Nitisinon tötet Mücken nach Blutmahlzeit |
Theo Dingermann |
20.08.2025 13:00 Uhr |
Experimente zeigen: Nitisinon stört die Blutmahlzeitverdauung der Mücken und verstopft deren Verdauungssystem. / © Getty Images/Anton Petrus
Nach wie vor zählt Malaria zu den Infektionskrankheiten mit den höchsten Todesraten. Allein im Jahr 2022 wurden 249 Millionen Malaria-Fälle und mehr als 600.000 Todesfälle registriert. Und immer noch ist man auf der Suche nach einem wirkungsvollen Infektionsschutz, nicht zuletzt auch deshalb, da die verfügbaren Optionen durch Mutationen an Wirksamkeit verlieren.
Auch die Suche unter zugelassenen Medikamenten im Rahmen von Repurposing-Studien kann sich lohnen. Erst kürzlich berichteten Forschende im Wissenschaftsjournal »New England Journal of Medicine«, dass eine massenhafte Versorgung der Bevölkerung in Endemiegebieten mit Ivermectin die Malaria-Übertragung signifikant senken kann.
Bereits Anfang dieses Jahres hatten Forschende in der Fachzeitschrift »Science Translational Medicine« berichtet, dass Mücken, die sich vom Blut von Menschen ernährten, die Nitisinon eingenommen hatten, innerhalb weniger Stunden nach ihrer Mahlzeit starben.
Nitisinon ist ein synthetisches Derivat des sekundären Pflanzenmetaboliten Leptospermone, der im Zimmerputzer (Callistemon citrinus), einer in den tropischen und subtropischen Regionen Australiens beheimateten Zierpflanze, vorkommt. Der Arzneistoff interferiert mit dem Abbau der nicht essenziellen Aminosäure Tyrosin, indem es das Enzym 4-Hydroxyphenylpyruvat-Dioxygenase (HPPD) hemmt.
Ende des 20. Jahrhunderts wurde entdeckt, dass Nitisinon bei der Behandlung von Tyrosinämie Typ I und Alkaptonurie wirksam ist, zwei seltenen genetischen Erkrankungen, bei denen die Verstoffwechselung von Tyrosin beeinträchtigt ist, was in der Akkumulation der toxischen Metabolite Maleylacetat und Fumarylacetat resultiert. In Europa, ebenso wie in den USA, wurde Nitisinon in Form des Fertigarzneimittels Orfadin® 2002 zur Behandlung von Patienten mit diesen Erkrankungen zugelassen.
Jetzt zeigt ein Forschungsteam um Zachary Thomas Stavrou-Dowd von der Liverpool School of Tropical Medicine, dass der Arzneistoff seine Wirkung gegen Mosquitos auch über die äußere Haut der Mücke (Kutikula) entfaltet. Dies berichten sie in einer Publikation, die im Fachblatt »Parasides & Vectors« erschien.
Den Forschenden gelang es, nachzuweisen, dass nur Nitisinon, nicht jedoch die verwandten Substanzen wie Mesotrion, Sulcotrion oder Tembotrion, die ebenfalls das Enzym HPPD hemmen, eine signifikante moskitizide Wirkung entfaltet, wenn blutgesättigte Vektoren mit Oberflächen in Kontakt kommen, die mit dem Wirkstoff behandelt wurden. Der Grund für die exklusive Wirksamkeit von Nitisinon könnte darin liegen, dass nur dieser Stoff ausreichend Kutikula-gängig ist.
Besonders interessant war, dass die Forschenden keine signifikanten Unterschiede in der Empfindlichkeit detektierten, wenn Stämme mit mehreren Insektizid-Resistenzmechanismen mit Nitisinon in Kontakt kamen. Die Substanz zeigte eine konsistente Wirksamkeit bei allen getesteten Mückenarten, darunter Anopheles gambiae, Anopheles coluzzii, Culex und die Gelbfiebermücke Aedes aegypti. Dies weist auf eine breite Wirksamkeit gegenüber wichtigen Krankheitsüberträgern hin.
Der Vergiftungsprozess basiert auf der HPPD-Hemmung. Denn die Mücken benötigen dieses Enzym, um Proteine und Aminosäuren aus der Blutmahlzeit zu verstoffwechseln. Die durch Nitisinon ausgelöste Hemmung eines der Tyrosin-abbauenden Enzyme – die Patienten mit Tyrosinämie Typ 1 hilft – stört also die Blutmahlzeitverdauung der Mücken und verstopft deren Verdauungssystem. Damit nimmt der Arzneistoff den Mücken die Fähigkeit, Proteine aus menschlichem Blut umzuwandeln.
Dieser Wirkmechanismus verdeutlich allerdings auch, dass die Mücken Blut trinken müssen, bevor Nitisinon wirken kann. Die Forschenden zeigten, dass Mücken, die Zuckerwasser bekamen, nicht auf Nitisinon reagierten, was die Beobachtung bestätigte.
Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass Nitisinon als Kontaktinsektizid im Rahmen von Maßnahmen wie Indoor Residual Spraying (IRS) und möglicherweise auch zur Imprägnierung langanhaltend insektizidbehandelter Moskitonetze (LLINs) einsetzbar sein könnte.
Vorteilhaft sind die breite Wirksamkeit, die Stabilität unter Umweltbedingungen (UV, pH, Temperatur) und die Tatsache, dass es sich um einen bereits für Menschen zugelassenen Wirkstoff handelt. Zwar sterben die Mücken erst nach einer Latenzzeit von 24 bis 72 Stunden. Dies kann trotzdem ausreichen, da Weibchen in dieser Zeit keine Eier mehr ablegen, spekulieren die Forschenden.
In Vorversuchen konnten die Autoren zudem zeigen, dass sich die Wirksamkeit erhöhen lässt, wenn Nitisinon in Kombination mit Adjuvanzien wie Rapsmethylester eingesetzt wird.