Pharmazie

Kommt ein Patient in die Apotheke und sagt, er könne nicht stillsitzen,
liegt der Gedanke an das Restless-Legs-Syndrom (RLS) nahe. Kommt er
aber und sagt, er könne nicht schlafen oder er fühle sich tagsüber immer so
müde, dann ist der Gedanke an RLS eher ungewöhnlich. Da sich die
Therapie des RLS von der Therapie der primären Schlaflosigkeit
unterscheidet, lohnt es sich, hier nachzuhaken.
Klassische Symptome eines Restless-Legs-Syndroms sind Mißempfindungen in den
Extremitäten (Kribbeln, Reißen oder Zucken) und der charakteristische
Bewegungsdrang. Aber auch unwillkürliche Bewegungen gehören in achtzig Prozent
aller Fälle zum Krankheitsbild, erklärte Professor Dr. Peter Clarenbach, Neurologe
aus Bielefeld, auf einer von Lilly unterstützten Pressekonferenz in Potsdam.
Werden schlafende Patienten per Videokamera überwacht, lassen sich teils
unregelmäßige, teils periodisch auftretende Bewegungen feststellen: Auf- und
Abwippen der Füße, Zuckungen der Beine oder manchmal auch der Arme,
Abwinkeln des Kniegelenkes. Diese Bewegungen können sich bis zu achtzig mal pro
Minute wiederholen. Der Patient wacht dadurch entweder bewußt oder unbewußt
auf. In Schlaflabors wurden teilweise sehr kurze Wachzeiten registriert, die der
Betroffene zwar nicht wahrnimmt, die aber die Oualität des Schlafes erheblich
beeinträchtigen. Clarenbach: "Die Patienten registrieren nicht die fragmentierte
Nacht, sondern nur den schläfrigen Tag."
Es lohnt sich also nachzufragen, ob vielleicht dem Ehepartner die nächtliche Unruhe
aufgefallen ist oder ob der Kunde schon einmal bewußt wahrgenommen hat, daß er
nur schwer für längere Zeit die Beine ruhig halten kann.
Nicht jede Mißempfindung in den Extremitäten ist allerdings ein RLS.
Charakteristisch ist vor allem, daß sich die Beschwerden durch Bewegung bessern
und in Ruhe und bei Nacht zunehmen. Maximale Bewegungsstörungen wurden
zwischen Mitternacht und zwei Uhr beobachtet. Der Ruheschmerz wird also durch
den circadianen Rhythmus noch verstärkt.
Dr. Claudia Trenkwalder vom Max-Planck-Institut in München empfiehlt daher den
Betroffenen, möglichst spät ins Bett zu gehen und bis in den Vormittag hinein zu
schlafen. Sie erwähnte auch, daß betonte körperliche Anstrengung, wie eine große
Bergtour, die Beschwerden nicht lindere. Die Erschöpfung führe im Gegenteil eher
zu einer Verstärkung der Symptome.
Therapie mit Dopa-Agonisten
Ist der Patient aufgrund der nächtlichen Beschwerden tagsüber zu müde, um seiner
Arbeit zufriedenstellend nachzugehen, ist eine medikamentöse Therapie indiziert.
Clarenbach betonte, daß diese Patienten in jedem Fall zum Neurologen geschickt
werden sollen. Werden keine Ursachen wie Eisenmangelanämien, Polyneuropathien
oder Intoxikationen diagnostiziert, spricht man von idiopathischem RLS.
Möglicherweise wird die Krankheit durch ein Ungleichgewicht verschiedener
Neurotransmitter hervorgerufen. Studien zeigten Veränderungen am
Dopaminrezeptor.
Mittel der Wahl beim idiopathischen RLS ist daher L-Dopa: Es wirkt noch in
derselben Nacht und zeigt dem Arzt bei Ansprechen, daß seine Diagnose mit großer
Wahrscheinlichkeit richtig ist. Bei sporadischen oder leichten Beschwerden mit
Einschlafstörungen können nach Bedarf 100 bis 200 mg eines kurzwirksamen
L-Dopa-Präparates vor dem Schlafengehen eingenommen werden. In schwereren
Fällen und bei Durchschlafstörungen ist ein Depotpräparat indiziert. Mittel zweiter
Wahl bei RLS-bedingten Schlafstörungen seien Pergolid oder Opiate
(beispielsweise Tilidin 50 mg vor dem Einschlafen).
Können die Patienten keine Sitzung oder keinen Theaterbesuch durchhalten, stehen
also Symptome tagsüber im Vordergrund, seien Dopamin-Agonisten wie Pergolid
(einschleichend bis 0,5 mg täglich) zu empfehlen. Gleichzeitig sollte der Arzt ein
Antiemetikum verschreiben.
Nachteil der L-Dopa-Therapie ist, daß die Beschwerden bei einer Langzeittherapie
immer weiteren den Nachmittag hineinreichen. Bei Pergolid trat dieses Phänomen
bisher nicht auf. Clarenbach bemerkte jedoch am Rande der Pressekonferenz, daß
Langzeitbeobachtungen über mehrere Jahre mit Pergolid gerade erst beginnen. Er
empfahl auch die Kombination von Opiaten mit L-Dopa, da so die L-Dopa-Dosis
gesenkt werden könne. Die genannten Medikamente wirken alle rein
symptomatisch. Sobald sie abgesetzt werden, treten auch die Beschwerden wieder
auf. Offiziell zugelassen für die Therapie des RLS ist noch keine der Substanzen.
PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Berlin



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