Mit zwei Krebsmitteln gegen Alzheimer |
Theo Dingermann |
22.07.2025 13:00 Uhr |
Eine kalifornische Studie, die mehrere Techniken kombiniert, hat festgestellt, dass zwei Krebsmittel die mit der Alzheimer-Krankheit verbundenen Genexpressionssignaturen umkehren – zumindest am Mausmodell. / © Getty Images/Nikola Nastasic
Die Alzheimer-Krankheit (AD) ist eine komplexe, multifaktorielle neurodegenerative Erkrankung mit heterogenen molekularen Veränderungen in verschiedenen Zelltypen. Bisherige Behandlungsansätze, die sich auf einzelne Krankheitsmerkmale oder Gewebspathologien konzentrierten, waren oft unzureichend, was zu einer hohen Misserfolgsquote in der Medikamentenentwicklung führte.
Jetzt richten neuere Ansätze unter anderem den Blick auf Gliazellen. Dies ist eines der Resultate einer umfangreichen Studie von Forschenden um Yaqiao Li vom Bakar Computational Health Sciences Institute an der University of California, San Francisco. In ihrer Studie, deren Ergebnisse jetzt im Wissenschaftsjournal »Cell« publiziert wurden, verfolgen die Forschenden einen zelltypspezifischen und multizellulären Ansatz zur Wirkstofffindung, der auf menschlichen Daten und realer klinischer Evidenz basiert. Hierzu integrierten die Forschenden Einzelzell-Transkriptom-Daten von Post-mortem-Gehirnen, Screenings von Wirkstoff-Perturbationsdatenbanken aus menschlichen Zelllinien und Analysen von Patientenakten. Ziel war es, gestörte Gennetzwerke in Neuronen und Gliazellen gezielt zu korrigieren.
Auf Basis dieser umfassenden Screenings konnten die Forschenden die Kombination aus dem Aromatasehemmer Letrozol und dem Topoisomerase-Inhibitor Irinotecan, beide bekannt aus der Krebstherapie, als potenzielle Kombinationsbehandlung einer Alzheimer-Erkrankung identifizieren. Wie die Daten zeigen, entfaltet Letrozol eine zelltypspezifische Wirkung in exzitatorischen und inhibitorischen Neuronen und Irinotecan eine Wirkung auf Zellen des gliazentrierten Clusters, einschließlich Astrozyten, Mikroglia und Oligodendrozyten. Beide Wirkstoffe sind bekanntermaßen Blut-Hirn-Schranken-gängig.
Verschiedene vielversprechende Wirkstoffkandidaten wurden in einem Alzheimer-Mausmodell validiert, das sowohl Aβ- als auch Tau-Ablagerungen aufweist und viele Alzheimer-bezogene Phänotypen zeigt. Die Behandlung erfolgte über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten mit Dosierungen von 1 mg/kg für Letrozol und 10 mg/kg für Irinotecan an jedem zweiten Tag, um menschlichen Dosierungen so gut wie möglich zu simulieren und Stress zu minimieren.
In Verhaltens- und neuropathologischen Modellen verbesserte die Kombinationstherapie die Gedächtnisleistung der Mäuse signifikant und reduzierte AD-bezogene Pathologien, verglichen mit einer Placebo-Behandlung oder den jeweiligen Monotherapien.
Auch führte die Kombinationstherapie zu einer signifikanten Reduktion der Amyloid-β-Plaques und der p-Tau-Aggregation im Hippocampus. Zudem reduzierte Irinotecan Neuroinflammationsmarker wie das Ionisierte Calcium-bindende Adaptermolekül 1 (IBA1) in Mikroglia und das saure Gliafaserprotein (GFAP) in Astrozyten, während Letrozol hier keinen Einfluss entfaltete.
Schließlich führte die Kombinationsbehandlung zu einer signifikanten Reduktion des Neuronenverlustes in der sogenannten CA1-Region des Hippocampus. Aus früheren Studien weiß man, dass das Volumen der CA1-Region mit dem Schweregrad der AD korreliert.
Mittels Einzelkern-Transkriptom-Analyse (snRNA-seq) des Hippocampus konnten die Forschenden bestätigen, dass die Kombinationstherapie krankheitsassoziierte Gennetzwerke zelltypspezifisch umkehrte. Zudem reduzierte die Behandlung eine gesteigerte Zell-Zell-Kommunikation über mehrere Zelltypen hinweg, was eine Reduktion hyperaktiver und dysregulierter neuronal-glialer Interaktionen andeutet. Beispielsweise nahm die erhöhte Kommunikation von hemmenden Neuronen zu Astrozyten ab. Dies könnte die Wiederherstellung der kognitiven Funktion unterstützen.
Besonders Letrozol beeinflusste primär die neuronale Integrität und Mechanismen im Zusammenhang mit synaptischer und metabolischer Aktivität. Irinotecan hingegen vermittelte eine stärkere entzündungshemmende Wirkung. Beide Wirkstoffe störten Proteinbindungs- und Prionenkrankheits-Signalwege und beeinflussten Neuroinflammation, synaptische Dysfunktion und Stoffwechselveränderungen positiv.
Analysen von Daten aus elektronischen Patientenakten ergaben, dass Patienten, die mit Letrozol oder Irinotecan behandelt worden waren, ein geringeres Risiko für eine Alzheimer-Diagnose aufwiesen. Um einen möglichen Bias zu minimieren, wurden unexponierte Kontrollgruppen identifiziert, die hinsichtlich Kovariaten wie Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Komorbiditäten und den ursprünglichen Indikationen ausgeglichen waren.
Zusammenfassend unterstreicht diese Studie das Potenzial von zelltypgesteuerten Kombinationsbehandlungen mit bereits zugelassenen Wirkstoffen, um multifaktorielle Erkrankungen wie die Alzheimer-Erkrankung zu therapieren. Die beobachteten Verbesserungen in der kognitiven Leistung und den pathologischen Markern im Mausmodell legen nahe, dass die synergetischen Effekte der beiden Medikamente durch unterschiedliche biologische Prozesse erzielt werden, die sich gegenseitig ergänzen, statt die gleichen Wirkmechanismen zu verstärken.
Bevor die Kombi aus Letrozol und Irinotecan jedoch nun therapeutisch bei Alzheimer-Patienten zum Einsatz kommen kann, müsste ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit gerade in Bezug auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis noch in Studien evaluiert werden.