Niacin-Überschuss könnte die Gefäße schädigen |
Theo Dingermann |
22.02.2024 14:00 Uhr |
Niacin ist vor allem in tierischen Lebensmitteln wie Fleisch, Fisch, Wild oder Geflügel enthalten. / Foto: Adobe Stock/New Africa
Das Ergebnis, über das ein Team um Marc Ferrell vom Lerner Research Institute der Cleveland Clinic in Cleveland, Ohio, aktuell im Fachjournal »Nature Medicine« berichtet, war ein Zufallsfund. Denn eigentlich wollten die Forschenden versuchen zu verstehen, warum bei der Hälfte der Patienten, die zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen leitliniengerecht behandelt werden, die therapeutischen Maßnahmen nicht greifen. Dazu analysierten sie im Nüchternplasma von 1162 stabil eingestellten Herzpatienten das Metabolitenspektrum. Es fiel auf, dass die Konzentrationen der terminalen Metabolite des Niacins, N1-Methyl-2-pyridon-5-carboxamid (2PY) und N1-Methyl-4-pyridon-3-carboxamid (4PY), mit dem Auftreten schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse (MACE) wie Herzinfarkt oder Schlaganfall assoziiert waren.
Um die Relevanz dieser Beobachtung zu überprüfen, quantifizierte das Team die zirkulierenden 2PY- und 4PY-Konzentrationen in zwei Validierungskohorten in den USA (n = 2331) und in Europa (n = 832). Dies bestätigte, dass Personen mit höheren zirkulierenden 2PY- oder 4PY-Spiegeln ein deutlich erhöhtes Risiko für MACE aufwiesen. Wurde die Nierenfunktion in Form der geschätzten glomerulären Filtrationsrate in die Analyse mit einbezogen, blieb die Assoziation mit 4PY in beiden Kohorten bestehen; für 2PY war das hingegen nur bei der US-Kohorte der Fall.
Mittels einer genomweiten Assoziationsstudie suchten die Forschenden daraufhin nach genetischen Besonderheiten, die mit hohen 2PY- beziehungsweise 4PY-Werten assoziiert sind. Fündig wurden sie bei zwei Varianten im Gen für die Aminocarboxymuconat-Semialdehyd-Decarboxylase (ACMSD).
Diese Entdeckung könnte die Basis für die Entwicklung eines analytischen Tests bilden, mit dem sich Risikopatienten identifizieren lassen könnten. Denn das Problem scheint nicht trivial zu sein: Einer von vier Studienteilnehmern wies einen Niacin-Überschuss auf. Dies verdoppelte das Risiko für MACE und brachte es etwa auf das Niveau von Patienten mit Diabetes oder nach einem früheren Herzinfarkt.
Die Ergebnisse stimmen mit jenen aus zwei großen Studien (HPS2-THRIVE und AIM-HIGH) überein, in denen festgestellt wurde, dass die Gabe von Niacin bei Menschen, die bereits niedrige Werte an LDL-Cholesterol aufwiesen, zu einer Verschlechterung der kardiovaskulären Ergebnisse führte, obwohl der Wirkstoff bekanntermaßen die Werte des HDL-Cholesterols erhöht. »Das Spannende an unseren Ergebnissen ist, dass es sich bei dem von uns entdeckten Signalweg offenbar um einen bisher unerkannten, aber bedeutenden Faktor bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen handelt«, kommentierte Seniorautor Professor Dr. Stanley Hazen auf dem Nachrichtenportal »News Medical Life Sciences«.