Mikrobiom stärken, gesünder leben |
Gesunde Vielfalt: Eine Ernährung, die reich an Ballaststoffen ist, regt die Darmbakterien zur Bildung wertvoller kurzkettiger Fettsäuren an. / © Adobe Stock/Poligoone
Für die Dermatologin und Ernährungswissenschaftlerin der Hochschule Coburg sind »der Darm und seine Bewohner ein Schlüsselfaktor für Alterungsprozesse. Seine Bakterien kommunizieren regelrecht mit verschiedenen anderen Organen. Dieser bidirektionale Austausch wird über die Metabolite der Darmbakterien wie kurzkettige Fettsäuren und Immunzellen, die von den Mikroben trainiert werden und dann in Richtung der jeweiligen Organe wandern, vermittelt. Für die Kommunikation mit dem Gehirn ist überdies noch der Nervus vagus relevant. Daraus folgend sind Dysbiosen des Darmmikrobioms mit den typischen Alterskrankheiten wie die des Herz-Kreislauf-Systems oder des Stoffwechsels bis hin zu Allergien sowie neurodegenerativen Erkrankungen assoziiert«.
Dabei scheint ein entscheidender Gesundheitsfaktor eine möglichst diverse mikrobielle Lebensgemeinschaft im Darm zu sein. Die Mikrobiom-Expertin erklärt das im Gespräch mit der PZ so: »Es spielt nur eine untergeordnete Rolle, ob etwa mehr Laktobazillen oder Akkermansia vorhanden sind. Entscheidend ist die Vielfalt der Bakterien im Darm. Bekommen Senioren im Heim nur noch ballaststoffarme Kost, geht die Diversität zurück. Studien belegen, dass ein solcher Mangel an bakterieller Artenvielfalt zu Gebrechlichkeit führt. Bei Kindern nimmt die Allergierate zur, wenn der Artenreichtum im Darm fehlt. Auch Sportler profitieren von einem möglichst breiten Spektrum der Darmbewohner. Das ist wie im Ökosystem Wald; der Mischwald ist auch beständiger als Monokulturen.«
Beste Bedingungen für ein möglichst breit aufgestelltes Ökosystem im Darm lassen sich am besten mit einer pflanzenbasierten, ballaststoffreichen und abwechslungsreichen Kost schaffen; da ist sich die Mikrobiomforschung heute einig. »Von allem etwas: Eine ausgewogene Ernährung hat den besten Effekt auf die Zellphysiologie. Es muss nicht immer gleich um Nahrungsergänzungsmittel gehen, zumal einige wichtige Bakterien wie Butyrat- oder Propionatbildner gar nicht als Substitut zugeführt werden können«, so Axt-Gadermann.
»Grund für den gesundheitlichen Benefit durch ballaststoffreiche Ernährung sind darin enthaltene, unverdauliche Kohlenhydrate. Also Präbiotika, die einigen Bakterien als wichtigste Nahrungsquelle dienen – wobei kurzkettige Fettsäuren entstehen; Acetat, Butyrat und Propionat gelten als die wichtigsten«, führt die Ernährungswissenschaftlerin aus. Sie seien wesentlich dafür verantwortlich, dass die Darmschleimhaut gut gedeiht, dass sie integer bleibt und nicht entzündlich durchlässig für Pathogene wird sowie darunterliegende Immunzellen so erzogen werden, dass sie regulatorische T-Zellen bilden – Hauptverantwortliche für immunologische Toleranz.
Studien gibt es dafür zuhauf. Aktuell beschreiben Wissenschaftler der Universität Hohenheim die positiven Effekte einer pflanzenbasierten, aber dennoch ballaststoffreichen Ernährung im Fachjournal »Cell«. Danach können Bohnen, Süßkartoffeln, Gurken, Kohl, Zwiebeln, Topinambur und Erbsen die Zusammensetzung der Darmflora günstig verändern und einen erheblichen Beitrag zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und von Typ-2-Diabetes leisten.
Auch Wissenschaftler der Universitätsmedizin Leipzig und des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften Leipzig haben eine ballaststoffreiche Kost unter die Lupe genommen und im Fachjournal »Gut« publiziert. Danach können Zwiebeln, Lauch, Artischocken, Weizen, Bananen und vor allem Chicoree die Zusammensetzung der Darmbakterien von Übergewichtigen so verändern, dass dies einen günstigen Einfluss auf Belohnungssignale im Gehirn und damit verbundene Essentscheidungen hat.
Als Dermatologin beforscht Axt-Gadermann auch die Interaktion der Mikrobiome von Darm und Haut. »Bei atopischer Dermatitis, Psoriasis, Schuppenflechte, Akne oder Rosazea ist nachweislich nicht nur die Darm-, sondern auch die Hautflora gestört. Zwar beeinflussen sich beide Mikrobiome gegenseitig, doch die Interaktion geht eher vom Darm aus. Wir haben derzeit viel weniger Kenntnisse bezüglich des dermalen Mikrobioms als bezüglich des Darms.«
So hätten Kinder, deren Darm auffällig wenig von Bifidobakterien und Butyratbildnern besiedelt ist, dafür aber viele Escherichia coli und Clostridioides difficile tragen, ein erhöhtes Risiko für eine atopische Dermatitis. Auf der Haut sei es vor allem Staphylococcus aureus, der das Neurodermitis-Risiko steigen lässt, erzählt die Hautärztin . So ist die Haut von Patienten mit atopischem Ekzem von einer drastischen Abnahme der Bakterienvielfalt gekennzeichnet, S. aureus dominiert und verdrängt andere Arten. Und: Die Menge von S. aureus korreliert mit dem Schweregrad der Krankheit.
»Was den eigentlichen Auslöser von entzündlichen Hauterkrankungen betrifft, führten wir lange Zeit eine Art Henne-Ei-Diskussion. Sind die veränderten Keimspektren Folge der veränderten immunologischen Hautbedingungen oder sind sie ursächlich? Neuere Studien belegen nun jedoch, dass Dysbiosen des Darms und der Haut atopischen Erkrankungen vorausgehen und damit als Urheber gelten können. Die Vermehrung von S. aureus ist also nicht sekundär die Folge der entzündlichen Bedingungen auf der Haut, sondern Grund der Symptome«, informiert die Dermatologin.
Die üblicherweise in der Therapie von entzündlichen Hauterkrankungen verwendeten Glucocorticoid- oder Antibiotika-haltigen Topika sieht Axt-Gadermann kritisch. Sie drängten zwar S. aureus und auch die dadurch verursachte Entzündung deutlich zurück. »Doch allein schon durch enthaltene Konservierungsmittel wird das dermale Mikrobiom weiter empfindlich geschädigt. Es wird nur zu einer vorübergehenden Besserung der Symptomatik kommen.«
Die Dermatologin hat im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit nach natürlichen Möglichkeiten gesucht, das Hautmikrobiom von Neurodermitis-Patienten wieder ins Lot zu bringen. Mit Erfolg: Zusammen mit Professor Dr. Matthias Noll hat sie einen Bakterienkomplex entwickelt, der sich aus neun probiotischen Bakterienstämmen zusammensetzt. Die Pulvermischung, die für ein Teilbad gedacht ist, wird in Wasser eingerührt und damit aktiviert. »Durch die Bäder ließ sich in placebokontrollierten Studien die Konzentration von S. aureus innerhalb von 14 Tagen ohne weitere Therapien um 84 Prozent zurückdrängen und gleichzeitig die Vielfalt des Mikrobioms erhöhen. Der Schweregrad der Neurodermitis besserte sich deutlich sichtbar, und zwar umso effektiver, desto stärker der Ausgangsbefund war. Entzündungsparameter nahmen ab, genauso wie Juckreiz und Trockenheitsgefühl.«
Diese probiotische Mixtur wird ab März in zwei Darreichungsformen vom Institut Allergosan (Omnibiotic® Skin) in den Markt eingeführt. Neben dem Granulat, das zur Zubereitung von Bädern in Wasser aufgelöst wird, gibt es eine probiotische Fettsalbe. »Deren Grundlage ist wasserfrei – und damit nicht konserviert – und wurde ursprünglich als Stillsalbe für Brustwarzen entwickelt. Die enthaltenen pflanzlichen Lipide werden deshalb bereits von Säuglingen toleriert. Das Hautmikrobiom wird in seinem Wiederaufbau gestärkt«, erklärt der Mikrobiologe Noll.
Ein stabiles Mikrobiom fängt entzündliche Hautsymptome ab: Probiotische Hautpflege stellt einen vielversprechenden Ansatz in der Neurodermitis-Therapie dar. / © Getty Images/Irina Esau
Grundsätzlich lässt sich mikrobiotische Hautpflege in drei Gruppen unterteilen. So sieht es etwa die Deutsche Gesellschaft für wissenschaftliche und angewandte Kosmetik. Probiotika enthalten per Definition lebende oder lebensfähige Mikroorganismen. »Es gibt nur sehr wenige Präparate, die lebende Bakterien enthalten und somit echte Probiotika sind. Manche Zubereitungen nennen sich zu Unrecht so, da sie nur abgetötete Bakterien enthalten. So etwa Lysate oder Fermente von Bifidobakterien oder Laktobazillen. Sie können sich nicht aktiv ins Mikrobiom integrieren«, ordnet die Expertin ein.
Als Präbiotika werden Substanzen bezeichnet, die bestimmte Mikroorganismen des Hautmikrobioms in ihrem Wachstum oder ihrer Aktivität selektiv beeinflussen, die also Nährstoffe für das Hautmikrobiom darstellen. Laut Axt-Gadermann können das etwa Inulin oder resistente Stärke. Postbiotika sind wiederum Substanzen, die aus Mikroorganismen gewonnen werden oder aus inaktivierten Vertretern bestehen. Typisches Beispiel ist die Milchsäure, die aus Lactobacillus-Arten stammt. Orientierung bietet das Siegel »Microbiome friendly«. Auf der Website www.mymicrobiome.info werden alle entsprechend zertifizierte Produkte gelistet.
Können Mikrobiomtestungen helfen, Krankheiten auf die Spur zu kommen? Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) hält zumindest privat beauftragte Mikrobiomanalysen per Stuhltest für zu oberflächlich und nicht zweifelsfrei interpretierbar. Sie rät deshalb von kommerziellen Mikrobiomtestungen ohne ärztliche Beratung ab.
»Freilich ist das Mikrobiom sehr individuell und es gibt viele Mikrobiome, die als gesund gelten. Ich glaube aber, dass das eigentliche Problem darin liegt, das Ergebnis richtig zu interpretieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Viele Ärzte haben nur ein begrenztes Empfehlungsspektrum darin, was bei einem veränderten Mikrobiom zu tun ist«, sagt die Bestseller-Autorin, die viele Bücher über die Bewohner in und auf uns geschrieben hat.
Generell gelte: Eine langfristig stabile Veränderung im Darmklima erziele man nicht von heute auf morgen. Pro- oder synbiotische Nahrungsergänzungsmittel seien mindestens drei Monate einzunehmen; eine zweiwöchige Zufuhr bleibe ohne Effekt. Manchmal helfe auch nicht die gezielte Zufuhr eines Bakterienstammes. »Fehlen beispielsweise Butyratbildner, kann nicht gezielt substituiert werden. Dann gilt es, resistente Stärke als Ausgangsstoff zuzuführen, damit die Darmbakterien wieder mehr Butyrat bilden können.« Ein weiteres Beispiel: »Befinden sich zu viele schwefelsäurebildende Bakterien im Darm – Schwefelsäure schädigt die Darmzellen und fördert Entzündungen –, gilt es, weniger Rindfleisch zu essen und einen Blick auf das Mineralwasser zu werfen.«
Auch der Gang zum Zahnarzt könne eine Konsequenz der Mikrobiomanalyse sein: »Das ist dann der Fall, wenn sich erhöhte Mengen an Fusobacterium nucleatum im Darm finden. Dieses Mundschleimhautbakterium wird bei Parodontitis verschluckt, siedelt sich im Darm an und kann zu Darmentzündungen führen. Im Übrigen ist es auch ein Promotor von Darmkrebs. In diesem Fall würde also eine zweiwöchige Einnahme etwa von Milchsäurebakterien gar nichts bringen. Entscheidend ist vielmehr die Sanierung der Parodontitis, um die Nachbildung des Fusobakteriums zu vermeiden. Erst dann kann die Gabe von Ballaststoffen und Milchsäure sinnvoll sein.«