Neue Therapieansätze bei Multipler Sklerose |
Laura Rudolph |
17.05.2023 12:30 Uhr |
Multiple Sklerose (MS) ist eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der die Isolierschicht der Nervenzellen (Myelinscheide) und damit deren Reizweiterleitung Schaden nimmt. / Foto: Adobe Stock/Dr_Microbe
Jedes Jahr erkranken 10.000 Menschen neu an Multipler Sklerose (MS), bundesweit gibt es mehr als 250.000 Betroffene. Über die Fortschritte der neurologischen MS-Forschung berichtet die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) anlässlich des Welt-MS-Tags am 30. Mai in einer Pressemitteilung.
Hoffnung auf neue Therapieansätze machten derzeit insbesondere zwei Studien aus Deutschland, die axonale Kaliumkanäle beziehungsweise die Lungen-Hirn-Achse als mögliche neue Therapietargets identifizierten. Damit könnten zukünftig erstmals kausale MS-Therapien entwickelt werden; die derzeit verfügbaren Medikamente lindern lediglich die Symptome und reduzieren das Fortschreiten der Erkrankung.
Die DGN machte in ihrer Mitteilung auf die Arbeit eines Forschungsteams um die Professoren Dr. Lucas Schirmer (Universitätsmedizin Mannheim), Dr. Sven Meuth (Universitätsklinikum Düsseldorf) und Dr. David Rowitch (University of Cambridge) aufmerksam, die nahelegt, dass bestimmte Kaliumkanäle der Nervenbahnen (Axone) bei MS-Patienten eine Funktionsstörung aufweisen (»The Journal of Clinical Investigation«; 2023; DOI: 10.1172/JCI164223).
Die Forschenden gingen der Hypothese nach, dass eine chronische neuronale Übererregbarkeit, die im Krankheitsverlauf zu einer metabolischen Erschöpfung und schließlich zum Untergang der betroffenen Nervenfasern führt, eine grundlegende Rolle bei der MS-Pathogenese spielt.
Für die schnelle Erregungsweiterleitung seien insbesondere die Ranvier’schen Schnürringe (Unterbrechungen der isolierenden Myelinscheide entlang des Axons) entscheidend, an der die Weitergabe der Aktionspotenziale erfolge, heißt es in der DGN-Mitteilung.
Rund um die Ranvier’schen Schnürringe werde die neuronale Erregbarkeit durch Kaliumkanäle reguliert. Die Forschungsarbeit lasse Rückschlüsse darauf zu, dass die Regulation zweier Arten von axonalen beziehungsweise oligodendroglialen Kaliumkanälen (auswärts-gleichrichtende Kv7-Kanäle beziehungsweise einwärts-gleichrichtende Kir4.1-Kanäle) bei MS gestört sei.
Die Kir4.1-Kanäle seien dabei dauerhaft herabreguliert und Untereinheiten des Kv7-Kanals vorübergehend hochreguliert gewesen, heißt es weiter. Im Tiermodell hätte die pharmakologische Öffnung des Kv7-Kanals mit dem antiepileptischen Wirkstoff Retigabin Symptome gelindert und die neuronale Übererregbarkeit reduziert.
»Die Normalisierung des Ionenungleichgewichtes stellt einen interessanten innovativen Therapieansatz dar«, erläutert Schirmer und ergänzt: »Mit der Möglichkeit, direkt an den funktionsgestörten Kaliumkanälen als neues Therapietarget anzugreifen, kann möglicherweise eine erste kausale MS-Therapie entwickelt werden.«