Pharmazie

Acetylsalicylsäure (ASS), Paracetamol oder Ibuprofen, welches
Analgetikum empfiehlt man einem Menschen, der Kopfschmerzen hat? Die
Antwort ist nicht einfach und in Fach-, Laien- und erst Recht in
Herstellerkreisen heftig umstritten. Der eine Kunde schwört auf "seine
Aspirin", die er "schon immer nimmt, wenn er Kopfweh hat". Der andere
schwört aus ähnlich subjektiven Gründen auf Ibuprofen, Paracetamol oder
ein Coffein-haltiges Kombi-Analgetikum. Die Pharma-Industrie schwört
natürlich auf jeweils das Präparat, das sie selbst herstellt. - Und der
Apotheker?
ASS, Paracetamol und Ibuprofen gehören zur Gruppe der schwach bis mittelstark
wirkenden Analgetika. Bei vergleichbarem Wirkmechanismus - Hemmung der
Prostaglandinsynthese durch Cyclooxygenase-Inhibition - ist auch das
Nebenwirkungsprofil weitgehend identisch: Im Vordergrund steht dabei unter
anderem die Magen-Darmverträglichkeit der Wirkstoffe.
"Über kurze Zeit in der empfohlenen Dosierung angewandt, sind alle drei
Monosubstanzen relativ gut verträglich", betonte Dr. Hugo Baar, niedergelassener
Schmerztherapeut aus Hamburg und Ehrenvorsitzender der Deutschen Schmerzhilfe,
bei einem von Woelm Pharma unterstützten Symposium in Düsseldorf. Baar verwies
jedoch auf die marginalen Unterschiede, die sich sowohl im Wirk- als auch im
Nebenwirkungsprofil der drei Substanzen feststellen lassen.
"Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft empfiehlt schon seit Jahren
schnellösliche Formen", sagte er. Ziel sei es, möglichst rasch einen Wirkungseintritt
zu erreichen. Unter diesem Gesichtspunkt seien Brausetabletten die geeignetste
Darreichungsform, als Wirkstoff scheine hier Ibuprofen-Lysinat gut abzuschneiden.
Im Vergleich zur Ibuprofensäure flute der Wirkstoff aus dem Salz deutlich schneller
an.
Die Zeit bis zum Erreichen der maximalen Plasmakonzentration (cmax) ist nach
Gabe des Lysinats signifikant kürzer und cmax höher als nach
Ibuprofensäure-Einnahme, bestätigte Professor Dr. Hermann J. Roth aus Tübingen.
Auch im Vergleich zu ASS werde mit Ibuprofen-Lysinat der maximale
Plasmaspiegel signifikant schneller erreicht. Die relative Wirkstärke des
Ibuprofen-Salzes erwies sich dabei laut Baar im klinischen Versuch als stärker
gegenüber ASS.
Preiswerte Variante reicht aus
Ibuprofen hemmt beide Cyclooxygenasen (I und II) der Arachidonsäurekaskade
etwa gleich stark. Während in vitro das R-Enantiomer keine, das S-Enantiomer eine
starke Enzymhemmung zeigt, lassen sich in vivo keine Wirkunterschiede zwischen
reinem S-Ibuprofen und dem Racemat feststellen, erklärte Roth. Warum? Die
wirksame S-Form wird nach Applikation im menschlichen Körper nicht racemisiert,
die zunächst unwirksame R-Form wird jedoch in die wirksame S-Form invertiert.
Für die Selbstmedikation sei es daher unerheblich, ob das reine (und teurere)
S-Enantiomer oder das Ibuprofen-Racemat eingenommen werden, faßte Roth
zusammen.
Baar zitierte im Hinblick auf die Magen-Darm-Verträglichkeit eine Vergleichsstudie
zwischen ASS und Ibuprofen-Lysinat. Bei gesunden Probanden hatte man nach
dreitägiger Anwendung von ASS beziehungsweise Ibuprofen-Lysinat eine
Magenspiegelung durchgeführt. Nur bei den ASS-Patienten hätten sich Läsionen in
der Magenschleimhaut feststellen lassen, berichtete er; Hämorrhagien seien dagegen
sowohl unter Placebo als auch unter beiden Verummedikationen aufgetreten -
allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. So waren unter ASS bei 86 Prozent der
Patienten Hämorrhagien in der Magenschleimhaut zu beobachten, in der
Duodenalschleimhaut bei 64 Prozent. Die Ibuprofen-Gruppe schnitt etwas günstiger
ab: Hier zeigten sich Hämorrhagien in der Magenschleimhaut bei 63 Prozent der
Patienten und Hämorrhagien in der Duodenalschleimhaut bei 6 Prozent der
Patienten. Unter Placebo lagen die entsprechenden Zahlen bei 7 beziehungsweise 0
Prozent.
Darreichungsform bei ASS unerheblich?
Dr. Judith P. Kelly von der Boston Medical School, Massachusetts, USA,
berichtete in Düsseldorf von einer im Lancet (Vol. 348 (1996) 1413-1416)
veröffentlichten klinischen Studie an 550 Patienten mit Blutungen im oberen
Gastrointestinaltrakt (GI) und 1202 Kontrollpersonen. Kelly und ihre Mitarbeiter
hatten darin das relative Risiko für Blutungen im oberen GI nach Gabe von
normalen, nicht-modifizierten ASS-Tabletten, von magensaftresistent überzogenen
und von gepufferten ASS-Tabletten verglichen. Dabei hatte sich gezeigt, daß bis zu
einer maximalen Tagesdosis von 325 mg ASS das relative Risiko für GI-Blutungen
bei allen drei Darreichungsformen um rund das Dreifache erhöht war. Kelly: "Die
lange gehegte Vermutung, daß die beiden modifizierten Formen besser
magenverträglich sind, muß wahrscheinlich revidiert werden."
Ein etwas anderes Bild ergab sich bei Dosen über 325 mg ASS täglich: Das
Blutungsrisiko im oberen GI-Trakt stieg hier sowohl bei der nicht-modifizierten ASS
als auch bei der gepufferten Form auf rund das Sechs- bis Siebenfache. Diese
Risikozunahme konnte laut Kelly bei der magensaftresistenten Form nicht
beobachtet werden. Allerdings müsse dies durch weitere Studien bestätigt werden.
Zum Vergleich mit anderen OTC-Analgetika führte Kelly folgendes Beispiel an: Bei
Ibuprofen-Lysinat sei bei Tagesdosen unter 1200 mg mit keiner oder einer nur
geringfügigen Risikoerhöhung (1 bis 1,8) für GI-Blutungen auszugehen; bei höheren
Dosen rechne man mit einem Risikoanstieg um rund das Dreifache.
PZ-Artikel von Bettina Neuse-Schwarz, Düsseldorf


© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de