Pharmazeutische Zeitung online
Kinderkurheime

Mikrokosmos der Gewalt

Zwischen den 1950er- und 1980er-Jahren wurden deutschlandweit Millionen Kinder alleine in Kinderkurheime zur Erholung verschickt. Statt gesund und erholt kamen viele Kinder traumatisiert von ihren meist sechswöchigen Aufenthalten zurück. Erste Ergebnisse der Aufarbeitung dieser Zeit wurden Mitte September bei einem Kongress in Bad Sassendorf vorgestellt.
Angela Kalisch
17.10.2022  07:00 Uhr

Totale Institution

Der Historiker Professor Dr. Hans-Walter Schmuhl, Universität Bielefeld, erkennt in dieser Konstellation das Muster der »totalen Institution«, einem seit den 1960er-Jahren von dem US-amerikanischen Soziologen Erving Goffman geprägten Begriff für Organisationsformen, in denen ein Individuum in seiner kompletten Lebensführung in ein Teilsystem eingebunden und einer zentralen Autorität untergeordnet ist. Beispiele für eine totale Institution nach Goffman sind Gefängnisse, Schiffsbesatzungen und Klöster, aber auch geschlossene Abteilungen in psychiatrischen Kliniken.

Exakte Planung, strenge Regeln und Überwachung und Kontrolle aller Tätigkeiten innerhalb der Einrichtung gehören zu den Kennzeichen einer totalen Institution. Der Einzelne wird von der Gesellschaft isoliert und erfährt einen Bruch mit der Teilhabe in allen Bereichen außerhalb der Einrichtung. Eine demütigende, herabsetzende Behandlung dient der Anpassung des Individuums an die Gemeinschaft und der einfacheren Handhabung der Insassen durch die Unterdrückung von menschlichen Bedürfnissen, die im Gegensatz zu den Zielen der Gruppe stehen könnten.

Was schon bei Erwachsenen für soziale Spannungen sorgt, geht bei Kindern mit einer erheblichen Erschütterung in ihrer Entwicklung einher. Der Aufenthalt in einer totalen Institution, wenn auch zeitlich eng begrenzt, kann bei Kindern zu einer starken Verunsicherung des Selbst und zu einem Vertrauensverlust gegenüber anderen führen.

Kindliche Entwicklung

In einer noch nicht abgeschlossenen Studie konnte die Professorin Dr. Ilona Yim (University of California, Irvine) bereits nachweisen, dass Menschen, die als Kind alleine in eine Erholungskur verschickt worden waren, ein fünfmal höheres Risiko für eine Depression aufweisen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Ebenso deutlich geht aus ihren Studiendaten hervor, dass die Betroffenen eine vermeidende Haltung bei sozialen Bindungen einnehmen.

Yim, die zu den Folgen von Stress auf die Gesundheit forscht, führt diese ersten Ergebnisse darauf zurück, dass das Stresssystem bei Kindern noch nicht ausgebildet ist und die verstörenden Erfahrungen des Kuraufenthalts nicht adäquat verarbeitet werden konnten.

Einen typischen Tagesablauf am Beispiel von einem Kinderkurheim in Bad Sassendorf, dem Tagungsort des Kongresses, stellte die Historikerin Dr.Lena Krull von der Universität Münster vor. Bad Sassendorf hat eine lange Tradition als beliebter Kurort, vor allem durch die Nutzung des Gradierwerks als Freiluftinhalation mit solehaltiger Luft.

Als auffällig konnte Krull bei ihrer Recherche feststellen, dass die Schlafzeiten einen erheblichen Raum einnahmen. Mehr als zwölf Stunden Nachtruhe plus zwei bis drei Stunden Mittagsschlaf für alle Kinder, unabhängig vom Alter, ließen kaum noch Zeit für Freizeitaktivitäten oder persönliche Zuwendung. Der Rest des Tages orientierte sich an den Mahlzeiten entlang und auch für die Körperhygiene waren nur kleine, klar definierte Zeitfenster vorgesehen, in denen es den Kindern überhaupt erlaubt war, die Toilette aufzusuchen. Ein Grund für dieses Vorgehen war eine Überforderung des Personals aufgrund von zu knappen Ressourcen, wie Krull anhand von Archivdaten nachweisen konnte.

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa