Neuer innovativer Arzneistoff bei Brustkrebs |
Annette Rößler |
08.11.2024 07:00 Uhr |
Nebenwirkungen, die eine Dosisreduktion (bis zu zweimal), eine Unterbrechung oder schließlich ein Absetzen von Capivasertib erforderlich machen können, sind Hyperglykämie, Diarrhö und Hautreaktionen. Die Fachinformation enthält hierzu detaillierte Anweisungen.
Bei Patienten mit mäßigen Leberfunktionsstörungen sollte der Anwendung eine Nutzen-/Risiko-Abwägung vorausgehen und sie sind engmaschig zu überwachen. Bei einer schweren Funktionsstörung der Leber und/oder der Nieren wird die Anwendung nicht empfohlen. Ebenfalls nicht empfohlen wird die Anwendung in der Schwangerschaft. Frauen im gebärfähigen Alter sollen während der Therapie und mindestens vier Wochen über deren Ende hinaus zuverlässig verhüten, Männer 16 Wochen. Das Stillen sollte während der Einnahme von Capivasertib unterbrochen werden.
Da durch Capivasertib der Glucosemetabolismus in der Zelle gestört wird, kann es unter der Anwendung zu Hyperglykämien kommen. Patienten mit vorbestehendem insulinpflichtigen Diabetes mellitus waren von den Zulassungsstudien ausgeschlossen, weshalb bei ihnen die Anwendung mit besonderer Vorsicht erfolgen muss. Ein Diabetologe ist hinzuzuziehen. Generell sollten Patienten vor Beginn der Einnahme von Capivasertib über mögliche Symptome einer Hyperglykämie wie übermäßiger Durst und häufiges Wasserlassen informiert werden. Der Nüchternglucose- und der HbA1c-Wert sind regelmäßig zu bestimmen.
Capivasertib wird hauptsächlich über CYP3A4- und UGT2B7-Enzyme metabolisiert und wirkt selbst als schwacher CYP3A-Inhibitor. Hieraus resultiert ein großes Interaktionspotenzial. Die gleichzeitige Anwendung mit starken und moderaten CYP3A-Induktoren sollte vermieden werden; dasselbe gilt für starke CYP3A4-Inhibitoren (auch Grapefruit/Grapefruitsaft). Kann die gleichzeitige Anwendung mit einem starken oder moderaten CYP3A4-Inhibitor nicht vermieden werden, sollte die Capivasertib-Dosis auf 640 mg täglich (zweimal täglich 320 mg) gesenkt werden.
Diarrhö war in den Zulassungsstudien die häufigste Nebenwirkung von Capivasertib mit 72,4 Prozent betroffenen Patientinnen. Behandelte sind darauf hinzuweisen, dass sie beim ersten Anzeichen von Durchfall eine entsprechende Therapie beginnen sollten. Weitere häufige Nebenwirkungen waren unter anderem Hautausschlag (40,3 Prozent), Übelkeit (34,6 Prozent), Fatigue (32,1 Prozent), Erbrechen (20,6 Prozent), Stomatitis (17,2 Prozent) und Hyperglykämie (16,9 Prozent). Die häufigsten Nebenwirkungen der Grade 3 und 4 waren Hautausschlag (12,4 Prozent), Diarrhö (9,3 Prozent), Hyperglykämie (2,3 Prozent), Hypokaliämie (2,3 Prozent) sowie Anämie und Stomatitis (jeweils 2,0 Prozent).
Zulassungsrelevant war die randomisierte, doppelblinde Phase-III-Studie CAPItello-291, deren Ergebnisse 2023 im »New England Journal of Medicine« publiziert wurden (DOI: 10.1056/NEJMoa2214131). Eingeschlossen waren 708 Frauen und Männer mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem ER-positiven, HER2-negativen Mammakarzinom nach endokriner Therapie, von denen bei 289 eine oder mehrere infrage kommende PIK3CA/AKT1/PTEN-Gen-Alterationen vorlagen. Sie wurden im Verhältnis 1:1 auf Capivasertib/Fulvestrant oder Placebo/Fulvestrant randomisiert.
Der duale primäre Endpunkt war das progressionsfreie Gesamtüberleben (PFS) in der Gesamtstudienpopulation und in der Subgruppe derjenigen mit Mutationen im AKT1-Signalweg. In der Gesamtstudienpopulation betrug das mediane PFS in der Capivasertib/Fulvestrant-Gruppe 7,2 Monate und in der Placebo/Fulvestrant-Gruppe 3,6 Monate. In der spezifizierten Subgruppe war der Unterschied mit 7,3 Monaten in der Capivasertib/Fulvestrant-Gruppe versus 3,1 Monate und in der Placebo/Fulvestrant-Gruppe noch etwas größer. Die Unterschiede waren statistisch signifikant.
Ein bisschen erinnert Capivasertib an Alpelisib. Dieser Wirkstoff ist auch in Kombination mit Fulvestrant beim lokal fortgeschrittenen oder metastasierten ER-positiven und HER2-negativen Brustkrebs nach Versagen einer endokrinen Therapie zugelassen. Auch Alpelisib, das der Hersteller aus wirtschaftlichen Gründen aber in Deutschland nicht mehr vermarktet, greift in den PI3K/AKT-Signalweg ein.
Die AKT-Kinase ist ein attraktives Ziel für die Entwicklung von Krebsmedikamenten, weil sie einer der wichtigsten Knotenpunkte in einem Signalnetzwerk ist, das bei vielen Krebsarten gestört ist, unter anderem bei Brustkrebs. Capivasertib ist nun der erste selektive AKT-Inhibitor und sorgt dafür, dass der überaktive PI3K-Signalweg herunterreguliert wird. Schon aufgrund dieses neuen Wirkmechanismus ist der neue Wirkstoff als Sprunginnovation zu betrachten.
Auch die Ergebnisse der zulassungsrelevanten Studie, insbesondere der Vorteil beim progressionsfreien Überleben, untermauern diese Einstufung. Besonders positiv ist ferner, dass Capivasertib ein Arzneistoff mit Potenzial für mehrere Indikationen ist und bereits eine Reihe weiterer klinischer Studien laufen, etwa beim schwer zu behandelnden dreifach negativen Brustkrebs oder in Kombination mit Abirateron bei Prostatakrebs.
Capivasertib ist wirksam, allerdings keineswegs frei von Nebenwirkungen. Hierauf müssen auch Apotheker bei der Abgabe von Truqap® achten und zum Beispiel auf die Kontrolle des Blutzuckerspiegels aufmerksam machen, der unter Capivasertib ansteigen kann. Auch hier zeigt sich übrigens eine Parallele zu Alpelisib, das ebenfalls Hyperglykämien auslösen kann. Zudem gilt es mit Blick auf mögliche Wechselwirkungen, bei einer Therapie mit Capivasertib wachsam zu sein: Die Begleitmedikation sollte auf CYP3A4-Hemmer und -Induktoren gescreent werden und falls vorhanden gegebenenfalls gehandelt werden.
Sven Siebenand, Chefredakteur