Neuer MEK-Hemmer im Handel |
| Annette Rößler |
| 11.11.2025 07:00 Uhr |
Plexiforme Neurofibrome (PN) können bei Patienten mit Neurofibromatose Typ 1 auftreten. Die Geschwulste sind gutartig, können aber Beschwerden machen und möglicherweise bösartig entarten. / © Getty Images/Sinhyu
Die Neurofibromatose Typ 1 (NF1) oder auch Morbus von Recklinghausen ist mit einer Erkrankungshäufigkeit von 1:3000 eine seltene Erkrankung. Ursächlich sind angeborene oder erworbene Mutationen im NF1-Gen, das auf dem Chromosom 17 liegt und für das Protein Neurofibromin codiert. Letzteres ist ein Suppressor des RAS/RAF/MEK/ERK-Signalwegs, der das Zellwachstum reguliert.
Fehlt die »Bremse« Neurofibromin, kann ein überschießendes Zellwachstum resultieren, das bei Patienten mit NF1 etwa zur Bildung von plexiformen Neurofibromen (PN) führen kann. Dies sind Geschwulste, die aus dem Stützgewebe des peripheren Nervensystems hervorgehen. PN sind gutartig, können aber Probleme bereiten, indem sie umgebendes Gewebe verdrängen. Weil sie geflechtartig (plexiform) um den Nerv herum wachsen, muss dieser bei einer Resektion des PN mit entfernt werden. In 8 bis 13 Prozent der Fälle entarten PN zu malignen peripheren Nervenscheidentumoren.
Zur Therapie von symptomatischen, inoperablen PN bei Patienten mit NF1 steht in der EU bereits der MEK-Hemmer Selumetinib (Koselugo®) zur Verfügung. Er war zunächst nur für Kinder ab drei Jahren und Jugendliche zugelassen, darf seit einer kürzlich erfolgten Zulassungserweiterung nun aber auch bei Erwachsenen angewendet werden.
Mirdametinib (Ezmekly® 1 mg/2 mg Hartkapseln und 1 mg Tabletten zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen, Spring Works Therapeutics) wird im identischen Anwendungsgebiet bei pädiatrischen und erwachsenen Patienten ab einem Alter von zwei Jahren eingesetzt. Wie Selumetinib ist Mirdametinib ein selektiver, nicht kompetitiver Inhibitor von MEK1 und MEK2.
Die empfohlene Dosis beträgt 2 mg Mirdametinib pro m2 Körperoberfläche zweimal täglich an den ersten 21 Tagen jedes 28-tägigen Zyklus. Die Kapseln werden im Ganzen geschluckt, die Tabletten können in Wasser aufgelöst und dann geschluckt werden. Die Einnahme kann mit oder unabhängig von den Mahlzeiten erfolgen. Die Therapie soll bis zur Progression der PN oder bis zum Auftreten von inakzeptabler Toxizität fortgeführt werden. Bevor das Medikament abgesetzt wird, sieht die Fachinformation bei bestimmten Nebenwirkungen zunächst ein Pausieren der Therapie und/oder eine anschließende Dosisreduktion vor.
Folgende Nebenwirkungen verdienen besondere Aufmerksamkeit:
Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen darüber hinaus Durchfall, Übelkeit/Erbrechen, Erhöhung der Kreatinphosphokinase, Schmerzen des Muskel- und Skelettsystems, Müdigkeit, Bauch- und Kopfschmerzen.
Wechselwirkungen sind möglich mit Induktoren oder Hemmern der Enzyme Uridindiphosphat-Glucuronosyltransferase (UGT) und Carboxylesterase (CES). So ist Vorsicht geboten bei gleichzeitiger Anwendung von Mirdametinib mit Probenecid oder Diclofenac (UGT-Inhibitoren) und Rifampicin (UGT-Induktor).
Mirdametinib darf in der Schwangerschaft nicht angewendet werden. Weibliche und männliche Patienten im fortpflanzungsfähigen Alter müssen während der Behandlung und für sechs beziehungsweise drei Monate nach der letzten Dosis wirksam verhüten, Frauen zusätzlich zu systemisch wirksamen hormonellen Kontrazeptiva auch mit einer Barrieremethode. Das Stillen soll während der Behandlung unterbrochen und erst eine Woche nach der letzten Dosis wieder fortgesetzt werden.
Ausschlaggebend für die Zulassung waren die Ergebnisse der multizentrischen, unverblindeten, einarmigen Phase-II-Studie ReNeu, an der 58 Erwachsene und 56 Kinder ab zwei Jahren mit NF1 und symptomatischen, inoperalen PN teilnahmen. Der primäre Wirksamkeitsendpunkt, die bestätigte objektive Ansprechrate (ORR), betrug in der erwachsenen Kohorte 41 Prozent und in der pädiatrischen Kohorte 52 Prozent. Dabei handelte es sich in allen Fällen um ein partielles Ansprechen.
Die mediane Dauer des Ansprechens (sekundärer Endpunkt) war zum Zeitpunkt der Auswertung noch nicht erreicht. Von den Respondern sprachen unter den Erwachsenen 88 Prozent mindestens zwölf Monate lang auf die Therapie an (Kinder: 90 Prozent) und 50 Prozent mindestens 24 Monate (Kinder: 48 Prozent).
Der Fortschritt von Mirdametinib liegt nicht im Wirkprinzip. Es handelt sich um einen weiteren MEK-Inhibitor. Davon gibt es nun schon einige. Gibt es einen Fortschritt in Sachen Anwendungsgebiet? Nur einen kleinen. Denn der ebenfalls zur Behandlung von plexiformen Neurofibromen bei Neurofibromatose Typ 1 zugelassene MEK-Hemmer Selumetinib hat kürzlich die EU-Zulassungserweiterung für die Behandlung bei Erwachsenen erhalten. Schon vorher durfte er bei Kindern ab drei Jahren zum Einsatz kommen. Mirdametinib kommt dagegen bei Erwachsenen und bei Kindern ab einem Alter von zwei Jahren infrage – also ein Jahr früher. Letztgenannter Vorteil reicht nicht aus, um Mirdametinib als wirklichen Therapiefortschritt anzusehen.
Die vorläufige Einstufung als Schrittinnovation lässt sich aber damit begründen, dass das Mirdametinib-haltige Präparat Ezmekly® auch in Form von Tabletten zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen auf dem Markt ist. Für Patienten, die nicht in der Lage sind, Kapseln zu schlucken, ist das ein Vorteil.
Ein Head-to-Head-Vergleich der beiden MEK-Inhibitoren existiert bislang nicht, sodass man nicht sagen kann, welcher möglicherweise wirksamer ist. Fakt ist auch, dass die Therapie in beiden Fällen ein engmaschiges Monitoring erfordert, etwa von Herzfunktion und Augengesundheit. Denn beide MEK-Hemmer sind wirksam, aber nicht frei von Nebenwirkungen.
Sven Siebenand, Chefredakteur