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Nüchtern, vor oder nach dem Essen?

30.05.2005  00:00 Uhr
Pharmacon Meran 2005

Nüchtern, vor oder nach dem Essen?

Generell werden Arzneimittel heute immer noch eher industrie- als patienten- oder krankheitsgerecht entwickelt, konstatierte Professor Dr. Werner Weitschies von der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald. So würden etliche Arzneistoffe auf Grund längerer Haltbarkeit oder vereinfachten Herstellungsprozessen zum Beispiel magensaftresistent formuliert, obwohl die Substanz dies an sich nicht erfordert. Er sei jedoch sicher, dass es sich bei monolithischen magensaftresistenten Arzneiformen um »Auslaufmodelle« handle und ein Umdenken stattfinde, so der Technologe.

Da der Gastrointestinaltrakt pathophysiologische Besonderheiten aufweist, kommen der adäquaten galenischen Formulierung und präzisen Einnahmehinweisen eine immense Rolle zu. So wirkt zum Beispiel Sucralfat nur, wenn es 30 bis 60 Minuten vor dem Essen eingenommen wird. Die polysulfatierte Saccharose ist zugelassen zur Behandlung von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren und steht in Tabletten und als Suspension zur Verfügung. Die postulierte Wirkweise beruht darauf, dass Sucralfat bei einem pH unter 4 an die Mucosa »bindet« und dadurch eine schützende Schleimschicht bildet. Untersuchungen belegen, dass Sucralfat tatsächlich bindet, jedoch nicht flächendeckend, informierte Weitschies. Diese »Bindung« ist nur möglich, wenn das Arzneimittel vor dem Essen genommen wird.

Eine weitere Indikation des Arzneistoffs ist die Stressulcus-Prophylaxe bei Intensivpatienten. Ranitidin schnitt jedoch hinsichtlich der Senkung des Blutungsrisikos signifikant besser ab; bezüglich des Auftretens von Pneumonien oder der Mortalität war kein Unterschied feststellbar. Insofern werden hier bevorzugt H2-Blocker eingesetzt, zunehmend auch Protonenpumpen-Hemmer (PPI), berichtete Weitschies. Letztere seien für diese Indikation noch nicht zugelassen. Da Sucralfat die Resorption vieler Arzneimittel vermindert, darf es nicht während einer Eradikationstherapie von Helicobacter pylori angewendet werden.

Im Gegensatz zu Sucralfat muss ein Präparat aus Alginsäure und Aluminiumhydroxid (Gaviscon®) unbedingt nach dem Essen eingenommen werden. Die Kautablette ist zur Behandlung einer Refluxösophagitis zugelassen. Um die schützende Schaumschicht auf dem Mageninhalt ausbilden zu können, muss die Tablette gründlich zerkaut und möglichst ein Glas Wasser nachgetrunken werden. Die Weiterentwicklung Gaviscon® Advance, eine Suspension mit Natriumalginat und Kaliumhydrogencarbonat, ist auch für Schwangere und Kinder zugelassen.

Die Einnahme der Tripeltherapie (PPI, Amoxicillin, Clarithromycin) zur Eradikation von Helicobacter pylori muss eine Stunde vor den Mahlzeiten erfolgen, da der PPI magensaftresistent verarbeitet ist. Bislang wurde angenommen, dass es sich hierbei um eine systemische Therapie handelt, wobei die Antibiotika im Dünndarm resorbiert und anschließend wieder in den Magen sezerniert werden. Da Studien zeigten, dass PPIs die Sekretion von Amoxicillin und Clarithromycin in den Magen hemmen und zwei Stunden nach der Einnahme im Mageninhalt kein Amoxicillin mehr nachweisbar ist, gab Weitschies zu Bedenken, dass es sich hier möglicherweise um eine lokale Therapie handelt. Dafür spreche auch der Aufenthaltsort des Keims: Dieser befindet sich zwischen Endothel- und Mucosaschicht der Zelle und nicht im Zellinneren, allerdings auch nicht wirklich außerhalb der Zelle.

Anhand seiner physiologischen Besonderheiten werden speziell für den Dickdarm biotechnologische Konzepte entwickelt. So befinde sich zum Beispiel Dexamethason-Glucuronid, ein bakteriell spaltbares Arzneistoffkonjugat, in der Vorklinik. Bereits in Phase I werden gentechnisch modifizierte Mikroorganismen der Darmflora zur lokalen Arzneistoffproduktion getestet, zum Beispiel Interleukin-6-produzierende Milchsäurebakterien. Zu den galenischen Konzepten in der Vorklinik zählen unter anderem die Retardierung mittels eines oralen osmotischen Systems plus eines magensaftresistenten Überzugs sowie bakteriell spaltbare oder mucoadhäsive Überzüge.

Abschließend gab Weitschies den Apothekern generelle Einnahmehinweise für orale Darreichungsformen mit auf den Weg: Magensaftresistent überzogene Tabletten und Retardtabletten müssen unbedingt vor den Mahlzeiten eingenommen werden. Dagegen können entsprechende Granulate und Pellets unabhängig von den Mahlzeiten geschluckt werden; empfohlen wird meist eine Gabe 30 Minuten vor dem Essen.

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