Topiramat toppte 1999 die Konkurrenz |
08.08.2005 00:00 Uhr |
Innovative chemische Struktur und echter Therapiefortschritt: Diese beiden Eigenschaften waren es, die Topiramat (Topamax®) 1999 den fünften PZ-Innovationspreis einbrachten. "Das Antiepileptikum biete eine echte Chance auf Anfallsfreiheit", hieß es in der Begründung der Jury.
Seine chemische Struktur lässt nicht erahnen, für welche Indikation das Fructose-Derivat zugelassen ist: Zurzeit der Preisverleihung war Topiramat ein Zusatzmedikament bei Patienten mit partiellen epileptischen Anfällen mit oder ohne Generalisierung. Mittlerweile hat es Topiramat auch zum Monotherapeutikum von Patienten mit partieller Epilepsie gebracht. Doch der Preisträger unterscheidet sich nicht nur wegen seiner chemischen Struktur von allen anderen Antiepileptika, sondern auch durch einen neuartigen multiplen Wirkmechanismus. Während andere Antiepileptika die Krampfschwelle herabsetzen, verhindert Topiramat die Ausbreitung der Krampfaktivität.
Die gekürte Substanz verstärkt die inhibitorische Wirkung von GABA durch einen erhöhten Einstrom von Chloridionen in die Neuronen und stabilisiert durch die Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle das Membranpotenzial. Damit wird sowohl die Zahl der pro Anfall ausgelösten Aktionspotenziale als auch die Dauer der neuronalen Entladung reduziert. Zusätzlich verringert Topiramat als Antagonist an Glutamatrezeptoren vom Kainat/AMPA-Typ die neuronale Exzitation.
Epileptiker, die Topiramat einnehmen, klagen vor allem über zentralnervöse Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Benommenheit, Ataxie und Nervosität. Tipp: »Start low, go slow« ist das Prinzip, damit Patienten den Arzneistoff besser vertragen; eine einschleichende Dosierung schafft Abhilfe. Auch wichtig für das Beratungsgespräch: Oft können bis zum Wirkeintritt mehrere Wochen vergehen. Bei circa 1,5 Prozent der Patienten treten Nierensteine auf, weil Topiramat die Carboanhydrase hemmt. Verhindern können die Patienten das durch ausreichende Flüssigkeitszufuhr.
In seinem antiepileptischen Profil ähnelt Topiramat dem Carbamazepin und teilweise Phenytoin. Die neue Substanz reduziert bei der Hälfte therapierefraktärer Patienten die Anfallsfrequenz um mindestens 50 Prozent. Was die therapeutische Breite betrifft, ist Topiramat allen anderen Antiepileptika im Sinne der Nutzen-Risiko-Abwägung überlegen.
Die Forschung des Herstellers Janssen-Cilag ist seitdem nicht stehen geblieben. Untersuchungen haben ergeben, dass Topiramat auch als Migräne-Medikament taugt. Ganz neu: In den letzten Tagen ist die Zulassung zur Prophylaxe von Migräne-Kopfschmerzen bei Erwachsenen erfolgt, wenn eine Therapie mit Betablockern nicht indiziert ist, nicht erfolgreich war oder nicht vertragen wurde (lesen Sie hierzu den Artikel "Häufigen Migräneattacken vorbeugen").
Topiramat hat eventuell noch mehr zu bieten: So verringert es zum einen die Lust auf Alkohol und könnte somit beim Entzug helfen, und zum anderen verfügt es über neuroprotektives Potenzial. Bei chronischem Alkoholkonsum ist die Konzentration an Glutamatrezeptoren im Mittelhirn gegenüber Abstinenten erhöht. Außerdem reduziert die Aufnahme von Alkohol die GABA-Rezeptoraktivität. Topiramat aktiviert die GABA-Rezeptoren und verstärkt damit die GABA-vermittelte Inhibition und hemmt die AMPA-Rezeptoren. Die Hypothese, dass Topiramat bei der Behandlung der Alkoholabhängigkeit gute Dienste leisten kann, hat eine randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudie bewiesen. Verum schnitt signifikant besser ab als Placebo.
Was die Neuroprotektion betrifft: Überraschend ist dieser Effekt nicht. Werden Neuronen geschädigt, steigt die Signalübertragung durch Glutamat. Außerdem kommt es zu einer unkontrollierten Erregungsübertragung durch GABA. Topiramat wirkt beiden Mechanismen entgegen.
Wissen Sie's noch? Zehnmal hat die Pharmazeutische Zeitung bereits den PZ-Innovationspreis vergeben und damit seit 1995 das jeweils innovativste Arzneimittel eines Jahres gewürdigt. Können Sie sich noch an die ehemaligen Preisträger erinnern? Die PZ stellt in einer Serie die zehn Kandidaten der letzten Jahre vor, bevor dann auf dem Deutschen Apothekertag in Köln die Innovation 2005 gekürt wird. Worauf beruht das neue Wirkprinzip? Waren die Arzneistoffe im Nachhinein wirklich wegweisend? Und haben sie gehalten, was man sich zu ihrer Markteinführung versprochen hat? Das sind die Fragen, die die PZ in dieser Serie beantwortet.
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