Neue Austauschregeln sind fernab der Apothekenrealität |
Die von der Ampel-Koalition geplanten neuen Austauschregeln werden die Versorgung voraussichtlich nicht wirklich verbessern. / Foto: imago images/Westend61
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat kürzlich den Referentenentwurf für ein Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) vorgelegt. Darin enthalten sind mehrere Maßnehmen, um Lieferengpässen entgegenzuwirken, beziehungsweise entstehenden Defekte besser managen zu können. Für die Apotheken und ihre Patienten ist von zentraler Bedeutung, dass die durch die Rabattverträge strikt vorgegebenen Austauschregeln grundsätzlich gelockert werden sollen. Konkret sieht der Entwurf vor, dass Apotheken anstelle des Rabattarzneimittels auch ohne Rücksprache mit dem Arzt ein wirkstoffgleiches Präparat abgeben können, wenn das rabattierte Medikament nicht verfügbar ist. Die wichtigste Voraussetzung für diese begrenzte Austauschfreiheit soll allerdings sein, dass das betroffene Arzneimittel auf einer beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu führenden Lieferengpass-Liste steht, auf der versorgungsrelevante und versorgungskritische Wirkstoffe aufgeführt sind. Die Standesvertretung der Apotheker ist strikt gegen die Koppelung der neuen Austauschregeln an diese Liste. Sie befürchtet eine Überregulierung und einen Zuwachs an Bürokratie; zudem ist die Liste aus Sicht der ABDA in der Patientenversorgung nicht nutzbar.
Um zu verstehen, warum die neuen Austauschregeln in der Apotheke nicht gelebt werden können, wenn diese BfArM-Liste als Voraussetzung bliebe, ist ein Blick auf deren Grundlagen notwendig. Der Gesetzgeber hat das BfArM 2020 damit beauftragt, einen Experten-Beirat zu gründen, der wiederum für Arzneimittel-Lieferengpässe eine Liste mit versorgungsrelevanten Wirkstoffen erarbeitet, die regelmäßig durch diesen Beirat aktualisiert wird (§ 52b Arzneimittelgesetz). Versorgungsrelevant sind demnach (nur) verschreibungspflichtige Wirkstoffe, die für die Gesamtbevölkerung insbesondere aus Mangel an Therapiealternativen von besonderer Bedeutung sind (keine Orphan Drugs). Versorgungskritisch sind jene versorgungsrelevanten Wirkstoffe, für die es drei oder weniger Zulassungsinhaber, also endfreigebende Hersteller gibt, oder Arzneimittel, für die bereits in der Vergangenheit ein Versorgungsmangel eingetreten ist sowie Wirkstoffe, die auf der Substitutionsausschlussliste geführt werden. Darüber hinaus gelten laut BfArM alle Wirkstoffe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln als versorgungskritisch, deren Marktanteil mindestens 25 Prozent beträgt.
Die auf der Liste aufgeführten Arzneistoffe sind wiederum Grundlage für eine Datenbank von drohenden und bestehenden Lieferengpässen. Diese Datenbank beruht auf Meldungen der Hersteller: Sobald ein Hersteller einen Lieferengpass voraussehen kann und der betroffene Arzneistoff auf der vom Beirat erstellen Liste der versorgungskritischen Arzneistoffe aufgeführt ist, soll der Hersteller die notwendigen Daten in die Datenbank eintragen. (Hier finden Sie die Liste der versorgungskritischen Arzneistoffe, hier finden Sie die Datenbank der gemeldeten Lieferengpässe.)
Allerdings eignen sich weder die Datenbank noch eine laut Referentenentwurf neu geplante »aktuelle Liste der Lieferengpässe bei Arzneimitteln mit versorgungsrelevanten und versorgungskritischen Wirkstoffen« für die Anwendung der vorgesehenen neuen Austauschregeln auf Apothekenebene. Das liegt in erster Linie daran, dass es nicht möglich sein wird, beispielsweise nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel (mit ihren PZN!) tagesaktuell abzubilden und dies Retax-sicher in der Warenwirtschaft abzubilden. Viele Präparate, mit denen es zuletzt massive Probleme gab (beispielsweise Fiebersäfte für Kinder) werden daher weder jetzt noch zukünftig gelistet sein – selbst wenn die Fiebersäfte für Kinder ärztlich verordnet werden können. Bis zum 7. April laufen noch die während der Pandemie gelockerten Abgaberegeln, die für alle Arzneimittel gelten. Beschließt der Bundestag die an die BfArM-Liste gekoppelte Regelung, müssten die Apotheken gerade bei solchen, nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wieder mehr Arbeitsaufwand einplanen, wenn sie nicht verfügbar sind. Zudem wäre ein Austausch der Darreichungsform, also beispielsweise Zäpfchen statt Saft, nicht möglich.
Denn das ist eine weitere Schwäche der Listen-Regelung: In den Aufführungen sind nur Wirkstoffe gelistet. Eine Unterscheidung in Darreichungsformen gibt es nur in Einzelfällen. Auch dadurch werden nicht lösbare Diskrepanzen zwischen in den Warenwirtschaften der Apotheken gemeldeten Defekten (PZN) und der geführten Engpass-Liste beim BfArM bestehen. Und auch die Aktualität könnte besser sein: Der Lieferengpass-Beirat des BfArM kommt in der Regel einmal pro Quartal zusammen. Im vergangenen Jahr gab es – trotz kritischer Versorgungslage – ganze fünf Treffen (davon zwei Sondersitzungen). Bei der im Referentenentwurf erwähnten möglicherweise neue, aktuelle Liste der Lieferengpässe bleibt offen, wie und von wem diese geführt und aktualisiert werden soll. Ohnehin soll diese nur Kinderarzneimittel beinhalten.
Selbst wenn der Gesetzgeber entscheiden sollte, nicht die Liste der versorgungskritischen Wirkstoffe, sondern die Datenbank mit den Lieferengpass-Meldungen der Hersteller als Regelungsbasis zu nehmen, gäbe es Diskrepanzen zum Apothekenalltag. Denn auch diese Engpass-Datenbank der Hersteller hat eine mangelhafte Datenbasis, auch weil die Meldung für die Hersteller nicht strafbewehrt ist. Hinzu kommt, dass die Hersteller ohnehin nur Engpässe melden müssen, die voraussichtlich über einen Zeitraum von zwei Wochen hinausgehen. Außerdem soll eine Lieferengpass-Meldung des Zulassungsinhabers auf die Zukunft ausgerichtet sein, also vor einem drohenden Engpass warnen. Bis der Engpass in der Versorgung zu spüren ist, können Großhändler und Apotheken also noch Reste auf Lager haben – eine weitere Differenz zwischen Liste und Apothekenrealität.
Immerhin: An einigen Stellen will die Ampel-Koalition die Datenerfassung bei den Lieferengpässen verbessern. Erstens soll es künftig ein Bußgeld für Hersteller geben, wenn diese ihrer Mitteilungspflicht nicht nachkommen. Allerdings sollen die Sanktionen nur für ausgebliebene Meldungen zu Beständen bei Herstellern und Großhändlern gelten – und nicht für die Liste drohender Engpässe. Um ganze Engpass-Ketten zu vermeiden, beziehungsweise im Keim zu ersticken, sollen Hersteller künftig auch die Bezugsquellen ihrer eingekauften Wirkstoffe angeben. Schließlich soll das BfArM ein Frühwarnsystem erarbeiten, das drohende Engpässe möglichst früh anzeigt. Wie genau dieses System funktionieren soll, wird allerdings nicht näher beschrieben.
Für die Apotheken sind die Pläne der Bundesregierung gleich aus mehrfacher Hinsicht ärgerlich. Denn durch die Koppelung an die BfArM-Liste werden nicht nur die Austauschregeln erneut verschärft, was zu Mehrarbeit und verärgerten Patienten führen wird. Hinzu kommt auch, dass die geplante Engpass-Pauschale (50 Cent), die die Apotheken künftig beim Austausch eines nicht-verfügbaren Medikaments abrechnen dürfen, ebenfalls an die BfArM-Liste gekoppelt ist. Heißt konkret: Nur wenn die Apothekenteams eines der dort aufgeführten Arzneimittel austauschen, dürfen sie die Pauschale abrechnen. Ohnehin stellt sich die Frage, wie die Apotheke rechtssicher erfahren soll, für welchen Engpass sie eine Pauschale abrechnen kann und wann es nicht möglich ist. In der Warenwirtschaft sind die beim BfArM gelisteten Arzneistoffe jedenfalls nicht gesondert aufgeführt. Und: Bei allen anderen, teils viel aufwendigeren Versorgungsformen, wie beispielsweise eine Änderung der Darreichungsform oder Anfertigung einer Rezeptur mit neuem Rezept, kann gar keine Engpass-Pauschale abgerechnet werden.