Noch schlechter als sein Ruf |
Laura Rudolph |
13.08.2024 18:00 Uhr |
Auch das Herz leidet unter Alkohol, wobei die Auswirkungen von der Menge und der Dauer des Konsums abhängen. Ethanol und Acetaldehyd verursachen auf zellulärer Ebene mehrere schädliche Prozesse (»Nutrients« 2020, DOI: 10.3390/nu12020572). Sie können beispielsweise zum Zerfall der Muskelzellen (Myocytolyse), zu Apoptose (kontrollierter Zelltod) und Nekrose (unkontrollierter Zelltod) führen. Außerdem beeinflussen sie die Zusammensetzung der Membranlipide – und damit die Integrität der Zellen –, und stören Rezeptoren und Ionenkanäle, was das Risiko für Arrhythmien erhöhen kann.
Alkohol kann auch die Synthese von Strukturproteinen verringern, was die Kontraktilität der Herzmuskelzellen beeinträchtigt. Als Reaktion kann sich das Herz anpassen, indem es die Muskelzellen verdickt, was jedoch zulasten der Herzelastizität geht und langfristig zu Herzinsuffizienz führen kann.
Studien zeigen, dass chronischer Alkoholkonsum auch Mikrostrukturen im Gehirn verändern kann (»Science Advances« 2020, DOI: 10.1126/sciadv.aba0154). Forschende aus Spanien entdeckten, dass sich die Geometrie des extrazellulären Raums verändern kann, wodurch sich Neurotransmitter wie Dopamin leichter darin bewegen können. Dies kann das Abhängigkeitspotenzial von Alkohol zusätzlich erhöhen. Die Forschenden beobachteten zudem, dass Alkohol die Anzahl und Komplexität der Mikroglia (Immunzellen im Gehirn) reduzieren kann, was ebenfalls die Diffusion diverser Substanzen in der grauen Substanz erleichtert.
Ethanol interagiert auch mit einigen anderen Neurotransmittersystemen, darunter das opioiderge, serotonerge, gabaerge und glutamaterge System. Dadurch wird das Gleichgewicht zwischen Erregungs- und Entspannungszuständen im Gehirn gestört, sodass es bei Entzug zu Übererregungszuständen, Angst und Krampfanfällen kommt (»Behavioral Neurobiology of Alcohol Addiction« 2011; DOI: 10.1007/978-3-642-28720-6_143).
Trotz der gesundheitlichen Risiken, die damit einhergehen, ist Alkoholkonsum in Europa kulturell fest verankert. Dabei sind auch die sozialen Folgen ebenfalls nicht zu unterschätzen – auch für Dritte. »Leider sehen wir den Konsum von Alkohol immer noch als völlig normal an. Dieser wird zu selten kritisch hinterfragt. Alkohol ist in unserer Gesellschaft omnipräsent und wir reden viel zu wenig über die Gefahren des Alkoholkonsums«, betont Burkhard Blienert (SPD), Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, in einer Pressemitteilung der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Die DHS hatte im Juni mit einer Aktionswoche auf die Gefahren von Alkohol hingewiesen.
Ein Blick auf die Zahlen ernüchtere, so Blienert: Allein in Deutschland konsumierten rund acht Millionen Menschen riskant Alkohol und fast zwei Millionen Menschen seien alkoholkrank. »Die Menschen müssen wir gemeinsam mit ihren Angehörigen in den Mittelpunkt der Debatte über Alkohol und seine gesellschaftlichen Auswirkungen rücken. Dafür müssen wir auch politisch endlich die gesetzlichen Lücken bei Werbung und Sponsoring für Alkoholprodukte schließen und zudem unsinnige Regelungen wie das begleitete Trinken ab 14 Jahre abschaffen.«
Mit dieser Einschätzung ist Blienert nicht alleine: Viele wichtige Akteure, darunter die Bundesärzte- und die Bundespsychotherapeutenkammer sowie die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) fordern deutlich höhere Preise, ein Werbeverbot und weniger Verkaufsstellen für Alkohol.