Neuer BTK-Hemmer im Handel |
Kerstin A. Gräfe |
02.10.2024 07:00 Uhr |
Die Diagnose des Mantelzell-Lymphoms erfolgt histopathologisch anhand eines befallenen Lymphknotens. / Foto: Getty Images/anyaivanova (Symbolbild)
Das Mantelzell-Lymphom (MCL) zählt zwar zu den indolenten Non-Hodgkin-Lymphomen, verläuft jedoch häufig aggressiv. Die Erkrankung ist derzeit nicht heilbar, sodass die Therapie auf das Erreichen einer Langzeitremission und die Verlängerung des Überlebens abzielt. In der Erstlinie werden primär Immunchemotherapien mit oder ohne autologe Stammzelltransplantation eingesetzt. Beim rezidivierten oder refraktären MCL sind Inhibitoren der Bruton-Tyrosinkinase (BTK) wie Ibrutinib eine wichtige Option. Häufig treten aber durch Mutationen Resistenzen auf, die mit einem Wirkverlust aller bisherigen BTK-Inhibitoren verbunden sind.
Mit Pirtobrutinib (Jaypirca® 50 mg/100 mg Filmtabletten, Lilly) ist ein neuer BTK-Hemmer verfügbar, der einen anderen Angriffspunkt an der Kinase hat als die bisherigen BTK-Hemmer und somit Resistenzen überwindet. Während die bislang im Markt befindlichen BTK-Hemmer kovalent, also irreversibel, an der BTK binden, ist Pirtobrutinib ein reversibler, nicht kovalenter Inhibitor der BTK. Zudem bindet Pirtobrutinib sowohl an die Wildtyp-BTK als auch an die BTK mit C481-Mutationen.
Jaypirca ist indiziert als Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem MCL, die zuvor mit einem BTK-Inhibitor behandelt wurden. Die empfohlene Dosis beträgt 200 mg einmal täglich. Die Filmtabletten können unabhängig von einer Mahlzeit eingenommen werden.
Hat der Patient eine Dosis vergessen und sind mehr als zwölf Stunden vergangen, sollte die nächste Dosis zum vorgesehenen Zeitpunkt genommen werden. Auch bei Erbrechen sollte keine zusätzliche Dosis eingenommen, sondern mit der nächsten planmäßigen Dosis fortgefahren werden.
Jaypirca-Filmtabletten enthalten Lactose. Patienten mit der seltenen hereditären Galactose-Intoleranz, völligem Lactasemangel oder Glucose-Galactose-Malabsorption sollten das neue Präparat nicht anwenden.
Unter der Behandlung kann es zu mehreren schwerwiegenden Ereignissen kommen, die ein Unterbrechen oder Aussetzen der Therapie erfordern. Dazu zählen Infektionen wie Pneumonie und Sepsis. Für Patienten mit erhöhtem Risiko für opportunistische Infektionen sollte eine prophylaktische antimikrobielle Therapie erwogen werden. Zudem können Zytopenien 3. und 4. Grades sowie schwere Blutungsereignisse auftreten. Bei der Anwendung des neuen BTK-Hemmers mit Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern sollten Risiko und Nutzen abgewogen und eine zusätzliche Überwachung auf Anzeichen von Blutungen in Betracht gezogen werden. Die Einnahme von Jaypirca mit Warfarin oder anderen Vitamin-K-Antagonisten wurde nicht untersucht. Häufig kommt es auch zu Vorhofflimmern und -flattern. Die Patienten sollten auf Anzeichen überwacht werden und es sollte gegebenenfalls ein Elektrokardiogramm erstellt werden.
Patienten, die das neue Präparat bekommen, sollten sich vor Sonneneinstrahlung schützen und auf das Auftreten von Hautkrebs überwacht werden. Häufig kam es unter der Behandlung zu sekundären Malignomen.
Pirtobrutinib ein moderater Inhibitor von CYP2C8 und BCRP sowie ein schwacher Inhibitor von P-Glykoprotein (P-gp) und CYP2C19. Vorsicht ist geboten bei gleichzeitiger Gabe von Substraten dieser Enzyme beziehungsweise Transporter.
Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und für fünf Wochen nach der letzten Einnahme von Pirtobrutinib eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. Männer sollten angewiesen werden, während der Behandlung und für drei Monate nach der letzten Einnahme ebenfalls eine zuverlässige Verhütungsmethode zu nutzen und kein Kind zu zeugen. Schwangere dürfen Jaypirca nicht anwenden. Das Stillen sollen Frauen während der Behandlung und für eine Woche nach der letzten Dosis unterbrechen.
Basis der Zulassung sind die Ergebnisseder globalen Phase-I/II-Studie BRUIN. Die Wirksamkeit wurde in einer vordefinierten primären Kohorte mit 90 MCL-Patienten untersucht, die zuvor einen kovalenten BTK-Hemmer erhalten und sich im Median drei vorherigen Therapien unterzogen hatten. Der primäre Endpunkt war die objektive Ansprechrate. Zu den sekundären Endpunkten gehörte unter anderem die Dauer des Ansprechens.
Unter Pirtobrutinib zeigten 56,7 Prozent der Patienten ein objektives Ansprechen, wobei 18,9 Prozent ein vollständiges und 37,8 Prozent ein teilweises Ansprechen erreichten. Das Ansprechen hielt im Durchschnitt 18 Monate an.
Die häufigsten Nebenwirkungen jeden Schweregrades waren Fatigue, Neutropenie, Diarrhö und Prellung. Bei einigen Patienten traten zudem Schwindel und Asthenie auf, was die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen kann.
Mantelzell-Lymphom kommen Hemmer der Bruton-Tyrosinkinase (BTK) wie Ibrutinib zum Einsatz. Es kann
jedoch durch Mutationen zur Entwicklung von Resistenzen dagegen kommen. Dann stehen nur wenige Behandlungsoptionen zur Verfügung und die Prognose ist schlecht. Deshalb ist es eine gute Nachricht, dass mit Pirtobrutinib nun ein neuer BTK-Inhibitor zur Verfügung steht, der an einer anderen Stelle der Kinase bindet.
Im Gegensatz zu anderen BTK-Hemmer bindet Pirtobrutinib nicht kovalent an die Kinase. Wichtig ist ferner, dass der neue Wirkstoff sowohl an die Wildtyp-BTK als auch an die BTK mit C481-Resistentmutationen andockt. Nicht zuletzt auch wegen der zulassungsrelevanten Daten, die bei mehr als 50 Prozent der Behandelten ein objektives Ansprechen zeigten, kann Pirtobrutinib vorerst als Schrittinnovation bezeichnet werden.
Möglicherweise werden auch hierzulande weitere Indikationen folgen. In den USA ist der Wirkstoff bereits in späteren Therapielinien bei der chronisch-lympathischen Leukämie (CLL) und beim kleinzelligen lymphozytischen Lymphom (SLL) zugelassen.
Sven Siebenand, Chefredakteur