Neuentwicklung für seltene Form der Adipositas |
Annette Rößler |
06.07.2022 07:00 Uhr |
Die Wirksamkeit des neuen Arzneistoffs wurde in zwei klinischen Studien gezeigt, an denen Patienten ab sechs Jahren mit Adipositas infolge von POMC-Mangel (Studie RM-493-012) beziehungsweise LEPR-Mangel (Studie RM-493-015) teilnahmen. Beide Studien umfassten nach einer Phase der Dosistitration eine zehnwöchige offene Behandlungsphase. Hatten die Patienten an deren Ende eine vorab definierte Gewichtsreduktion erreicht, folgte eine doppelblinde, placebokontrollierte Absetzphase von acht Wochen (vier Wochen Placebo, vier Wochen Verum) und danach eine Fortsetzung der Setmelanotid-Therapie über bis zu 32 Wochen.
In der Wirksamkeitsanalyse berücksichtigt wurden insgesamt 21 Patienten (zehn in Studie RM-493-012 und elf in Studie RM-493-015), die auf diese Weise mindestens ein Jahr lang mit Setmelanotid behandelt worden waren. Von den Patienten mit POMC-Mangel erreichten acht (80 Prozent) nach dieser Zeit den primären Endpunkt einer Gewichtsabnahme von ≥ 10 Prozent, von den Patienten mit LEPR-Mangel fünf (46 Prozent). In beiden Studien hatten das Hungergefühl und auch das Körpergewicht der Patienten während der vierwöchigen Absetzphase wieder zugenommen.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Hyperpigmentierung (51 Prozent der behandelten Patienten), Reaktionen an der Injektionsstelle (39 Prozent), Übelkeit (33 Prozent) und Kopfschmerzen (26 Prozent).
Imcivree ist in der Originalverpackung bei 2 bis 8 °C im Kühlschrank zu lagern. Ungeöffnete Durchstechflaschen können bis zu 30 Tage lang bei Raumtemperatur (maximal 30 °C) gelagert werden.
Das Orphan Drug Setmelanotid ist als Sprunginnovation zu sehen. POMC- und LEPR-Mangel sind sehr selten, aber für die Betroffenen äußerst relevant. Denn bereits im jungen Alter kämpfen sie mit unstillbarem Hunger, der in der Regel dann zu starker Adipositas führt. Durch genetische Defekte ist der Melanocortin-4-Rezeptor-Signalweg beeinträchtigt. Genau hier setzt Setmelanotid als nun zugelassenes und verfügbares Medikament an. Die Studien zeigen, dass der Wirkstoff vielen Betroffenen hilft, ihr Gewicht deutlich zu reduzieren – bei akzeptabler Verträglichkeit. Die Langzeitsicherheit sollten man dabei natürlich weiterhin im Blick behalten.
Setmelanotid ist ferner ein Beispiel, das die Bedeutung genetischer Tests vor Augen führt. Diese sind unerlässlich, um Patienten mit Adipositas identifizieren zu können, die von der Behandlung profitieren können. Gut möglich, dass Setmelanotid zukünftig auch bei anderen seltenen Erkrankungen, die mit Hungergefühl und Adipositas einhergehen, zugelassen wird, etwa beim Bardet-Biedl- und beim Alström-Syndrom. Studienergebnisse sind vielversprechend.
Sven Siebenand, Chefredakteur