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Wechselwirkungen

Pharmakovigilanz oder Überreaktion?

Das Serotonin-Syndrom und die QT-Zeit-Verlängerung sind Arzneimittelinteraktionen (AMI), die Apothekern in der Offizin häufiger begegnen. Wie lässt sich das Risiko von Fall zu Fall evaluieren? Dieser Frage widmete sich ein Vortrag beim 45. Heidelberger Web-Kongress am vergangenen Sonntag. 
Carolin Lang
22.11.2022  15:30 Uhr

»Um eine AMI zu bewerten, ist es generell sinnvoll, zunächst die Kontraindikationen zu überprüfen«, sagte Professor Dr. Thomas Herdegen, stellvertretender Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Grundsätzlich sei bei absoluten Kontraindikationen die Abgabe zu verweigern. Bei relativen Kontraindikationen ohne zusätzliche Risikofaktoren sei dies nicht unbedingt notwendig. Außerdem solle ein Verständnis für die Interaktion sowie zusätzliche Risikofaktoren entwickelt werden. Gegebenenfalls solle abschließend Kontakt zum verschreibenden Arzt aufgenommen werden.

Dieses Schema veranschaulichte Herdegen anhand von Beispielen wie der Kombination von Amitriptylin (1 x 150 mg) und Tramadol (2 x 100 mg retardiert). Um das Risiko für ein Serotonin-Syndrom zu evaluieren, heißt es zunächst: Kontraindikationen überprüfen. Gemäß den jeweiligen Fachinformationen liegt hier keine absolute Kontraindikation vor, die Kombination gilt aber als »nicht empfohlen«. Zum Verständnis der AMI erklärte Herdegen: »Serotonin-Syndrom heißt nichts anderes, als dass wir vermehrt Serotonin in der Synapse haben.« Als praktische Grundlage für die Offizin legte er dar: »Alle Substanzen, die an einen Serotonin-Rezeptor gehen, haben ein sehr niedriges Risiko.« Relevant hinsichtlich des Risikos für ein Serotonin-Syndrom seien hingegen Substanzen, die den Serotonin-Reuptake-Transporter oder die Monoaminoxidase A hemmen. Spezielle Risikofaktoren gebe es hier keine, so Herdegen. »Ich würde es abgeben«, schlussfolgerte er. Bei Unsicherheiten könne der Arzt schriftlich mit dem Hinweis »abgegeben unter der Annahme, dass die Interaktion überprüft ist« benachrichtigt werden.

Ein weiteres Beispiel, das Herdegen anführte, betraf die Kombination von Levodopa, Quetiapin (2 x 100mg) und Domperidon (1 x 10mg bei Bedarf). Domperidon ist bei gemeinsamer Verabreichung mit QT-Zeit-verlängernden Arzneimitteln – in diesem Fall Quetiapin – kontraindiziert. »Keine Abgabe von Domperidon«, schlussfolgerte Herdegen. Als Alternative könne hier ein Setron vorgeschlagen werden. Generell seien bei der QT-Zeit-Verlängerung hohe Dosen, Bradykardie, Hypokaliämie und Hypomagnesiämie als Risikofaktoren zu beachten.

Abschließend betonte Herdegen, er fände es wünschenswert, wenn Teamschulungen zu Interkationen und Risikofaktoren stattfänden, denen auch Ärzte beisäßen. Die praktische Medizin habe häufig nochmal eine andere Sichtweise als das, was in den Fachinformationen stehe. 

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