Neue Regeln bei der Arzneiversorgung |
Ev Tebroke |
30.04.2020 14:34 Uhr |
Mehr Flexibilität in Pandemie-Zeiten: Ausnahmeregelungen erleichtern Apothekern nun die Arzneimittelversorgung. / Foto: Getty Images/Phoenixns
Die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungs-Verordnung ist seit dem 22. März in Kraft. Durch die Eilverordnung ändern sich für Apotheken viele Regelungen bei der Arzneimittelversorgung. Insbesondere hinsichtlich der bislang gültigen Vorgaben bei der Abgabe von Arzneimitteln gibt es jetzt zahlreiche Ausnahmen. So wurden etwa die Austauschmöglichkeiten, die ein Apotheker hat, wenn ein Medikament nicht lieferbar oder nicht verfügbar ist, stark erweitert. Dadurch sollen Patienten auch dann direkt in der Offizin versorgt werden können, wenn ihr verordnetes Präparat nicht vorrätig ist. Ziel ist es, den Patienten wiederholte Arzt- und Apothekenbesuche zu ersparen, und sie nicht unnötig einer möglichen Ansteckungsgefahr auszusetzen. Auch hat sich die bereits vor dem Ausbruch der Pandemie bestehende Problematik der Lieferengpässe infolge des Lockdowns in wichtigen Herstellerländern wie China, Indien und Italien weiter zugespitzt.
Die starre Abgabereihenfolge, nach der Apotheker bislang vorgehen mussten, etwa aufgrund bestehender Rabattverträge mit Krankenkassen, Importförderklausel und ähnlichem, sind gelockert. In Fällen, in denen das verordnete Medikament nicht in der Apotheke vorrätig ist, darf der Apotheker ein wirkstoffgleiches in der Apotheke vorrätiges Arzneimittel abgeben. Ist dies nicht möglich, muss der Apotheker prüfen, ob es lieferbar wäre. Falls nicht, darf er auf ein anderes lieferbares wirkstoffgleiches Medikament ausweichen. Falls sich trotz dieser Optionen kein Arzneimittel finden lässt, darf die Apotheke nach Rücksprache mit dem Arzt auch ein pharmakologisch-therapeutisch vergleichbares Medikament abgeben (Aut-simile). Dies gilt es zu dokumentieren. Die flexiblen Regelungen gelten explizit auch, wenn auf dem Rezept das Aut-idem-Kreuz gesetzt ist, betont die ABDA in ihrer Praxiskommentierung der Verordnung.
Grundsätzlich gelten alle Austauscherleichterungen bei Nichtverfügbarkeit eines Medikaments auch für Privatversicherte und Selbstzahler. Ebenso die folgenden Lockerungen bei der Wahl der abzugebenden Packungsgrößen. Hier ermöglicht die Verordnung den Apotheken nun ebenfalls eine flexiblere Handhabe, ohne dass sie mit dem Arzt Rücksprache halten müssen. Zwar darf die Gesamtmenge des verordneten Wirkstoffs nicht überschritten werden. Aber die Apotheke hat nun die Möglichkeit, eine andere Packungsgröße als die auf dem Rezept verordnete abzugeben, auch die Packungsanzahl darf variieren. Zudem ist die Entnahme von Teilmengen aus Packungen erlaubt, wenn die abzugebende Packung nicht lieferbar ist. Und sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen, darf auch die Wirkstärke abweichen. Bei Betäubungsmitteln, insbesondere im Rahmen der Substitution, gelten allerdings nach wie vor striktere Regeln. Hier ist lediglich das Auseinzeln erlaubt. Laut Gesetzesbegründung bestünde ansonsten »bei einer besonders vulnerablen Patientengruppe« das Risiko »schwer abschätzbarer Folgen«.
Hinsichtlich der Versorgung mit Betäubungsmitteln gelten nun ebenfalls Sonderregeln: So dürfen Krankenhaus- und Vor-Ort-Apotheken an andere Apotheken ohne Erlaubnis Betäubungsmittel für die Behandlung von Patienten abgeben, »um einen nicht aufschiebbaren Bedarf sicherzustellen«, wie es in der Verordnung heißt. Was die Substitutionsbehandlung betrifft, so dürfen Ärzte BtM-Verordnungen auch als Notfallverschreibungen ausstellen, also ohne Verwendung der amtlichen BtM-Rezeptvordrucke. Zudem darf das Substitutionsmittel, wenn es außerhalb der Arztpraxis in einer Apotheke zum Verbrauch überlassen wird, ausnahmsweise auch durch einen volljährigen Boten der Apotheke an den Patienten geliefert werden.
Auch beim Botendienst gibt es hinreichende Veränderungen im Rahmen der epidemischen Notlage. Laut ergänzter Arzneimittelpreisverordnung erhalten Apotheken nun jeweils einmalig pro Tag und Lieferort einen Zusatzbetrag von 5 Euro zuzüglich Umsatzsteuer. Als Lieferort gilt die jeweils individuelle Lieferanschrift des Bestellers, etwa die Wohnung, die Arbeitsstätte oder eine vergleichbare Adresse. Die Versorgung von Alten- und Pflegeheimbewohnern fällt jedoch nicht darunter. Laut ABDA-Kommentierung gilt hier der Versorgungsvertrag nach § 12a Apothekengesetz (ApoG).
Wie die Apotheker den Botendienst genau abrechnen können und welche Dokumentationspflichten es gibt, darüber haben der GKV-Spitzenverband und der Deutschen Apothekerverband (DAV) diese Woche verhandelt. Unter der neuen Sonder-PZN 06461110 sind die Botendienste auf dem Rezept zu dokumentieren. Dies gilt rückwirkend für alle Rezepte ab dem 22. April, heißt es.
Zur Förderung des Botendiensts erhalten die Apotheken zusätzlich zu dem 5-Euro-Zuschlag einmalig einen Betrag von 250 Euro zuzüglich Umsatzsteuer zu Lasten der GKV. Laut Verordnungsbegründung sollen Apotheken damit bei der Anschaffung von Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln unterstützt werden, die für das Botendienst-Angebot anfallen. Wie dies genau umgesetzt wird, ist derzeit noch Gegenstand weiterer Gespräche zwischen Kassen und Apothekern.
Alle Regelungen gelten längstens bis einschließlich 31. März 2021, mindestens aber solange, bis die Feststellung einer epidemischen Lage mit nationaler Tragweite durch den Bundestag aufgehoben wurde und dies im Bundesgesetzblatt verkündet ist. Die Regelungen zur Botendienstvergütung tritt hingegen spätestens am 30. September 2020 außer Kraft.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.