre Bereitschaft, immer wieder schnell auf neue Aufgaben zu reagieren.
Die Politik setze sich dafür ein, die Apotheken als Gesundheitsdienstleister zu stärken, so Dittmar weiter. Etwa solle sich der Nacht- und Notdienstfonds zu einem Sicherstellungsfonds entwickeln, zudem sollten die pharmazeutischen Dienstleistungen ausgebaut werden. So hält es der Koalitionsvertrag der Ampel fest. »Ich bin gespannt, welche Dienstleistungen die Schiedsstelle definieren wird«, so Dittmar. Welche vergüteten pharmazeutischen Dienstleistungen die Apotheken künftig anbieten dürfen, ist nach wie vor Streitpunkt zwischen Apotheken und Kassen.
Dass hier noch keine Einigung absehbar ist, bedauerte AVNR-Chef Preis bei der anschließenden gesundheitspolitischen Diskussion. Neben Preis waren die Bundestagsabgeordneten Dirk Heidenblut (SPD), Georg Kippels (CDU) sowie die Grüne Paula Piechotta Teil der Runde. »Mit jedem Tag ohne Einigung sind die 150 Millionen Euro, die für die pharmazeutischen Dienstleistungen abgestellt wurden, weniger wert«, so Preis. Wichtig sei, hier ein flächendeckendes Angebot zu schaffen, anstatt sich auf »Spezialdiensleistungen« zu beschränken. Von den Kassen gibt es bislang nur einen Vorschlag, nämlich die Nachversorgung von Organtransplantierten nach einem Krankenhausaufenthalt. »Wir brauchen da einen viel breiteren Aufschlag«, kritisierte Preis. Es gehe darum, dass möglichst jede Apotheke solche Leistungen anbieten könne und möglichst viele Patienten davon profitierten. »Wir wollen etwa Menschen mit Bluthochdruck, Asthma oder Diabetes besser beraten können«, so Preis. »Wir müssen hin zur sprechenden Pharmazie, über die bloße Arzneimittelabgabe hinaus.«
Dem pflichtete Heidenblut bei. Es müsse eine flächendeckende Lösung her und gegebenenfalls müsste noch einmal nachgesteuert werden »für den Fall, dass die Schiedsstelle zu sehr auf das Kleinklein setzt«, so der SPD-Politiker. Heidenblut war sich sicher, dass die vorgesehenen 150 Millionen Euro für das Vorhaben nicht ausreichen werden. Es müsse mehr Geld dafür in die Hand genommen werden. Seine Koalitionspartnerin Piechotta, Berichterstatterin für Apothekenthemen bei den Grünen und zudem Mitglied im Haushaltsausschuss, dämpfte hingegen die Erwartungen und betonte, es gehe erst einmal darum, das Versorgungssystem insgesamt zu erhalten und zu verhindern, dass Leistungen gekürzt werden müssten. Bei Fragen der Vergütung neuer Dienstleistungen müsse »eine spürbare Versorgungsverbesserung« als Ergebnis herauskommen. »Das wäre zum Beispiel bei der Polypharmazie der Fall.« Damit gingen vor allem bei älteren Menschen enorme Gesundheitsverbesserungen einher.
Einig waren sich alle in ihrer Sorge um den Fachkräftemangel in den Gesundheitsberufen. Auf diesen war zuvor auch Professor Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz, in seinem Gastvortrag »Corona und die Folgen für den Arbeitsmarkt im Gesundheitwesen« eingegangen. Eine Forderung des Arbeitsmarktexperten, nämlich insbesondere nicht-akademische Berufe im Gesundheitswesen aufzuwerten, stieß in der politischen Runde auf viel Zustimmung. »Wir müssen sowohl das Studium als auch die Ausbildung attraktiver machen«, so Heidenblut.
Piechotta ergänzte, es sei zwar sinnvoll, Studienkapazitäten auszuweiten und Lehrgelder zu erhöhen, allerdings spielten die Rahmenbedingungen in den Berufen selbst auch eine wichtige Rolle. Gerade bei den Lehrberufen seien stetige Weiterbildungsmöglichkeiten wichtig. Und: Der Nachwuchs im pharmazeutischen, medizinischen wie pflegerischen Bereich befinde sich mitten in einem Wertewandel. »Unsere Generation tickt anders«, so die 35-jährige Piechotta, die vor ihrem Bundestagsmandat als Radiologin am Uniklinikum in Leipzig arbeitete. Etwa wollten viele in Teilzeit arbeiten.
Auf die unternehmerische Komponente in Heilberufen zielte CDU-Mann Kippels ab. Anders als früher seien heute weniger Beschäftigte im Gesundheitsbereich dazu bereit, als Freiberufler auch wirtschaftliche und personelle Verantwortung etwa für die eigene Apotheke oder Praxis zu übernehmen. »Sie wollen grundsätzlich eher im Team arbeiten.« Das wiederum wirke sich auf die traditionellen Organisationsformen aus. Ebenso bei den Ausbildungsberufen. Mitarbeitende wünschten sich hier mit Eigenverantwortlichkeit. »Der Beruf wird attraktiver, wenn das Erlernte eigenverantwortlich, kreativ und empathisch umgesetzt werden kann«, so Kippels. Da gebe es allerdings »ein paar alte Hürden, die immer wieder auftauchen«. Solche Schranken gelte es abzubauen.
Thomas Preis betrachtete das Thema auch von Arbeitgeberseite. Wenn die Heilberufler als Arbeitgeber mit der Industrie mithalten wollten, müssten für Apotheken höhere Honorare gezahlt werden. »Wir stehen ja im Wettbewerb mit anderen Arbeitgebern.« Dass etwa der Festbetragszuschlag seit 2004 nur minimal erhöht worden sei, sei »einfach zu wenig«.
Der AVNR-Vorsitzende plädierte zudem für weniger Bürokratie im Gesundheitswesen. Speziell für die Apotheker sei zum Beispiel die Präqualifizierung »ein bürokratischer Treppenwitz«, gegen den sich die Apothekerschaft schon seit Jahren wehre. Dass eine andere Regelung im Zuge der Coronavirus-Pandemie ausgesetzt worden sei, begrüßte er. So können Apotheken derzeit etwa einfacher von den Rabattverträgen abweichen, wenn ein Arzneimittel nicht lieferbar ist. Preis forderte, solche Regelungen auch für die Zeit nach der Pandemie zu entfristen. Dass beide Seiten, Regierung wie Opposition, »die große Bedeutung der Apotheken anerkennen«, hob Preis zum Schluss lobend hervor. »Ohne Apotheken geht es nicht, jetzt nicht und in der Zukunft auch nicht.«