Nicht jeder braucht zwei Liter täglich |
Christina Hohmann-Jeddi |
01.06.2023 09:00 Uhr |
Bei körperlicher Bewegung und warmen Außentemperaturen ist der Wasserumsatz erhöht. / Foto: Adobe Stock/kieferpix
Durch Schweiß, Urin, Stuhl und Atmung verliert der Mensch jeden Tag Wasser und muss dieses wieder ersetzen. Als Water Turnover (Wasserumsatz) wird dieser tägliche Verbrauch bezeichnet. Wie viel Wasser ist aber nötig, sollte also getrunken werden, um die Verluste auszugleichen?
Viele Menschen haben im Hinterkopf die häufig genannten zwei Liter pro Tag. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) gibt differenzierte Empfehlungen und staffelt diese nach Alter – sie reichen von 400 ml täglich für Säuglinge bis zu 1700 ml täglich für Stillende. Die DGE rechnet auch vor, wie viel Wasser der Körper in etwa pro Tag umsetzt: Über den Urin gehen demnach 1440 ml verloren, über den Stuhl 160 ml, über die Lunge 500 ml und über die Haut 550 ml. Das sind insgesamt 2650 ml am Tag. Doch solche pauschalen Aussagen sind natürlich schwierig.
Ein internationales Forschungsteam um Yosuke Yamada vom japanischen nationalen Institut für Gesundheit und Ernährung in Tokio wollte es genau wissen und analysierte den Wasserumsatz und das Gesamtkörperwasser von 5604 Personen im Alter von 8 Tagen bis 96 Jahren aus 26 Ländern weltweit. Die Ergebnisse wurden Ende 2022 im Fachjournal »Science« veröffentlicht (DOI: 10.1126/science.abm8668).
Die Forschenden ließen die Probanden eine kleine Menge Wasser trinken, die das Wasserstoff-Isotop Deuterium enthielt. Über die Geschwindigkeit, mit der das Isotop eliminiert wurde, ermittelten sie den Wasserumsatz und das Gesamtkörperwasser. Das Ergebnis: Der Wasserumsatz hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, nämlich Körpergröße und -zusammensetzung, Klima, Schwangerschaft und Energieverbrauch, also Aktivitätsgrad.
Den höchsten Wasserumsatz hatten in der Studie 20 bis 30 Jahre alte Männer und 20- bis 55-jährige Frauen. Das Gesamtkörperwasser war im Alter von 20 bis 40 Jahren bei beiden Geschlechtern am höchsten. Im Verhältnis zum Gesamtkörperwasser hatten Neugeborene den höchsten Wasserumsatz, der Wert sank dann mit zunehmendem Alter ab.
Einen starken Einfluss auf den Wasserumsatz hatte der Lebensstil. So hatten Personen aus Jäger- und Sammler-Gemeinschaften und Ackerbautreibende einen höheren Wasserumsatz als Menschen aus Industrienationen. Sportler hatten höhere Werte als Nichtsportler.
Von den 1875 untersuchten Männern hatten neun einen Wasserumsatz von mehr als 10 Litern am Tag. Von diesen waren vier Leistungssportler, vier gehörten zur ecuadorianischen Volksgruppe der Shuar, die Ackerbau und Jagd betreibt, und einer war ein normalgewichtiger Kaukasier, der bei einer Außentemperatur von fast 32 °C untersucht wurde. Bei den Frauen hatten 13 Werte von mehr als 7 Litern am Tag. Von ihnen waren fünf Athletinnen, zwei stark adipöse Schwangere, drei Adipöse, die nicht schwanger waren, und drei wurden im Sommer gemessen. Frauen in der Schwangerschaft hatten generell einen durchschnittlich höheren Wasserumsatz als Frauen außerhalb der Schwangerschaft. Im dritten Trimester war der Wasserumsatz um durchschnittlich 670 ml erhöht, in der Stillzeit um 260 ml im Vergleich zum Zeitraum vor der Schwangerschaft.
Die Studie zeige, dass eine allgemeine Trinkempfehlung nicht auf alle Menschen passe und der Wasserumsatz stark individuell sei, folgern die Forschenden um Yamada. Die häufig gehörte Empfehlung von zwei Litern am Tag sei wissenschaftlich nicht belegt. Häufig werde auch der Anteil der Wasseraufnahme über die Nahrung nicht berücksichtigt, heißt es in der Publikation.
Dieser liege Schätzungen zufolge bei 20 bis 50 Prozent der täglichen Wasseraufnahme, sei aber bislang nicht wissenschaftlich exakt bestimmt worden. Die Empfehlung, zwei Liter täglich zu trinken, sei für die meisten Menschen häufig zu viel, sagte Koautor Professor Dr. John Speakman von der University of Aberdeen in Schottland der Zeitung »The Guardian«.