Pharmazeutische Zeitung online
Hintergrund

Nitrosamin auch in Metformin?

Sind auch Metformin-haltige Arzneimittel möglicherweise mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) verunreinigt? Der Verdacht steht im Raum, seit Anfang des Jahres Spuren des Schadstoffs in Metformin-haltigen Präparaten gefunden wurden. Das Bewertungsverfahren läuft noch. Hier der aktuelle Stand.
Manfred Schubert-Zsilavecz
05.11.2020  07:00 Uhr

Mitte Oktober teilte die europäische Arzneimittelbehörde EMA offiziell mit, dass sie und die nationalen Behörden der EU alle Zulassungsinhaber auffordern werden, Metfomin-haltige Fertigarzneimittel vor der Marktfreigabe auf das Vorhandensein von Nitrosaminen zu testen. Sie sieht diese vorbeugende Maßnahme im Einklang mit dem Verfahren nach Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004, in dessen Rahmen die Unternehmen Maßnahmen ergreifen müssen, um das Vorhandensein von Nitrosaminen in Arzneimitteln zu begrenzen.

Der Zeitpunkt der Aufforderung im Spätherbst 2020 überrascht insofern, als bereits am Beginn des Jahres NDMA in EU-Chargen Metformin-haltiger Arzneimittel festgestellt wurde. Das in Deutschland zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) informierte darüber am 4. März 2020 und verwies auf weitere Analysenergebnisse, die erwartet würden. Ferner gab das BfArM bekannt, »dass die Frist für die Einreichung von Prüfergebnissen für Wirkstoffe und Metformin-haltige Fertigarzneimittel (die bereits vermarktet werden oder vor der Freigabe stehen) und des zugehörigen Untersuchungsberichts, der die Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen von Zulassungsinhabern umfasst, in begründeten Fällen bis zum 30. April 2020 verlängert werden kann.« Mit Blick auf die Covid-19-Pandemie wurde diese Frist vom BfArM am 4. Juni bis 1. Oktober 2020 verlängert.

In aktuellen Stellungnahmen raten EMA und BfArM Patienten weiterhin, ihre Metformin-haltigen Arzneimittel einzunehmen, da die Risiken einer unzureichenden Behandlung eines Diabetes mellitus bei Weitem die möglichen Risiken überwiegen, die sich aus der Aufnahme geringer Nitrosamin-Konzentrationen ergeben. Dieser wichtige Therapiehinweis wird in Teilen dadurch abgeschwächt, dass weiterhin unklar bleibt, ob und in welchem Umfang Metformin-haltige Arzneimittel in Deutschland tatsächlich mit Nitrosaminen belastet sind.

Grenzwerte für Nitrosamine

Dazu ist anzumerken, dass für Verunreinigungen in Arzneimitteln international ein zusätzliches (theoretisches) Krebsrisiko von 1:100.000 (0,001 Prozent) als akzeptabel betrachtet wird. Dieses zusätzliche theoretische Lebenszeitrisiko ist sehr gering vor dem Hintergrund, dass in Deutschland das Risiko, im Laufe des Lebens an Krebs zu erkranken, insgesamt bei etwa 45 Prozent liegt.

In den toxikologischen Leitlinien für Arzneimittel wird für einen durchschnittlichen Erwachsenen ein Körpergewicht von 50 kg angesetzt. Nach einer akzeptierten Berechnungsmethode ergibt sich für Erwachsene eine NMDA-Tagesdosis von 96 ng pro Tag bei einer lebenslangen täglichen Aufnahme, um ein Krebsrisiko von 0,001 Prozent nicht zu überschreiten. In Bezug auf die Tageshöchstdosis von 3 g Metformin ergibt das einen Grenzwert von 0,032 ppm im Wirkstoff beziehungsweise Arzneimittel. Der Grenzwert berechnet sich unter der Annahme der maximal möglichen Dosierung und der lebenslangen Einnahme eines mit Nitrosaminen belasteten Arzneimittels. Für alle Arzneistoffe, in denen bislang Nitrosamine identifiziert wurden, gelten aktuell die in der Tabelle aufgeführten Grenzwerte.

Wirkstoff Tageshöchstdosis [mg] NDMA-Grenzwert [ng pro Tag] NDMA-Grenzwert im Wirkstoff [ppm]
Valsartan 320 96,0 0,300
Losartan 150 96,0 0,640
Olmesartan 40 96,0 2,400
Irbesatan 300 96,0 0,320
Candesartan 32 96,0 3,000
Ranitidin 900
(Zollinger-Ellison-Syndrom: 6000)
96,0 0,107
(Zollinger-Ellison-Syndrom: 0,016)
Pioglitazon 45 96,0 2,133
Metformin 3000 96,0 0,032
NDMA-Grenzwerte in Arzneistoffen, Quelle: Wittstock et al (2020): Umgang mit Arzneimittelrisiken am Beispiel von Nitrosaminen (Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 1/2020)

Kontamination durch Synthese?

Chemisch gesehen ist Metformin ein Dimethylderivat des stark basischen Biguanids, dessen Synthese von Bernhard Rathke 1878 erstmals beschrieben wurde. 1922 veröffentlichen Emil Werner und James Bell eine Arbeit zur Synthese von Metformin ausgehend von Dimethylamin und Dicyandiamid (Cyanguanidin):

Mit Blick auf das auch heute noch eingesetzte Syntheseverfahren kann nicht ausgeschlossen werden, dass es im Zuge der Herstellung von Metformin zu einer Verunreinigung mit NDMA kommen kann. Jedenfalls gilt als gesichert, dass Nitrite in Gegenwart von sekundären oder tertiären Aminen unter geeigneten Reaktionsbedingungen Nitrosamine bilden. Dimethylamin ist ein zentrales Edukt bei der Herstellung von Metformin. Für das Auftreten von Nitrit im Syntheseprozess von Metformin gibt es viele mögliche Ursachen, auf die im Einzelnen nicht eingegangen wird. Bekannt ist, dass Nitrite unter anderem als Verunreinigungen in Rohstoffen vorkommen können.

Die Bestimmung von Nitrosaminen in Metformin-haltigen Arzneimitteln ist eine analytische Herausforderung, der sich die Division of Pharmaceutical Analysis der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA gestellt hat, nicht zuletzt als Reaktion auf als nicht valide erachtete Testergebnisse eines privaten US-amerikanischen Labors. Am 1. Juni 2020 veröffentlichte die FDA-Gruppe um David Keire zwei HPLC-MS-Verfahren zur Bestimmung von Metformin in Fertigarzneimitteln und das Ergebnis der Untersuchungen von 38 Metformin-Chargen des amerikanischen Marktes, die zuvor im privaten Untersuchungslabor analysiert wurden (DOI: 10.1208/s12248-020-00473-w).

Im Vergleich zu den Ergebnissen des privaten Labors ergab sich ein nüchternes aber weniger dramatisches Bild: Unter Nutzung zweier Analyse-Verfahren (FDA-1 und FDA-2) wurde NMDA in 16 von 38 Chargen nachgewiesen, wobei in nahezu allen Fällen retardierte Metformin-Produkte – die in Deutschland keine Rolle spielen – betroffen waren. Bei 8 der 38 Proben, die von fünf Firmen stammten, lagen die NDMA-Konzentrationen über dem akzeptablen Grenzwert, was zur freiwilligen Marktrücknahme durch die Hersteller führte.

Es bleibt zu hoffen, dass für in Deutschland und Europa verwendete Metformin-Produkte demnächst valide Untersuchungsergebnisse zum Gehalt an Nitrosaminen vorliegen, nicht zuletzt um Unsicherheiten bei Patienten zu minimieren. Fatal wäre eine Situation, die zum Rückruf einer großen Anzahl von Chargen und damit zu einer Verknappung von Metformin führen würde. Anders als bei den Sartanen und Ranitidin gibt es für Metformin keine ausreichenden therapeutischen Alternativen.

Literatur beim Verfasser

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa