| Kerstin A. Gräfe |
| 11.04.2023 07:00 Uhr |
Herstellung von Impfstoffen in Pflanzen der Art Nicotiana benthamiana in einer Produktionsstätte des kanadischen Biotechnologie-Unternehmens Medicago unter GMP-Bedingungen. / Foto: Picture Alliance / ASSOCIATED PRESS
Wie essenziell Impfstoffe in der Bekämpfung von Infektionskrankheiten sind, hat die Coronapandemie einmal mehr verdeutlicht. Und auch, wie wichtig es ist — nachdem ein Target detektiert wurde — einen geeigneten Impfstoff möglichst schnell entwickeln und diesen zudem in größeren Mengen produzieren zu können.
Vor allem beim Faktor Zeit ist die klassische Impfstoffherstellung im Hintertreffen. Sie findet in der Regel in Hühnereiern oder lebenden Tieren, aber auch in Bakterien, Hefen oder Kulturen von tierischen Zellen statt. Die Produktion in Zellkultur benötigt dabei durchweg sterile Prozesse und teils aufwendige Nährmedien. Nach der Produktion schließen sich weitere Schritte wie Isolierung und Aufreinigung der Impfstoffe an. Des Weiteren müssen die Isolate, Zwischen- und Endprodukte üblicherweise gekühlt aufbewahrt und transportiert werden, um ihre Wirksamkeit zu gewährleisten. Das stellt vor allem eine große Herausforderung für Länder mit unzureichender Infrastruktur und tropischem Klima dar. Zudem haben die klassischen Produktionsverfahren den Nachteil, dass die benötigten Kulturen erst stufenweise vermehrt werden müssen, bevor ausreichend große Mengen hergestellt werden können, was einen signifikanten Zeitfaktor darstellt.
Neben den klassischen Zellkultursystemen sind auch Pflanzen in der Lage, Antigene und Antikörper zu produzieren. Die als »Molecular Farming« bezeichnete Technik ist seit etwa 30 Jahren bekannt. Inzwischen sei sie so weit entwickelt, dass sie durchaus Vorteile und einzigartige Möglichkeiten bietet – je nachdem, welcher Impfstoff unter welchen Bedingungen produziert werden müsse, schreiben Professorin Dr. Inge Broer und Dr. Jana Huckauf, beide von der Universität Rostock, sowie Professor Dr. Heribert Warzecha, TU Darmstadt, in ihrem Beitrag in der aktuellen Ausgabe der DPhG-Mitgliederzeitschrift »Pharmakon«.
»Pharmakon« erscheint sechsmal jährlich. Jede Ausgabe hat einen inhaltlichen Schwerpunkt, der aus unterschiedlichen Perspektiven aufbereitet wird. / Foto: Avoxa
Um Pflanzen zu Impfstoffproduzenten umzufunktionieren, müssen sie gentechnisch so verändert werden, dass sie neben den normalen eigenen Eiweißen zusätzlich den Impfstoff produzieren. Dies kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Bei der stabilen Transformation werden mithilfe des Bodenbakteriums Agrobacterium tumefaciens Gene in eine Zelle einer beliebigen Pflanzenart wie Mais, Kartoffel oder Erbse übertragen. Aus dieser einen Zelle entsteht in einem Zellkulturprozess eine vollständige neue Pflanze, die in jeder Zelle, also auch in den Keimzellen, die neue Erbinformation trägt. Dies hat den Vorteil, dass sich die Pflanzen beliebig vermehren lassen und sie in Gewächshäusern kultiviert werden können. Zugleich ist es möglich, aus ihnen Zellkulturen herzustellen, die dann wieder im Fermenter vermehrt werden. Zudem hat die Produktion der Impfstoffe in den Samen den Vorteil des ungekühlten und damit kostengünstigeren Transports der Produkte. Insgesamt ist dieser Prozess jedoch in der Regel zeitaufwendig.
Eine deutlich schnellere und skalierbare Produktion von Impfstoffen ist mit der transienten Expression möglich. Transient (vorübergehend) bedeutet, dass die eingebrachte DNA nur temporär in den Zellen vorliegt und nicht stabil in das Genom der Pflanze integriert wird. Bei dieser Methode werden komplette Pflanzen, typischerweise der Art Nicotiana benthamiana, kopfüber in eine Suspension mit den Agrobakterien getaucht, die das zu exprimierende Transgen enthalten und übertragen können. Anschließend wird in dem Container ein Unterdruck erzeugt, damit die Pflanzenblätter wie ein zusammengedrückter Schwamm »kollabieren«. Sobald der Druck wieder aufgebaut wird, saugen sich die Blätter durch die Spaltöffnungen mit der Bakterienlösung voll. So können die Gene in fast alle Zellen der Blätter übertragen werden.
Der Expressionsprozess dauert lediglich zwischen sieben und 15 Tagen und die Pflanzen können auf diese Weise innerhalb von wenigen Tagen große Mengen des Antigens produzieren. Nach der Expression werden die Proteine extrahiert, wodurch auch unerwünschte Begleitstoffe der Pflanze sowie der Bakterien entfernt werden. Damit gleichen die so gewonnenen Impfstoffe denen aus anderen zellkulturbasierten Verfahren und unterliegen denselben Qualitätskriterien und Lagerungsbedingungen. Von Nachteil ist allerdings, dass dieses Verfahren immer wieder neu durchgeführt werden muss, da keine gentechnisch veränderten Nachkommen entstehen.
Heutzutage gilt das Potenzial von Pflanzen als Produktionsplattform als bewiesen und sie erweitern das Spektrum an Herstellungsverfahren und Produktionskapazitäten für unterschiedlichste Humanimpfstoffe. Jüngstes Beispiel ist die Zulassung eines pflanzenbasierten Impfstoffs gegen Covid-19: Covifenz® der kanadischen Firma Medicago hat im vergangenen Jahr eine Zulassung der kanadischen Zulassungsbehörde Health Canada erhalten und kann zur Prophylaxe gegen SARS-CoV-2-Infektionen in der Altersgruppe 18 bis 64 Jahre eingesetzt werden. Bei Covifenz handelt sich um einen proteinbasierten Impfstoff, der aus virusähnlichen Partikeln (VLP) des Spike-Glykoproteins besteht, die zusammen mit dem Adjuvans AS03 verabreicht werden.
Zudem konnte bereits für zahlreiche monoklonale Antikörper eine GMP-konforme Produktion erreicht werden, so zum Beispiel gegen verschiedene Influenzavirus-Subtypen, HI-Viren oder gegen das Ebola-Virus. Vor diesem Hintergrund könnten Pflanzen zukünftig auch eine Rolle als Produktionsplattform von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 spielen, die ein hohes Potenzial als passive Immunisierung haben und gegen verschiedene Subtypen neutralisierend wirken.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.