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Häufigen Migräneattacken vorbeugen

08.08.2005  00:00 Uhr
Topiramat

Häufigen Migräneattacken vorbeugen

von Brigitte M. Gensthaler, München

Topiramat ist seit 1998 als Antiepileptikum auf dem deutschen Markt. Kleine Pilotstudien wiesen bald auf einen günstigen Effekt des Neuromodulators bei Migräne hin. Seit Anfang August ist Topiramat in Deutschland zur Migräneprophylaxe zugelassen.

Migräne ist eine der häufigsten Kopfschmerzformen. Etwa 6 bis 8 Prozent aller Männer und 12 bis 14 Prozent aller Frauen leiden darunter. Die Attacken treten vor allem zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr auf. In dieser Phase sind Frauen dreimal häufiger betroffen als Männer und leiden meist auch an längeren und schwereren Episoden.

Wenn die Attacken öfter als dreimal pro Monat auftreten, schwer und mit lang anhaltender Aura verlaufen oder regelmäßig länger als drei Tage anhalten, können Arzt und Patient eine Prophylaxe erwägen. Gleiches gilt, wenn die Beschwerden nicht auf Akutmedikamente inklusive Triptane ansprechen oder der Patient diese nicht verträgt. Wer Schmerz- oder Migränemittel an mehr als zehn Tagen pro Monat einnimmt, riskiert einen medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz. Auch dann kann eine vorbeugende Therapie sinnvoll sein.

Topiramat zur Prophylaxe

Eine Migräne spricht oft gut auf Placebo an. Daher gilt ein Prophylaktikum erst dann als wirksam, wenn es die Anfallshäufigkeit mindestens halbiert. Mehr als jeder fünfte Migränepatient profitierte in klinischen Untersuchungen ­ auch in den Topiramat-Studien ­ in diesem Ausmaß von einem Scheinmedikament.

Das Antiepileptikum Topiramat, das als Mono- oder Zusatztherapie bei Patienten ab zwei Jahren zugelassen ist, darf jetzt auch zur Migräneprophylaxe bei Erwachsenen eingesetzt werden, wenn Betablocker kontraindiziert sind, nicht helfen oder nicht vertragen werden (Topamax® Migräne 25, 50 oder 100 mg Filmtabletten). Die Tagesdosis beträgt zu Beginn 25 mg abends und kann im wöchentlichen Abstand um weitere 25 mg gesteigert werden. Die übliche Erhaltungsdosis liegt zwischen 50 und 100 mg und damit deutlich niedriger als die maximale Tagesdosis von 500 mg bei Epilepsiepatienten. Dosislimitierend sind in der Regel zentralnervöse Nebenwirkungen.

Topiramat hat seine migräneprophylaktische Wirkung in drei großen placebokontrollierten Studien über jeweils ein halbes Jahr belegt. In zwei amerikanischen Studien mit 487 und 483 Patienten, die drei- bis zwölfmal pro Monat eine Attacke erlitten, reduzierten 100 und 200 mg Wirkstoff die Frequenz signifikant besser als Placebo (1, 2). Bei 36 und 39 Prozent der Patienten, die 50 mg einnahmen, und 49 bis 54 Prozent aus der 100-mg-Gruppe halbierte sich die Anfallszahl. Gut für die Patienten: Die Wirkung trat bereits im ersten Behandlungsmonat ein.

Viele Nebenwirkungen

Auffällig ist jedoch die sehr hohe Zahl der Studienabbrecher: Mehr als 40 Prozent der randomisierten Patienten schieden vorzeitig aus, vor allem wegen Nebenwirkungen oder mangelnder Wirksamkeit. Die häufigsten unerwünschten Effekte waren Parästhesien, Müdigkeit, Übelkeit, Durchfall, Geschmacksveränderungen, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust.

Unter Leitung des deutschen Neurologen Professor Dr. Hans-Christoph Diener von der Universität Essen lief eine weitere Studie mit 575 Patienten, bei der das neue Prophylaktikum (100 und 200 mg) mit Propranolol (160 mg) oder Placebo verglichen wurde (3). 100 mg Topiramat und der Betablocker reduzierten die Migräneattacken signifikant, während die Gruppe mit 200 mg Topiramat keinen signifikanten Nutzen erzielte. Die Autoren vermuten, dass dies an der hohen Zahl der Studienabbrecher in dieser Gruppe ­ meist wegen Nebenwirkungen ­ lag. Als Responderrate wurden 37 und 35 Prozent für die Topiramat-Gruppen und 43 Prozent unter Propranolol ermittelt.

Nach diesen Daten liegt das beste Nutzen-Risiko-Verhältnis für Topiramat zur Migräneprophylaxe bei 50 bis 100 mg. Relativ hoch dosiertes Propranolol war gleich oder tendenziell besser wirksam und ist sicher preisgünstiger. Auch angesichts des breiten Nebenwirkungsspektrums ist es sinnvoll, Topiramat nur einzusetzen, wenn Betablocker nicht infrage kommen. Die beobachtete Gewichtsreduktion kann in Einzelfällen erwünscht sein.

 

Therapieleitlinie in Arbeit Topiramat ist bereits im neuen Leitlinienentwurf Migräne gelistet, den die Deutsche Gesellschaft für Neurologie und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft derzeit im Internet zur Diskussion stellen (4). Als Prophylaktika der ersten Wahl sind dort genannt:
  • die Betablocker Metoprolol (50 bis 200 mg) und Propranolol (40 bis 240 mg; Kinder: 10 mg/kg Körpergewicht),
  • der Calciumantagonist Flunarizin (5 bis 10 mg; Kinder: 5 mg) sowie
  • die Antikonvulsiva Valproinsäure (500 bis 600 mg im Off-label-Use) und Topiramat (25 bis 100 mg).

In zweiter Linie kommen Bisoprolol, Naproxen, Acetylsalicylsäure, Magnesium, Pestwurzextrakt, Mutterkraut und Amitriptylin infrage. Gabapentin wird zur Migräneprophylaxe ebenfalls im Off-label-Use eingesetzt. Pizotifen, Methysergid und Lisurid stehen nicht mehr zur Verfügung. Die Experten empfehlen ausdrücklich Sport und Verhaltenstherapien als ergänzende Maßnahmen. Bei erheblicher Einschränkung der Lebensqualität durch häufige Attacken sei eine psychologische Therapie ratsam.

 

Literatur

  1. Silberstein, S. D., et al., Arch. Neurol. 61 (2004) 490-495.
  2. Brandes, J. L., et al., JAMA 291 (2004) 965-973.
  3. Diener, H.-C., J. Neurol. 251 (2004) 943-950.
  4. Migräne-Akademie online, www.migraene-akademie.de/migraene

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